Im Auftrag des Senats und des Abgeordnetenhauses von Berlin erarbeitete der Verein Aktives Museum in Berlin eine Ausstellung mit 32 Biografien von zwischen 1933 und 1945 verfolgten und ermordeten Berliner Stadtverordneten und Magistratsmitgliedern, die aus der Fülle von über 400 bewegenden Lebensgeschichten ausgewählt wurden. Diese Ausstellung mit dem Titel "Vor die Tür gesetzt" wurde im Herbst 2005 im Rahmen der Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen 60 Jahre nach Kriegsende bereits für einige Wochen im Berliner Rathaus und vom 8. Juni bis 8. Juli 2006 im Berliner Abgeordnetenhaus gezeigt.
Neben berühmten Persönlichkeiten wie Dompropst Bernhard Lichtenberg oder dem späteren Bürgermeister Ernst Reuter finden sich auch weniger bekannte oder gänzlich in Vergessenheit geratene lokalpolitisch engagierte Betriebsräte, Reformpädagogen und Ärztinnen darunter. Jetzt liegt die umfangreiche Dokumentation der Kurzbiographien aller Berliner Parlamentarier und Kommunalpolitiker mit persönlichen Zeugnissen, Bildern und Dokumenten vor, die aus ganz unterschiedlichen Gründen verfolgt wurden, ins Exil gingen oder Haft und Tod erleiden mussten.
Als Kriterien der Verfolgung wurden, da es um Parlamentarier geht, in der Darstellung auch der Verlust des Mandats und der Entzug der politischen Wirkungsmöglichkeiten in einem rechtmäßig gewählten Parlament als Verfolgung anerkannt, auch wenn damit Lebensgeschichten von Angeordneten einzubeziehen waren, die als Konservative an der Demontage der Weimarer Republik mitgewirkt hatten oder nach dem Verbot ihrer Partei in die NSDAP eintraten.
Insofern ist das Buch kein "Gedenkbuch" zur Bewahrung eines ehrenden Andenkens, sondern eine sachliche zeitgeschichtliche Dokumentation, die auch zum Nachdenken über nicht gradlinige oder widersprüchliche Lebensverläufe anregt. Zwischen 1919 und 1933 gab es in Berlin ca. 1000 Stadtverordnete und Magistratsmitglieder. Nach 1933 waren 419 nach den genannten Kriterien als verfolgt anzusehen, 49 Stadtverordnete und Magistratsmitglieder wurden ermordet oder in den Selbstmord getrieben, weitere 7 Parlamentarier wurden Opfer des Stalinismus.
Der Band enthält über diese Biografien hinaus, die eine Arbeitsgruppe des Vereins recherchierte, mehrere grundlegende Aufsätze zur Stadtgeschichte: Christiane Hoss erstellte einen Abriss der Geschichte des Berliner Stadtparlaments, das am 20. März 1919 erstmals im Berliner Rathaus zusammentrat - das erste Parlament, das in Berlin nicht mehr nach dem Drei-Klassen-Wahlrecht und erstmals auch von Frauen gewählt worden war.
Exemplarische Debatten veranschaulichen das politische Klima der Weimarer Republik und beleuchten Beschlüsse, die bis heute Bestand haben, wie etwa die Gründung der Berliner Verkehrsbetriebe BVG im Jahre 1929. Die letzte Sitzung der Berliner Stadtverordnetenversammlung fand am 27. Juni 1933 statt. Die geographische und soziale Herkunft sowie die Berufsstruktur der Parlamentarier hat Christiane Hoss ebenfalls fundiert analysiert und mit zahlreichen Abbildungen dokumentiert. Die Etappen der Verfolgung vom Terror des Frühjahres 1933 bis hin zur Aktion "Gewitter" 1944, bei der über 50 ehemalige Stadtverordnete erstmals oder erneut inhaftiert wurden, zeichnet Andreas Herbst nach.
Die Emigrationsgeschichte schildert Christine Fischer-Defoy: 61 der Verfolgten gelang die Flucht ins Exil, das jedoch nicht alle überlebten. Der Verein Aktives Museum widmet sich seit 1983 mit zahlreichen Projekten der Bearbeitung und Dokumentation der Berliner Geschichte der Verfolgung, des Widerstands gegen den Nationalsozialismus und der Emigration. Mit diesem biographischen Handbuch knüpft er an die 1995 und 2000 gezeigten Ausstellungen 1945: "Jetzt wohin" und "Haymatloz - Exil in der Türkei 1933-1945" an. Der Verein Aktives Museum hat nach über zweijähriger akribischer Recherchearbeit mit dieser Dokumentation ein vor 17 Jahren abgebrochenes Projekt von Historiker und Politologen der FU Berlin beispielhaft vollendet und sich damit erneut um die Stadtgeschichte hoch verdient gemacht.
Der Band ist für 15 € zuzüglich Versandkosten über Aktives Museum e.V., Stauffenbergstr 13-14, 10785 Berlin zu beziehen, E-Mail: info [at] aktives-museum [dot] de