"Wir atmen nicht. Der Ort ist nahe Jedenew, wir hören die Jedenewer Bauern singen, grölen, Klarinette, Akkordeon spielen und hören ihre Lieder seit Stunden bereits, alte Partisanenlieder, sie spielen und singen und grölen auf wundersame Weise melodiös. Seit Stunden sitzen die Jedenewer Bauern im Wald hinterm Haus und trinken und lachen und singen und spielen, und nach Stunden erst, endlich, hören wir sie aus dem Wald heraustreten und lauthals singend über den Wall in den Garten marschieren. Nachts klirren die Fenster in der Küche, dann klirrt jedes einzelne Fenster im Haus.
Abends sitzen wir hinterm Haus in der Hochsommerabendsonne auf dem schmalen Holzsteg, der auf den Teich hinterm Haus hinausführt, und sitzen und liegen und schwimmen in der Sonne und sitzen lesend zusammen und trinken die erste und letzte Sommerbowle des Jahres, schwimmen und bespritzen uns gegenseitig mit Wasser, nachts hocken wir in Badeanzügen in die Speisekammer gedrängt."
Der Roman beginnt und endet mit Mord und Plünderung auf einem Bauernhof in einem polnischen Ort nahe Litauen. Dazwischen erzählt er von Feldern im Abendlicht, von einem Baumhaus - gebaut gegen lauernde Gefahren, von Marian und Antonina und ihrer neugeborenen Tochter Julia, von Anna und Zygmunt und Wasznar, davon wie Sommer für Sommer die Kindheit zu Ende geht.
Immer wieder kommt Vennemann dabei auf jenen Tag zurück, an dem die katholischen Nachbarn kommen, die polnisch-jüdischen Familien ermorden und gemeinsam mit den deutschen Besatzern die Höfe ihrer Nachbarn plündern und Feuer legen.
Kevin Vennemann kreist erzählend um seine Protagonistinnen, er schreibt die Geschichte fort um immer wieder auf ihren Beginn zurückzukommen. Er schreibt langsam, in einem Tempo, das mühsamem Erinnern eine schwer verstehbare Geschichte gleicht, eine Geschichte vor allem, die lang zurück liegt. Vennemann rekonstruiert sie beschreibend, er erklärt nicht, warum aus guten Nachbarn Mörder werden.
Georg Dietz schreibt in der "Zeit": "Es ist das Buch einer Generation, die sich nicht mehr die Frage stellt, wie sie sich zu deutscher Schuld verhalten soll - diese Geschichte ist für sie, das sagt "Nahe Jedenew", vor allem eine Geschichte.[...] Es ist auch ein Buch, das glatt ist und geschickt und einen Blick öffnet auf eine Generation, für die sich mit dem Thema deutsche Schuld keine Versteifungen, aber womöglich auch wenig Verpflichtungen verbinden. Vennemann hat der traurigen alten Weise keine neuen Einsichten hinzugefügt, aber einen neuen, eigenen Ton."