Ort/Bundesland: Nordrhein-Westfalen |
|
Gabriele Wasser |
Anne Frank, das ist für unsere Schule nicht nur ein Name, sondern auch eine große Verpflichtung. So führten wir mit unseren Klassen in den letzten Jahren verschiedene umfangreiche Projekte durch, die das Ziel hatten, Fremdenhass und Rassismus vorzubeugen, Gemeinsamkeiten aller großen Kulturen zu entdecken, Wertvorstellungen der Völker kennen zu lernen und zu akzeptieren sowie Toleranz gegenüber allen Völkern und Religionsgruppen zu üben.
In diesem Zusammenhang ist auch das Projekt: "Spuren jüdischer Familien in Bonn - Der jüdische Friedhof in Schwarzrheindorf erzählt" zu sehen. Auslösender Faktor war die Exkursion einer Schülergruppe der 10. Klassen zum jüdischen Friedhof in Schwarzrheindorf (Bonn-Beuel). Die Schülerinnen und Schüler berichteten ihren Mitschüler/innen über ihre Eindrücke und beschlossen spontan, sich des Friedhofs anzunehmen und dort Pflege- und Erhaltungsarbeiten vorzunehmen. Fünf Kolleginnen und Kollegen erklärten sich bereit, mit 75 Schülerinnen und Schülern der 10. Klassen das Projekt gemeinsam durchzuführen.
Die Arbeit an diesem Projekt wurde bestimmt von unserem Interesse an Kultur und Alltag der Bonner Juden, an Geschichten und Lebensweisen, soweit sie sich von uns verfolgen ließen. Es war ein schwieriges Projekt, da es von Menschen handelt, die nicht mehr leben, die auf bestialische Weise ermordet wurden und deren geistiges Erbe vergessen zu werden droht. Ganz bewusst wurde der schlimmsten Zeit, dem Nationalsozialismus, nur wenig Platz eingeräumt. Wir wollten nicht nur die Bilder der Vernichtung menschlichen Lebens zeigen, sondern Einblicke in die Zerstörung der Kultur geben. Die Bilder des Leidens sind eine wichtige Mahnung, aber genauso wichtig sind Kenntnisse von der Bedeutung und Schönheit einstiger jüdischer Kultur in unserer Heimat und in Europa. Die jüdische Welt, die es in Europa gab, ist von Hass und Fanatismus vernichtet worden, sie ist unwiederbringlich verloren. Reste jüdischer Kultur, Orte wie der Friedhof in Schwarzrheindorf, sind in ihrer Wirkung gänzlich anders als Mahn- und Gedenktafeln. Sie zeigen, dass ohne die Rettung und Dokumentation historischer jüdischer Kultur das Geschichtsbild unvollkommen bleibt.
Was der Zerstörung entgangen ist, verfällt heute in oft erschreckendem Maße. Wo die Menschen fehlen, die ihre Gebetskleidung anlegen, ihre Feste feiern, Gottesdienste halten und ihre Toten nach den überlieferten Riten beerdigen, da ist den Dingen der Sinn genommen, da verschwinden sie. Ihr Verschwinden ist unser Verlust.
Die Projektmethode hat einen hohen Stellenwert in der Konzeption unserer Ganztagsschule. Bereits von der 5. Klasse an wird mit den Schülerinnen und Schülern Projektarbeit durchgeführt. Durch die Aufhebung der starren Strukturierung des "normalen" Stundenplanes kann fächer- und auch klassenübergreifend gearbeitet werden. Die Schülerinnen und Schüler sind gefordert, ihre Arbeitsaufträge in Kooperation mit unterschiedlichen außerschulischen Institutionen zu erledigen sowie ihre Projektarbeit auch außerhalb der Schule durchzuführen. Dies hat zur Folge, dass in weitaus höherem Maß, als dies im herkömmlichen Unterricht der Fall ist, Einrichtungen, Medien und Materialien außerschulischer Institutionen genutzt werden. Während der Projektarbeit verlassen die Schülerinnen und Schüler das schützende Umfeld der Schule und lösen viele Probleme in der Begegnung mit der Wirklichkeit außerhalb der Schule. Die Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen verlangt von den Schülerinnen und Schülern die Überwindung von Schwellenangst, Einübung adäquater Umgangsformen und Fähigkeit zum Protokollieren von Arbeitsergebnissen. Intensive Vorgespräche der beteiligten. Lehrkräfte mit den Ansprechpartnern der Lernenden bilden die Basis für die spätere Zusammenarbeit.
Während der Projektarbeit entwickelt sich eine völlig neue Kommunikationsebene zwischen Lehrenden und Lernenden. Es entsteht ein höherer Vertrautheitsgrad ohne Autoritätsverlust. Die Abkehr von den traditionellen Formen des Sich-Belehren-Lassens fördert bei den Schülerinnen und Schülern die Lust am Lernen und eine höhere Bereitschaft, sich zu engagieren.
Zunächst war für das hier beschriebene Projekt ein zeitlicher Rahmen von zwei Wochen vorgesehen. In diesem Zeitraum sollte auf dem Friedhof gearbeitet werden. Vor Beginn der Arbeiten wurde Kontakt mit dem zuständigen Amt und der Synagogengemeinde Bonn aufgenommen, um die näheren Bedingungen zu klären. Aus diesen ersten Kontaktaufnahmen entwickelte sich der intensive Wunsch nach weiteren Informationen über den Friedhof und das Judentum. Im weiteren Verlauf entwickelte das Projekt eine eigene Dynamik und bekam eine völlig veränderte Zielsetzung. Nach mehreren Lehrer- und Schülerkonferenzen wurde die Thematik den Schülerinnen und Schülern zum ureigenen Anliegen:
Nachdem von den einzelnen Gruppen Feinziele erarbeitet worden waren, wurde der Stundenplan der 10. Klassen für einen Zeitraum von sechs Wochen aufgehoben und neu strukturiert. Die Schülerinnen und Schüler erhielten jeden Morgen im Klassenverband zwei Unterrichtsstunden über das nötige Grundwissen zum Judentum und zu den historischen Zeiträumen. Im Anschluss wurde jeweils in den nach Interessenschwerpunkten gebildeten Arbeitsgruppen gearbeitet.
Die Arbeitsgruppen wurden von verschiedenen Organisationen beraten. Dies waren im einzelnen die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die Synagogengemeinde Bonn, die Deutsch-Israelische Gesellschaft, Mitarbeiter/innen des Stadtarchivs Bonn und des Heimatmuseums Beuel sowie der israelische Wissenschaftler Dan Bondy. Während unserer Arbeit lernten wir zwei jüdische Zeitzeuginnen kennen, die den Holocaust überlebt hatten und nach Bonn zurückgekehrt sind. Sie stellten uns ihre Lebenserinnerungen und ihre bisher unveröffentlichten Tagebücher zur Verfügung.
Die Zusammenarbeit der Schülerinnen und Schüler mit Personen aus dem außerschulischen Bereich steigerte die Motivation und das Engagement erheblich, da sie die hohe Akzeptanz und Unterstützung ihrer Arbeit als wichtige Bestätigung erfuhren. Ein vom Westdeutschen Rundfunk produzierter Beitrag über das Projekt wirkte als zusätzlicher Anreiz. (siehe Audio/Video)
Die Projektarbeit wurde sowohl organisatorisch als auch inhaltlich von der Schulleitung mit getragen und über das zu erwartende Maß hinaus unterstützt.
Im Verlauf der Arbeit boten verschiedene Kolleginnen und Kollegen spontan ihre Mithilfe in Bereichen an, die vom Projektteam nicht abgedeckt werden konnten. Viele Schülereltern - nicht nur aus den Klassen 10 - äußerten ausdrücklich Zustimmung zu der intensiven Bearbeitung des Themas und informierten sich mehrfach über den Fortgang der Arbeiten. Auch Fremde, die unsere Schülergruppen bei den Pflegearbeiten auf dem Friedhof beobachtet hatten, erkundigten sich nach der Zielsetzung und den Ergebnissen.
Nach Abschluss der Arbeiten wurden die Projektergebnisse (siehe Bilder und siehe pdf-Dokumente) der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die begonnene Arbeit "Spuren jüdischer Familien in Bonn" wird mit den neuen 5. Klassen fortgesetzt. Die Patenschaft für den Friedhof wird aufrechterhalten, die Pflegearbeiten werden weitergeführt.