Zu der Frage, wie in den Gedenkstätten, die an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern, konkret zu Demokratie gebildet werden kann, realisierte das Jugendgästehaus Dachau gemeinsam mit der Akademie Führung & Kompetenz am Centrum für angewandte Politikforschung (C.A.P.) München, dem Fritz Bauer Institut Frankfurt, der Gedenkstätte Buchenwald, der Gedenkstätte Mittelbau-Dora und der Gedenkhalle Oberhausen im Jahr 2006 ein Pilotprojekt.
Denn der Anspruch, dass Gedenkstätten auch mehr als sechzig Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager nicht lediglich historisches Wissen vermitteln sollen, sondern politische und moralische Haltungen positiv beeinflussen können, prägt sowohl das Außenbild als auch das Selbstverständnis der Einrichtungen.
Die Realisierung des Anspruchs beschreiben die Projektautor/innen wie folgt: "Eine gängige Praxis des Demokratielernens ist bislang, Aktualisierungspotenziale in tagespolitischen Ereignissen zu suchen, die zur Geschichte des Nationalsozialismus in Bezug gesetzt werden. Eine weitere Praxis verzeitlicht das Problem, indem auf die abschreckende Wirkung der Geschichtserzählungen und die Nachhaltigkeit eines Gedenkstättenbesuchs gesetzt wird. Eine dritte versucht, die Gedenkstättenpädagogik durch Arbeitsweisen aus dem Bereich der Demokratie- und Menschenrechtsbildung zu ergänzen.“
Letztgenannter Ansatz wurde im Pilotprojekt umgesetzt. Dafür wurden verschiedene Seminarabläufe konzipiert, in denen Ansätze der Gedenkstättenpädagogik mit Ideen aus Konzepten der Demokratie- und Toleranzbildung verbunden wurden. Im Ergebnis wurden in vier Testseminaren erste Lösungsansätze identifiziert, in welcher Form Demokratielernen integrativ in Seminaren in und bei Gedenkstätten realisiert werden kann.
Das Einfügen von Seminareinheiten zu Themen wie „Diskriminierung und Rassismus heute“ stellte sich dabei ebenso wenig als Schlüssel zum Erfolg eines „Lernens aus der Geschichte für die Gegenwart“ heraus, wie die Thematisierung aktueller politischer Fragen. Solche mehr oder weniger schiefen Analogien zu den nationalsozialistischen Verbrechen, an die am historischen Ort erinnert werden, behindern vielfach sowohl das historische Lernen als auch das Demokratielernen.
Demokratiebildung in/bei Gedenkstätten, so die Projektautorinnen und -autoren, realisiert sich hingegen primär in der Erfahrung und Reflexion eines demokratischen und offenen Bildungsprozesses sowie eines wertschätzenden Umgangs miteinander. Dieses auf den ersten Blick höchst selbstverständlich anmutende Postulat fordert einen Wandel der Ausrichtung gedenkstättenpädagogischer Arbeit. Nicht mehr die umfassende und möglichst vollständige Vermittlung der Geschichte(n) steht im Vordergrund sondern eine wirkliche Orientierung an den Bedürfnissen der (jugendlichen) Besucherinnen und Besucher.
Die Projektautorinnen formulieren dies wie folgt: „Der Schwerpunkt inhaltlicher Vermittlung sollte daher auch weiterhin auf der Geschichte der konkreten Orte und deren Kontextualisierung liegen. Wir haben jedoch in unserem Projekt gelernt, dass es künftig noch viel mehr darum gehen sollte, die Interessen und Bedürfnisse der jugendlichen Adressat/innen im Arbeitsprozess sichtbar zu machen, ihnen eine wirkliche Mitwirkungsmöglichkeit an der Schwerpunktsetzung der Seminare zu geben und Transparenz des Vorgehens zu gewährleisten. Das impliziert unter anderem die Bereitschaft, auf die Vermittlung wesentlicher Inhalte zu verzichten. Das Spannungsverhältnis, das zwischen dieser Herangehensweise und dem 'Auftrag' und Anspruch der Gedenkstättenpädagogik besteht, historisch differenzierte Kenntnisse zu vermitteln, die in ihrer geschichtswissenschaftlichen Genauigkeit auch als Zeichen der Würdigung der Opfer der Verbrechen anzusehen sind, lässt sich nicht auflösen. Es ist aber künftig stärker zugunsten der konkreten Bedürfnisse der beteiligten Menschen auszubalancieren.“
Die Verschriftlichung des Pilotprojekts ist unter http://www.fritz-bauer-institut.de/texte/dokumente/Aus-der-Geschichte-le... abrufbar. Aus dem beschriebenen Pilotprojekt konnte ein Folgeprojekt entwickelt werden. Gefördert im Bundesprogramm „Vielfalt tut gut“ und unterstützt durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beschäftigt sich das Projekt „Gedenkstättenpädagogik und Gegenwartsbezug“ mit der Initiierung und Etablierung eines Fachaustausches, der auf eine zeitgemäße Fundierung von Gedenkstättenpädagogik (unter der Fragestellung Demokratieförderung) orientiert ist sowie die Verständigung auf gemeinsame Qualitätsstandards. Auch die Entwicklung, Diskussion, Evaluation und Implementierung von Fortbildungskonzepten für Multiplikator/innen mit bundesweiter (und internationaler) Reichweite ist geplant.
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie unter: http://www.jgh-dachau.de/2/projekte/