Ort/Bundesland: Sachsen |
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Karoline Gil Stiftung Forum Krasków Krasków 12 PL 58-124 Marcinowice Tel.: 0048 74 858 51 01 Fax: 0048 74 858 51 52 http://www.kraskow.pl/projekt2005 |
"Ich persönlich war wirklich davon beeindruckt, wie offen diese älteren Menschen uns gegenüber waren! Sie hatten ein wahnsinnig gutes Gedächtnis und haben uns so selbstverständlich aus ihrem Leben erzählt. Am meisten berührt hat mich, dass diese Leute bei der Vertreibung in unserem Alter waren und es uns im Gegensatz dazu heute so gut geht." Marielle, 16 Jahre (Leipzig)
"Wir lernen die Erinnerungen dieser Menschen kennen und das ist was völlig anderes als wenn wir es aus den Schulbüchern erfahren." Aleksandra, 15 Jahre (Marcinowice)
Ziel des Projektes war es, durch Begegnungen zwischen Zeitzeugen und Jugendlichen, die in Filmen dokumentiert wurden, das Thema aus der Sicht der jungen Generation darzustellen und einen Vergleich zu ermöglichen.
Das Projekt wurde in Leipzig in verschiedenen Schulen vorgestellt und in der lokalen Presse ausgeschrieben. Darauf kamen interessierte Jugendliche zu einem ersten Treffen im Polnischen Institut zusammen. Elf Schüler wurden ausgewählt. Sie interviewten deutsche Vertriebene, die Niederschlesien nach 1945 verlassen haben. In Polen nahmen ebenfalls elf Schüler teil. Sie kamen aus dem Gymnasium Marcinowice, in dem das Projekt der Direktion vorgestellt wurde. Die Schüler konnten sich freiwillig für eine Teilnahme entscheiden. Die Schüler aus Marcinowice (woj. dolnośląskie) trafen polnische Vertriebene aus den ehemaligen ostpolnischen Gebieten, die heute in Dolny Śląsk leben.
Von Oktober 2004 bis Februar 2005 nahmen die 15- bis 17-jährigen jeweils in Leipzig und in Marcinowice außerhalb des Schulunterrichtes an einem einführenden Kurs zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen teil. Diese Vorbereitungsphase war notwendig, um im weiteren Verlauf des Projektes die Bedeutung und die Konsequenzen des Zweiten Weltkrieges für beide Staaten verständlich machen zu können. Bis dahin waren bei den Schülern nur geringe Kenntnisse über die Geschichte ihres Nachbarlandes vorhanden.
Im Geschichtsunterreicht wurde insbesondere mit dem Buch „Deutsche und Polen – eine Chronik“ sowie mit der dazugehörigen Filmreihe gearbeitet. Desweiteren bereiteten sich die Schüler eigenständig auf Referate vor, in denen sie ein geschichtliches oder aktuelles Thema der deutsch-polnischen Beziehungen vorstellten. Den Unterricht im Polnischen Institut wie in der Schule in Marcinowice, der von der Projektkoordination durchgeführt wurde, versuchten die Geschichtslehrer in der Schule zu ergänzen und ermöglichten den Teilnehmern des Projektes, ihre Erfahrungen der Klasse vorzustellen. Die Zusammenarbeit zwischen der Projektkoordination und der Schule stellte sich als sehr wichtig und erfolgreich dar, da das Projekt somit nicht nur als eine „Freizeitbeschäftigung“ von den Jugendlichen angesehen wurde, sondern auch die Schule das Engagement der Schüler unterstützte.
Parallel dazu fand ein Einführungskurs in Film- und Kameratechnik unter der Leitung des Sächsischen Ausbildungs- und Erprobungskanals in Leipzig und in Bautzen statt (www.saek.de), der den Schülern ermöglichen sollte, die Gespräche mit den Vertriebenen selbstständig aufzeichnen zu können. Die Projektteilnehmer erhielten durch den Filmkurs nicht nur einen Einblick in alle Abläufe einer Dokumentarfilmproduktion sondern übernahmen selbstständig alle Aufgaben zur Durchführung und Fertigstellung des Projektes.
Ab Dezember 2004 wurden die Folgen des Zweiten Weltkrieges insbesondere die Vertreibungen Deutscher und Polen in den Mittelpunkt des Geschichtsunterrichtes gestellt. Es zeigte sich, dass es für die Jugendlichen schwer zu verstehen war, dass Staatsgrenzen verschoben werden können und welche Folgen die so genannte ‘Westverschiebung’ Polens hatte. Das Thema der Vertreibungen war den Jugendlichen in Deutschland und in Polen zuvor kaum bekannt. Im Laufe der wöchentlichen Treffen interessierten sich die Jugendlichen vor allem für das Schicksal der Menschen während der Vertreibung und für die aktuelle Debatte um das ‘Zentrum gegen Vertreibungen’.
Die Schüler erstellten eigenständig Fragebögen, die ihnen als Vorlage für die Interviews dienen sollten. Hierbei erarbeiteten die Jugendlichen Fragen, die aus heutiger Perspektive für sie wichtig waren, aber auch Vergangenheit und Zukunft betrafen. Im Februar 2005 kam es zu dem ersten Treffen zwischen Jugendlichen und Zeitzeugen. Die Leipziger Gruppe traf sich im Polnischen Institut Leipzig mit sieben ausgewählten Zeitzeugen aus ganz Deutschland. In der als Studio umgebauten Bibliothek interviewten die Schüler die Vertriebenen, die über ihre Erlebnisse aus der Vergangenheit berichteten, aber auch mit den Schülern über ihre Zukunft in Europa sprachen.
Die Interviews der polnischen Zeitzeugen mit den Schülern aus Marcinowice erfolgten Ende Februar 2005 in den Häusern der Vertriebenen. Während für die deutschen befragten Vertriebenen der Umgang und die Gespräche vertrauter waren, erforderte die Vorbereitung auf die Gespräche in Polen mehr Zeit. Diese Projektphase war besonders in der Zeit der Debatte um das ‘Zentrum gegen Vertreibungen’ schwerer zu realisieren.
Anders als in Deutschland wird die Vertreibung erst nach dem Jahr 1989 in der Öffentlichkeit diskutiert und aufgearbeitet. Gerade in kleineren Städten werden die Ereignisse auch heute selten thematisiert. Mit den Herausforderungen der Projektarbeit, die sich für die polnischen Schüler zunächst als völlig neue Erfahrung darstellte, lernten die Schüler sehr schnell umzugehen und waren offen für die Gespräche mit den Zeitzeugen.
In der Auswertungsphase wurde das Filmmaterial von den Schülern gesichtet und geschnitten. In Leipzig erfolgte dieses in wöchentlichen Treffen der gesamten Gruppe, in Polen durch die ausgewählte Gruppe, die sich für Filmschnitt interessierte. Der SAEK in Leipzig und Bautzen unterstützte die Schüler während des Filmschnitts, ließ ihnen bei der Auswahl und der Gestaltung freie Hand.
Das Ergebnis beinhaltet zwei ähnlich strukturierte Dokumentationen der Begegnungen mit Jugendlichen und Vertriebenen aus Deutschland und Polen, die neben den Aufzeichnungen der Gespräche auch Kommentare der Schüler beinhalten. Diese zeigen, dass für die Schüler die Begegnung mit den Zeitzeugen eine ganz besondere Möglichkeit darstellte, Geschichte zu erleben.
Die letzte Projektphase bildete ein Jugendaustausch im April 2005. Die Leipziger Projektgruppe reiste mit ihrem Film nach Marcinowice, um die polnische Projektgruppe kennen zu lernen und Erfahrungen über das Projekt auszutauschen.
Die beiden Filme wurden am Ende des Jugendaustausches in Marcinowice vorgestellt. Die Präsentation der Filme stellte für beide Gruppen den Höhepunkt des Projektes dar und bildete das verbindende Element zwischen den Gruppen.
Für die deutschen Schüler war der Austausch in Marcinowice der erste Besuch in ihrem Nachbarland Polen. Die deutschen Teilnehmer reisten mit großem Interesse und Neugier nach Polen. Die sonst bekannten Vorurteile spielten innerhalb der Projektgruppe kaum eine Rolle, wobei die Schüler bestätigten, dass es sich bei ihnen und der Partnergruppe um Ausnahmen handeln würde. Andere Schüler besäßen diese Stereotype noch.
Die Offenheit beider Gruppen an einem deutsch-polnischen Projekt teilzunehmen bestätigte sich auch in der Offenheit die Partnergruppe kennen zu lernen. Die Schüler verständigten sich entweder auf deutsch oder auf englisch während der Zeit in den Familien. Alle Aktivitäten und Ausflüge wurden sonst durch die Begleitpersonen übersetzt. Neben Diskussionen zu den Projekterfahrungen nahmen die Schüler gemeinsam am Deutsch- und Geschichtsunterricht teil. Desweiteren besuchten Sie die Sehenswürdigkeiten in der Umgebung und wichige deutsch-polnische Gedenkstätten, wie zum Beispiel die Begegnungsstätte Kreisau. Das Programm des Schüleraustausches konzentrierte sich vor allem auf den Austausch der Filme, ermöglichte dennoch ein Kennen lernen der Region und der Projektpartner.
Die Dokumentation der persönlichen Erinnerungen deutscher oder polnischer Vertriebenen durch Jugendliche stellt eine Möglichkeit dar, zu der Aufarbeitung und zur Erinnerung der Vertreibungen beizutragen. Die Kombination aus Medien und Begegnungen erwies sich als geeignete Methode 15- bis 17-jährige Schüler für ein zunächst schweres historisches Thema zu interessieren. Die Projektteilnehmer erhielten nicht nur einen Einblick in alle Abläufe einer Dokumentarfilmproduktion sondern übernahmen selbstständig alle Aufgaben zur Durchführung und Fertigstellung des Projektes. Die Begegnungen mit Zeitzeugen aber auch die Begegnung der deutschen und polnischen Projektgruppen waren den Aussagen nach die wichtigsten Erfahrungen für die Teilnehmer. Für beinahe alle deutschen Schüler war der Austausch in Marcinowice der erste Besuch in ihrem Nachbarland Polen. Die Präsentation der Filme und die Diskussion stellten für beide Gruppen den Höhepunkt des Projektes dar und bildeten das verbindende Element zwischen den Gruppen.
Nach dem Jugendaustausch sollen die Kontakte in einer Schulpartnerschaft zwischen dem Immanuel-Kant-Gymnasium aus Leipzig und dem Gymnasium in Marcinowice fortgesetzt werden. Somit hatte die Beschäftigung mit dem Thema der Vertreibung nicht nur die Begegnung zwischen zwei Generationen zur Folge sondern brachte deutsche und polnische Jugendliche im Bewusstsein für ihre Geschichte zusammen. Die Ergebnisse des Projektes wurden im Laufe der Jahre 2005 und 2006 auf verschiedenen Veranstaltungen im Rahmen des Deutsch-Polnischen Jahres in Deutschland und in Polen durch die Jugendlichen präsentiert.