Ihre Kriegseinsätze kommen in den Geschichtsbüchern nicht vor, und ihre Gefallenen sind nirgends aufgelistet. An ihre Opfer erinnert kaum ein Monument und an den Bombenterror in ihren Städten keine Fernsehserie. Die meisten ihrer Zwangsarbeiter erhalten keine Entschädigung und die meisten ihrer Veteranen keine Kriegsrente. So hoch der Preis auch war, den die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg zahlte, so konsequent wurde er seitdem vergessen und verleugnet.
Um diesem Zustand Abhilfe zu schaffen, beschäftigt sich der Band "Unsere Opfer zählen nicht" mit eben diesen dunklen bisher in Europa nicht beachteten Teilen der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Auf der Basis langjähriger Recherchen und zahlreicher Interviews mit Veteranen, Zeitzeugen und Historikern in über 30 Ländern Afrikas, Asiens und Ozeaniens gibt dieses Werk erstmals aus Sicht von Betroffenen einen Überblick über die weit reichenden Folgen des Zweiten Weltkriegs für die Dritte Welt. Die Autorinnen und Autoren und Herausgeber - das Rheinische JournalistInnenbüro - sind ein Zusammenschluss von fünf Journalisten, die im Kollektiv versuchen, "Journalismus von unten" zu betreiben, indem sie an politische Bewegungen und Basisinitiativen rückgekoppelt bleiben.
Das Kollektiv besteht seit über 20 Jahren. "Die Journalistinnen und Journalisten, die diese Arbeit vorgelegt haben, geben den Sprach- und Stimmlosen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien nach so vielen Jahrzehnten erstmals eine wahre, echte, sensible und menschliche Stimme", urteilt im Vorwort Prinz Kum’a Ndumbe III. Professor an der Universität Jaunde in Kamerun, einer der gefragtesten Afrikaexperten und langjähriger Dozent für Geschichte Afrikas am Otto Suhr Institut der Freien Universität Berlin. Die Millionen Kriegstoten und schweren Kriegsschäden der Dritten Welt seien vergessen worden, verdrängt und verschwiegen.
Viele Länder der Dritten Welt wurden zu Schlachtfeldern, andere lieferten Rohstoffe für die Kriegsproduktion. Millionen Soldaten aus Afrika, Asien, Südamerika und Ozeanien kämpften und starben im Zweiten Weltkrieg, den der italienische Faschismus, der deutsche Nationalsozialismus sowie der japanische Großmachtimperialismus verursacht haben. In Abessinien standen sich Afrikaner auf beiden Seiten der Front gegenüber, in Burma kämpften hunderttausend Soldaten aus West- und Südafrika gegen die japanischen Streitkräfte, in Frankreich Zehntausende Inder gegen die Wehrmacht. Brasilianer kamen in Italien zum Einsatz, Koreaner im Südpazifik. Von China über Vietnam bis nach Indonesien und den Philippinen operierten einheimische Guerillatruppen gegen die alten Kolonialherren und die neuen Besatzer.
Millionen Menschen dienten den Krieg führenden Streitkräften als Lastenschlepper und Bauarbeiter, Pfadfinder und Küstenwächter, Aufklärer hinter feindlichen Linien und Bergungstrupps für verwundete Soldaten. Die Hilfstruppen und Hilfsarbeiter aus der "Dritten" Welt wurden schlechter entlohnt, verpflegt, untergebracht und behandelt als ihre "Kameraden" aus der "Ersten". Streiks und Revolten gegen diese Ungleichbehandlung wurden mit brutaler Gewalt niedergeschlagen. Hunderttausende Frauen wurden Opfer sexueller Gewalt. Allein die Japaner verschleppten 200.000 Filipinas und Koreanerinnen in ihre Militärbordelle.
Allerdings war die Dritte Welt nicht bloß Opfer in diesem Krieg. Es gab auch Dritte-Welt-Länder, die Freiwillige für den Kampf der faschistischen Mächte stellten. Antikoloniale Bewegungen im Nahen Osten - von Ägypten über Palästina bis in den Irak und den Iran - und in Asien, von Indien und Burma bis Thailand und Indonesien, sympathisierten mit den faschistischen Mächten und stellten Hunderttausende Freiwillige für deren Krieg. 3000 Rekruten der von den Nazis ausgehobenen "Indischen Legion" ließen sich 1944 sogar in die Waffen-SS eingliedern und verübten Massaker an der französischen Zivilbevölkerung. Auch davon berichtet dieses hervorragende Buch, das die vorherrschende eurozentrische Sicht auf den Zweiten Weltkrieg bewusst macht und als Standardwerk zu diesem bisher vernachlässigten Thema nachdrücklich zu empfehlen ist!
Auf der Basis dieses Buches gab das Rheinische Journalistenbüro im Jahr 2008 den 220-seitigen Band [node:2444]. Unterrichtsmaterialien zu einem vergessenen Kapitel der Geschichte heraus.