Deutsche Berichte über den Bombenkrieg gegen Deutschland gibt es viele. Insbesondere wenn an die katastrophalen Bombardements in der Endphase des Zweiten Weltkrieges erinnert und der Opfer gedacht wird, wie in Dresden, dann kommen in den Medien die Zeitzeugen zu Wort.
Aber wie ging es ausländischen Journalisten, die in Berliner Luftschutzkellern saßen, wenn ihre Landsleute die deutsche Hauptstadt bombardierten, woran dachten Schweden, die in ein Flächenbombardement kamen, was empfanden amerikanische Kriegsgefangene, wenn ihre Kameraden Bombenlasten über ihnen entluden, was dachten die Bomberpiloten, die unter sich ein Flammenmeer aufgehen sahen? Wie erlebte ein französischer Kollaborateur das Ende des "Dritten Reichs"?
Der Berliner Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich hat sich ausgehend von W.G. Sebalds Essay aus dem Jahre 1997 "Luftkrieg und Literatur", in dem dieser die Frage behandelte, weshalb eigentlich ausländische Zeugen in der deutschen Auseinandersetzung mit dem Luftkrieg bisher kaum eine Rolle spielten, auf die Suche nach solchen Zeitzeugenberichten gemacht und Erstaunliches zusammengetragen: Die Liste der Autoren, die er in dem Band versammelt, reicht von bekannten Schriftstellern wie Louis-Ferdinand Celine, Curzio Malaparte und Kurt Vonnegut bis zu bedeutenden Journalisten wie William Shirer und Martha Gellhorn um nur einige zu nennen.
Anhand ihrer zum Teil noch unveröffentlichten Berichte, Tagebuchaufzeichnungen und Rundfunksendungen wird der Luftkrieg gegen Deutschland nachgezeichnet von den Anfängen, als man in Deutschland über die britischen Bomber noch scherzte wie Göring, der bekanntlich Meier heißen wollte, wenn deutsche Städte vom Feind bombardiert werden sollten, bis zum traumatischen Ende der totalen Zerstörung.
Die Autoren reisten durch Deutschland im Auftrag von Zeitungen ihrer Heimatländer, sie begleiteten als Reporter Angriffsflüge, als Kriegsberichtserstatter die Truppen der Alliierten, sie nahmen an offiziellen Rundfahrten teil, die von der deutschen Regierung organisiert wurden. Sie hatten beruflich in Deutschland zu tun oder besuchten Verwandte, sie kamen als Politiker, Diplomaten oder als humanitäre Helfer. Sie flohen vor der Sowjetarmee oder vor den Befreiern Frankreichs, sie gerieten in Kriegsgefangenschaft, wurden in deutschen Gefängnissen gefoltert, oder in Konzentrationslager verschleppt. Sie alle waren Augenzeugen des Bombenkriegs gegen Deutschland.
Worin unterscheiden sich diese ausländischen Berichte aus dem "Dritten Reich" von den deutschen? Reisende sehen anders, so Lubrich, sie nehmen etwas als auffällig, befremdlich, eben anders wahr als Einheimische. Erst der fremde Blick auf den Bombenkrieg macht es möglich, die deutsche Sicht auf die Geschehnisse - die damalige wie die gegenwärtige, die bekannte wie die literarische - richtig einzuordnen.
Die Bewertung der Bombenangriffe aus dem direkten Mit-Erleben und nicht etwa aus einer historischen Nachbetrachtung heraus, die emotionale Gemengelage zwischen dem politischen Wunsch nach Zerstörung des "Dritten Reichs" und der lebensbedrohlichen Wirklichkeit, die sich daraus ergab, die ästhetische Annäherung an den Schrecken und die Ästhetik des Schreckens selbst - all dies macht diese "Berichte aus der Abwurfzone" zu einer überaus faszinierenden Lektüre.
Oliver Lubrich, geboren 1970 in Berlin, unterrichtet seit 1999 am Institut für Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaften der FU Berlin. 2004 erschien in der Anderen Bibliothek bereits die von ihm herausgegebene Anthologie „Reisen ins Reich 1933-1945. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland“.
Die hier vorgestellte neue Anthologie „Ausländer erleben den Bombenkrieg in Deutschland 1939-1945“ ist gewissermaßen eine Fortsetzung. Herauszuheben sind Lubrichs umfangreiche, überaus kenntnisreiche und gedanklich anspruchsvolle Einleitung des Bandes sowie die ausführlichen Quellennachweise. Auch jeden einzelnen Text versieht er mit sorgfältigen biographischen Anmerkungen, ordnet die Unterschiede der Reisen, die politische Einstellung der Autoren und den historischen Kontext jeweils ein. Dieser Band ist nachdrücklich allen am erinnerungspolitischen Diskurs Beteiligten zu empfehlen und vor allem für die schulische und außerschulische historisch-politische Bildungsarbeit