Dass die Aufgabe, Comicstrips zur Geschichte des Konzentrationslagers und Gedenkortes Sachsenhausen zu entwickeln, keine einfache sein würde, war allen Beteiligten im Vorhinein klar, umso erfreulicher ist, dass es sich um eine Aufgabe handelt, die – so der Teilnehmer des Comicworkshops "Unterm Strich" – , wenn auch nicht einfach, so doch lösbar ist.
"Unterm Strich" fand im Rahmen des Modellprojekts kunst - raum - erinnerung im November 2008 in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Sachsenhausen statt und war ein Versuch, das Feld Geschichtslernen mit Comics in eine Richtung zu erweitern, die unseres Wissens bislang selten eingeschlagen wurde: Es sollte nicht, wie sonst häufig, mit bereits veröffentlichten Comics gearbeitet werden, sondern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer entwickelten selbst kurze Comicstrips zur Geschichte und Gegenwart der nationalsozialistischen Verbrechen.
Fünf Tage im November 2008 arbeiteten 10 Schülerinnen und Schüler und 2 Lehrerinnen des Oberstufenzentrums Eberswalde aus dem Fachbereich Gestaltungstechnik gemeinsam mit dem Berliner Comiczeichner und Illustrator Christian Badel in der Jugendbegegnungsstätte.
"Unterm Strich" war einer von insgesamt sieben Kunstworkshops, die im Rahmen von kunst - raum - erinnerung im Herbst 2008 stattfanden. All diesen Workshops ist gemein, dass sie konzeptionell als Verbindung von künstlerischem Arbeiten und historisch-politischer Bildung angelegt waren. Der Anspruch war dabei, dass diese Verbindung beiden Teilen gleichermaßen gerecht wird: Weder darf die Kunst als pädagogische Methode instrumentalisiert und damit Mittel zum Zweck werden, noch kann es sinnvoll sein in Workshops, die an Gedenkorten stattfinden, auf historisch-politische Bildung zur Geschichte des Nationalsozialismus zu verzichten.
Für die Arbeit werden künstlerische Ansätze aufgegriffen, die auf Beteiligung angelegt sind, Kunst als Handlungs- und Kommunikationsform begreifen, die vor allem im Prozess und nicht allein im Resultat sichtbar und bewusst wird. Die künstlerische Tätigkeit ermöglicht es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, ihre Emotionen, Gedanken und Erfahrungen in die Auseinandersetzung mit der Geschichte einzubringen und darüber mit anderen in einen Dialog zu treten.
Die Interessen und Fragen der Jugendlichen stehen bei den Workshops im Mittelpunkt, der Diversität der Teilnehmerinnen wird Raum gegeben und eine Reflexion verschiedener Bezügen zur Geschichte des Nationalsozialismus angeregt. Auf diese Weise werden den Teilnehmern während der Auseinandersetzung mit den Gedenkorten in größerem Maße als bisher Denk- und Handlungsräume eröffnet.
Im Comic-Workshop kreiste die Auseinandersetzung einerseits um das Medium Comic, zum anderen beschäftigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer intensiv mit der Geschichte der Konzentrationslager und der nationalsozialistischen Massenverbrechen. Mehrfach waren die Jugendlichen in der Gedenkstätte auf Spurensuche, zum Teil mit Begleitung durch einen Mitarbeiter der pädagogischen Abteilung, zum Teil auf eigene Faust. Im Gedenkstättengelände und in den Ausstellungen suchten sie nach Ansätzen für eine Geschichte, die sie als Comic verarbeiten wollten. Nachdem sie einen Ansatzpunkt gefunden hatten, wurde Bild- und Dokumentationsmaterial gesichtet, das ihnen für die Entwicklung "ihrer Geschichte" wichtig erschien.
Daneben vermittelte Christian Badel in mehreren Einheiten das technische Know-How, das für das Comiczeichnen wichtig ist. Er entwickelte gemeinsam mit den Teilnehmern Stilmittel, Bildsprache und Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums Comic, brachte ihnen die Bedeutung von Perspektive, Bildausschnitt und Bildkomposition näher und führte sie in die technischen Möglichkeiten der Montage und der Arbeit am Lichttisch ein. Diese grafischen Fertigkeiten und Techniken wurden gewiss nicht zur Perfektion gebracht, denn letztlich ging es vor allem darum, den Jugendlichen die Augen für die ästhetischen Möglichkeiten zur Produktion einer eigenen Geschichte zu öffnen.
So entstanden im Verlauf der Woche insgesamt zwölf Bildgeschichten zu unterschiedlichen Themen, die am Ende des Workshops als Druckdateien fertig vorlagen. Immer wieder wurden die Storyboards im Verlauf des Workshops mit einem Mitarbeiter der Gedenkstätte besprochen, denn auch wenn das Medium Comic zu Vereinfachung und Kürzung zwingt, sollte das nicht zu Lasten der geschichtlichen Fakten gehen.
Diesen Spagat zwischen historischer Präzision einerseits und künstlerischer Freiheit zur Reduktion von historischer Komplexität andererseits mussten die Beteiligten aushalten, bzw. auflösen. Denn dass auch in einer einfachen und kurzen Geschichte die Komplexität der historischen Situation zumindest aufscheinen kann, ist eine Erfahrung, die die Jugendlichen im Verlauf der Arbeit machten.
Neben dem Auffinden von historischen Ungenauigkeiten, schufen die Gespräche mit dem Kollegen der Gedenkstätte für die Jugendlichen eine Situation, in der sie ihr Storyboard plausibel machen und ihre Perspektive auf das Geschehene reflektieren mussten. Und wenn die Visualisierung ihrer Geschichte sie vor Schwierigkeiten stellt, war hier die Möglichkeit geboten, nachzufragen und Hinweise auf Quellenmaterial oder Literatur, die weiterhelfen könnte, zu bekommen. So waren einige Fragen, die im Verlauf des Workshops aufkamen, auf erstaunliche Details fokussiert. Ob beispielsweise die Häftlingsärzte im Krankenrevier des KZ Sachsenhausen untereinander per "Du" oder per "Sie" waren, war auch für den Kollegen von der Gedenkstätte nicht ohne weiteres zu beantworten.
Solches Detailinteresse zeugt vor allem für eines: Dass es im Workshop gelungen ist, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Möglichkeit zu eröffnen, eigene Fragen an die Geschichte des Konzentrationslagers Sachsenhausen zu entwickeln und diesen Fragen selbstbestimmt nachzugehen.
Dass die Teilnehmer während der fünf Tage in der Jugendbegegnungsstätte viel über die Geschichte des Konzentrationslagers und der Gedenkstätte Sachsenhausen gelernt haben, wird in den Evaluationsbögen deutlich. Fast alle schreiben, dass sie „viele Sachen über die Zeit hier damals“ erfahren und „viele Eindrücke gesammelt“ haben, von denen sie „sehr zum Denken angeregt“ wurden. Ebenso deutlich wird in den Bögen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer viel über technische und gestalterische Möglichkeiten des Comiczeichnens gelernt haben.
Inwieweit sie nach dem fünftägigen Workshop tatsächlich in der Lage sind, diese handwerklichen Techniken anzuwenden, um eine Comicfigur zu entwickeln, ihr Authentizität und Lebendigkeit zu verleihen und sie in einer plausiblen Story zu verorten, lässt sich von Außenstehenden kaum beantworten. Aber dass Christian Badel ihnen zumindest Ideen für Gestaltungsmöglichkeiten vermittelt hat, die für die Teilnehmer unter Umständen auch berufsbiografisch relevant werden können, ist deutlich zu sehen.
Auf die Frage: "Hast du bei diesem Projekt etwas Neues erfahren und gelernt? Was?" antworten auffallend viele Schülerinnen und Schüler ähnlich wie diese: „Ich habe viele neue Informationen über das KZ erfahren, welche ich sehr interessant fand. Gelernt habe ich, wie man systematisch einen Comic zeichnet.“
Mehr Information über das Projekt kunst - raum - erinnerung gibt es unter: http://www.bildungsverbund.net