K. Ruchniewicz, J. Zinnecker, Jürgen (Hg.): Zwischen Zwangsarbeit, Holocaust und Vertreibung. Polnische, jüdische und deutsche Kindheiten im besetzten Polen |
K. Ruchniewicz, J. Zinnecker, Jürgen (Hg.): Zwischen Zwangsarbeit, Holocaust und Vertreibung. Polnische, jüdische und deutsche Kindheiten im besetzten Polen |
Oft wird beklagt, dass bald Opfer der NS-Verbrechen als Zeitzeugen nicht mehr ihre Erfahrungen heutigen Jugendlichen erzählen können. Dabei wird übersehen, dass gerade die Generation der Kriegskinder sich vielfach erst jetzt mit ihren in früher Kindheit und Jugend erlittenen Traumata durch Krieg, Besatzungspolitik, Zerstörung, Flucht, Vertreibung, erzwungene Trennung oder Verlust von Eltern und Geschwistern, sowie den Folgen des Zweiten Weltkrieges auch unter kommunistischer Diktatur auseinandersetzt und darüber zu sprechen bereit ist.
Der Autor Peter Hartl, Historiker, Journalist und Filmautor, arbeitet seit 1991 in der Redaktion Zeitgeschichte beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF). Er hat Gespräche mit solchen Betroffenen geführt und schildert exemplarisch und eindrücklich sieben Schicksale aus der Perspektive und Gefühlslage der damaligen Kinder und Jugendlichen.
Kinder wurden in dem Glauben an die NS-Ideologie erzogen und mussten dann erfahren, dass sie selbst nicht "dazugehörten". Sie hatten als Kinder von Besatzungssoldaten unter der Ablehnung ihrer Umgebung, auch der eigenen Müttern zu leiden oder mussten ihre Herkunft verleugnen. Sie wurden in Osteuropa ihren Eltern mit Gewalt weggenommen, in Waisenhäusern oder zwangsadoptiert bei ideologisch "zuverlässigen" Familien im Sinne des jeweiligen Regimes erzogen.
Erst Jahre nach dem Untergang der beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts, dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus/Realsozialismus konnten sie nach mühevollen und seelisch äußerst schmerzlichen Recherchen ihre wahre Identität finden. Die gerade für Jugendliche sehr geeignete Darstellung dieser dramatischen Lebensgeschichten verweist auf unzählige ähnliche Schicksale.
Zum Beispiel wurden allein aus Polen nach 1939 ca. 200 000 Kinder wegen ihres sogenannten arischen Aussehens geraubt und mit gefälschten Namen und Geburtsdaten zur Adoption in deutsche Familien gegeben. Der heute in Warschau lebende Alojzy Twardecki, dessen Geschichte im ersten Kapitel “Der verlorene Sohn“ erzählt wird, war eines dieser Kinder. Viele Tausende dieser Verschleppten auch aus der ehemaligen Sowjetunion leben heute in Deutschland, ohne ihre leiblichen Eltern zu kennen.
Geschildert wird auch das bis heute ungeklärte Schicksal zweier deutscher Waisenkinder, die in den Wirren der Nachkriegszeit aus einem Heim in Brandenburg nach Kaliningrad verschleppt und in russischen Kinderheimen zu gläubigen Sowjetbürgern erzogen wurden.
Das Buch verweist auf viele noch wenig beachtete und bearbeitete historische Tatsachen der Geschichte des 20. Jahrhunderts und fordert dazu auf, weiter nachzufragen und nachzuforschen.