Aufgeregt und kontrovers wird gerade jetzt wieder in Deutschland über eine Begrenzung der multikulturellen Gesellschaft diskutiert. In Namibia ist das Neben- und Miteinander verschiedener Traditionen und Kulturen eine selbstverständliche Grundlage des Staates.
Hier leben Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Herkunft und Sprache. Die Entwicklung zu einem friedlichen Zusammenleben ist seit vierzehn Jahren möglich, seit der Staat Namibia unabhängig ist. Die Geschichte des Landes bis zu diesem Zeitpunkt war eine Geschichte der kriegerischen Auseinandersetzung, des Kolonialismus, der Apartheid.
Die Beschäftigung mit der Geschichte ist daher eine Notwendigkeit und eine Chance für die Integration der Gesellschaft.
In der DHPS (der Deutschen Höheren Privatschule), gegründet schon zu Zeiten des Kolonialismus, lernen und arbeiten heute Schüler und Schülerinnen aller namibischen Bevölkerungsgruppen zusammen - allerdings sind die Mehrheitsverhältnisse in der Schule gegenüber denen in der Gesellschaft umgekehrt: die deutschsprachigen Jugendlichen sind in der Mehrheit, jeweils drei deutschsprachige und nur eine englischsprachige Klasse werden in einem Jahrgang unterrichtet.
Hinter der Bezeichnung „englischsprachig“ steht aber keine homogene Gruppe. Im Gegensatz zu den deutschsprachigen Schüler/innen sind sie nicht weißer Hautfarbe - bei dieser Äußerlichlichkeit bestehen aber vielfältige kulturelle Hintergründe: die Schüler/innen sind ursprünglich afrikaans- , otjiherero- , oshiwambo- , nama-damara-sprachig - kooperativ bilden diese Schüler und Schülerinnen eine wirkliche multikulturelle Gemeinschaft.
Aber die „Begegnungsschule“ DHPS möchte auch zu mehr selbstverständlichem Miteinander der Jugendlichen verschiedener Hautfarbe beitragen. Ein Projekt zur namibischen Geschichte hat im Jahr 2004 einen erfolgreichen Schritt in diese Richtung getan.
Die Vorüberlegungen für dies Projekt, das die Multikulturalität einbeziehen und thematisieren sollte, gingen davon aus, dass die konkrete Auseinandersetzung mit der Geschichte ein Bewusstsein von der eigenen Bedeutung im Prozess der Geschichte fördert und damit das Interesse an der Vergangenheit und den politischen Ereignissen der Gegenwart stärkt. Ein wesentliches Ergebnis sollte dann das Interesse an der Geschichte „der anderen“ sein, das zu Gesprächen und zu Situationen der Begegnung führen würde.
Ausgehend von dem großen Interesse der Schüler/innen einer 7. und einer 8. englischsprachigen Klasse an ihrer namibischen Geschichte - einer Geschichte, die weniger in Lehrbüchern als in der eigenen Lebenswelt, in lebendigen Traditionen, in mündlicher und schriftlicher Überlieferung der Familie zu entdecken ist - gründeten wir eine Arbeitsgemeinschaft, die zu vielfältigen Arbeits- und Ausdrucksformen führte.
Besuche im Museum der Stadt Windhoek führten den Kindern vor Augen, dass ihnen vertraute Gegenstände wie Körbe, Tontöpfe, traditionelle Spiele Zeugnisse ihrer Kultur sind, die ausstellenswert sind. Im Nationalarchiv sahen sie Fotografien, Karten und Schriftstücke, deren Inhalt und Aussage ihnen Anregungen für weitere Fragen, Forschungen und Gestaltungen gab. So konstruierte Toteya mit Gras, Wollfäden und Pappe verschiedene Behausungen, die die Unterschiede in der Bauweise bei Buschleuten, Ovambo und Europäern aufzeigte; Emily zeichnete ein Bild, das den Weg ihrer Mutter ins Exil illustriert; andere Kinder brachten Fotos und Dokumente ihrer Familie mit zur Schule und stellten sie der Gruppe vor. Bereits an dieser Stelle wurde erkennbar, wie bedeutsam diese Erfahrungen für die Erweiterung eines eigenen Geschichtsbewusstseins waren.
Angesichts des Gedenkjahres 2004 - 100 Jahre nach der Schlacht zwischen der deutschen „Schutztruppe“ und der Herero am Waterberg - entwickelte das Projekt eine ganz besondere Dynamik. Über die Besichtigung, analysierend-vergleichende Beschreibung und Interpretation verschiedener Denkmäler in Windhoek wandten wir uns der Kolonialgeschichte zu - im Jahr 2004 war diese auch in der aktuellen Berichterstattung präsent. Die dreizehnjährige Winnie schrieb ein Gedicht und malte ein Bild, in dem sie ihrer Gegenwart, so wie sie sie erlebt, die Situation von 1904 gegenüberstellt: „In unserer Schule erfahren wir, dass wir alle zusammen lernen und arbeiten können“, sagte sie, während es einhundert Jahre zuvor Diskriminierung und Krieg gab.
Aufgrund dieser Wahrnehmung nahmen die Jugendlichen nicht nur das Angebot, sich an der Gedenkfeier in Ohamakari zu beteiligen, begeistert an, sondern sie wollten bei dieser Gelegenheit gern auch Mitschüler/innen aus den deutschsprachigen Klassen dabei haben. So stand am 14. August eine Gruppe von Jugendlichen auf der Bühne am Waterberg, die nicht nur die verschiedenen afrikanischen Sprachen und Kulturen Namibias, sondern auch die damaligen Kontrahenten des Kolonialkriegs repräsentierte - und damit den vielbeschworenen „Geist der Versöhnung“ verkörperte. In ihren verschiedensprachigen Botschaften - der oshivambosprachige Nangolo überbrachte sie in Deutsch, Maren, muttersprachlich deutsch, in Nama-Damara - drückten sie ihre Wünsche und Visionen hinsichtlich einer friedlichen Zukunft für alle Namibier aus. Darin hieß es auch: „Wir möchten die verschiedenen Kulturen und Sprachen Namibias erhalten - aber wir möchten auch eine gemeinsame Sprache für uns alle!“
Dass ihr Beitrag von der Presse wahrgenommen wurde, führte nochmals zu einer Reflexion der Jugendlichen über die Bedeutung der Gedenkfeier und ihre eigene Beteiligung daran: „Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen mir zugehört haben und dass ich sie überzeugen konnte“, sagte Namtago anschließend und Sabine meinte: „Wir waren da wirklich ein Teil der Geschichte!“
In einem anschließenden Projekt zur Erforschung der eigenen Familiengeschichte arbeiteten die Schüler/innen klassenübergreifend. In einer größeren Veranstaltung für den ganzen achten Jahrgang stellten sie sich die Biographien ihrer Familien in englischer und deutscher Sprache gegenseitig vor. Dabei gab es auch emotionale Situationen, etwa als Clemensia über das harte Leben ihrer Großmutter sprach, die unter Armut und Diskriminierung durch das Apartheidssystem litt oder wenn ein deutschsprachiger Schüler berichtete, dass sein Urgroßvater als Soldat der Schutztruppe ins Land gekommen war. Erstaunlich für alle Schüler/innen war es zu hören, in wie vielen Familien es deutsche und afrikanische Vorfahren gibt - allerdings traf dies nur für die Familien der englischsprachigen Schüler/innen zu.
Die Arbeit des ganzen Schuljahrs in den verschiedenen Projekten mündete in einer Ausstellung zum Schuljahrsende, zu deren Eröffnung wiederum Jugendliche aus den verschiedenen beteiligten Klassen Ergebnisse ihrer Arbeit vorstellten.
Die Teilnehmer der AG möchten im nächsten Jahr weiter zusammen arbeiten: „Wenn ich mehr über die Vergangenheit weiß, verstehe ich meine Gegenwart besser!“