Die Auseinandersetzung mit Kriegen und staatlichen Gewaltverbrechen der jüngeren Vergangenheit schien nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein spezifisch deutsches Thema zu sein. Am Ausgang des 20. Jahrhunderts hat juristische und moralische Aufarbeitung von Vergangenheit weit über Deutschland und Europa hinaus Bedeutung erlangt. Spätestens seit dem Ende der Militärdiktaturen in Lateinamerika, des rassistischen Apartheidregimes in Südafrika im Laufe der 1980er und frühen 1990er Jahre, den politischen Umwälzungen 1989 in Mittel- und Osteuropa nach dem Zerfall der Sowjetunion sowie den Bürgerkriegen im früheren Jugoslawien in den 1990er Jahren gilt die politische Auseinandersetzung mit Diktaturen und Menschenrechtsverletzungen sowie öffentliches Erinnern und Gedenken nicht mehr nur als eine nationale Angelegenheit.
Die Bereitschaft, sich auf einen öffentlichen Umgang mit den Hypotheken der eigenen Vergangenheit einzulassen und historische Schuld anzuerkennen, war und ist dennoch vielfach, zumal für die beteiligten politischen Eliten, Ergebnis eines beschwerlichen Lernprozesses. Der vorliegende Band dokumentiert die Beiträge einer interdisziplinären wissenschaftlichen Tagung zum Thema, die 2002 vom Förderverein Geschichtsort Villa ten Hompel in Kooperation mit dem Fachbereich Erziehungswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster mit Teilnehmern aus Israel, Japan, Südafrika, Polen, Kroatien und Deutschland durchgeführt wurde.
Die Herausgeber beabsichtigten mit dieser Tagung die spezifischen Problemlagen und Diskussionen in der jeweiligen nationalstaatlichen Situation nach Krieg oder Diktatur bewusst in eine international-vergleichende Perspektive zu stellen. Gleichwohl fällt auf, dass die Autoren der 13 Beiträge bis auf lediglich zwei Ausnahmen Wissenschaftler an deutschen Forschungseinrichtungen sind, was die angestrebte internationale Dimension des Diskurses doch etwas relativiert.
Der für die Thematik sicher hochinteressante Beitrag des japanischen Historikers Takeo Sato von der Takushoku Universität in Tokio über Japans Umgang mit seiner Kriegsvergangenheit in innen- und außenpolitischer Perspektive konnte, so erfährt man aus einer Fußnote in der Einleitung, für den Band nicht fertiggestellt werden. Neben der Darstellung länderspezifischer Prozesse der Aufarbeitung von Kriegs- und Diktaturfolgen in sechs Einzelbeiträgen werden insbesondere neue Formen der politischen und juristischen "Bewältigung" wie "Wahrheits- und Versöhnungskommissionen" und internationale Strafgerichtshöfe behandelt, an die hohe Erwartungen für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft geknüpft werden.
Ein zweiter Schwerpunkt des Bandes ist mit Blick auf das 21. Jahrhundert den möglichen Perspektiven für Erinnerungsarbeit mit sechs weiteren Beiträge gewidmet. Sie behandeln moralisch-politische Fragen, inwiefern z. B. konfliktreiche Umwandlungsprozesse eine friedens- und menschenrechtlich orientierte politische Kultur hervorbringen können. Der abschließenden Beitrag von Volker Lenhart (Heidelberg) mit dem vielversprechende Titel "Menschenrechtserziehung - Königsweg der Erinnerungsarbeit?" zieht eine ernüchternde, wenngleich realistische Bilanz, dass theoretischer Anspruch von Menschenrechtserziehung in der Schule und ihr praktische Umsetzung in gesellschaftlichen Handlungsfeldern weit auseinander klaffen. Überdies stellt sich, wie Volker Lenhart am Beispiel der drei nationalen Schulsysteme Bosnien-Herzegovinas und auch Moshe Zimmermann in seinem bemerkenswerten Einleitungsbeitrag "Der Effekt der Shoah - Erinnerung im Nahostkonflikt" zeigen, die Frage, ob die vielfach propagierte Verbindung von Menschenrechtserziehung und Erinnerungsarbeit überhaupt sinnvoll und wünschenswert ist.
In den beiden Fällen dem Balkan- und den Nahostkonflikt wirkt der Bezug auf die eigenen Leiden und die Opferrolle eher konfliktverschärfend als friedensfördernd. Die Herausgeber präsentieren angesichts des breiten inhaltlichen, methodischen und begrifflichen Spektrum der Beiträge kein abschließendes Ergebnis der Tagung. Ihr Resümee, dass die Beiträge eine wachsende, tendenziell globale Bedeutung der Aufarbeitung und Erinnerung von Kriegs- und Diktaturerfahrungen bestätigten und "Vergangenheitsbewältigung" sich damit als ein Faktor gesellschaftlicher Entwicklung erweist, wusste man vermutlich ohnehin schon. Der sprachliche Stil bzw. die Lesbarkeit einiger Beiträge, das betrifft auch die Einleitung, lässt leider zu wünschen übrig. Der Band ist, wie die Herausgeber selbst feststellen, ein erster Versuch über ein Thema, das noch ausführlicherer Diskussionen in der Zukunft bedarf.