Der Band eröffnet zusammen mit einem parallel erscheinenden eine Publikationsreihe, in der die Arbeitsergebnisse einer Forschergruppe zur Kindheit im Zweiten Weltkrieg einer erweiterten fachlichen Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Die Herausgeber der beiden Eröffnungsbände sind mit einer transdisziplinären Forscher- oder Studiengruppe identisch, die im Oktober 2004 am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen (NRW) unter dem Etikett "Kinder des Weltkrieges" eingerichtet wurde. Ihr gehören an: HansHeino Ewers, Insa Fooken, Gereon Heuft, Jana Mikota, Hartmut Radebold, Jürgen Reulecke, Jürgen Zinnecker. Letzterer koordinierte und leitete die Forschergruppe. Der internationale Kongress, dessen Ergebnisse hier vorgestellt werden, fand im April 2005 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main statt und trug den Titel "Die Generation der Kriegskinder und ihre Botschaft für Europa 60 Jahre nach Kriegsende: Unsere Kinder und Enkel sollen in Frieden zusammenleben".
Die Tagung beschäftigte sich mit den psychischen, physischen und sozialen Spätfolgen traumatischer Kriegs- und Kindheitserlebnisse der zwischen 1927 und 1947 Geborenen und wurde vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, Forschungsprojektgruppen "Kindheit im 2.Weltkrieg" an den Universitäten Gießen, Kassel, Münster und Siegen sowie dem Sigmund-Freud-Institut in der Universität Frankfurt am Main veranstaltet. An der Finanzierung beteiligten sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG Bonn), das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ Berlin), die Gerade Henkel Stiftung und das Kulturwissenschaftliche Institut (kwi-nrw Essen).
Mehr als 500 Teilnehmer überwiegend dieser Generation beteiligten sich offensichtlich aus Interesse und dem Bedürfnis heraus, sich mit ihren eigenen belastenden Kindheitserfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Krieges auseinander zu setzen. Thematisch reihte der Kongress sich ein in die schon seit einiger Zeit geführte Debatte um die deutschen Opfer des Bombenkriegs, von Flucht und Vertreibungen, Hunger, Vergewaltigungen, sowie um die Leiden durch Verlust von Angehörigen und Existenzängste in der Nachkriegszeit.
Wenn sich diese Generation der Kriegskinder nun erst mit ihrem Eintritt ins Rentenalter zu Wort meldet, und sich die Forschung erst jetzt mit ihrem Schicksal auseinandersetzt, so beweist das gleichwohl nicht, dass diese Thematik bislang unterdrückt wurde. Wenn es überhaupt so etwas wie ein Tabu gegeben habe, so sei es eher die innere Zensur einer jüngeren Generation gewesen, die sich durchaus der Opfer- und Täterrolle der Eltern bewusst war und ihnen nicht verzeihen konnte, dass sie Unterstützer, oft genug auch mörderische Mittäter oder schäbige Nutznießer des Nationalsozialismus waren, unterstrich Micha Brumlik, Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, damals in seinem Beitrag über "Holocaust Gedenken und das Leid der Deutschen". Es sei daher schwierig, die unbestrittenen Leiden der Kriegskinder zu artikulieren, da diese nicht ohne ihren historischen und politischen Kontext zu sehen sind, d.h. der Beteiligung der Väter der Kriegskinder an den Verbrechen des rassistischen Angriffs-, Raub- und Vernichtungskrieges und am Holocaust.
Im sechsten Jahrzehnt nach dem Ende von nationalsozialistischer Diktatur und Krieg dominiert jene Generation die öffentliche Erinnerung, die diese Epoche als Kinder und Jugendliche noch selbst erlebt hat. Die letzten Zeitzeugen sind heute 60 bis 80 Jahre alt und in ganz Europa darum bemüht, ihre Lebensgeschichten und die ihrer Eltern in das Buch der nationalen und europäischen Geschichte einzutragen. Die Autorinnen und Autoren, darunter Historiker, Soziologen, Pädagogen, Psychologen und Literaturwissenschaftler, nehmen die aktuellen Erinnerungsgemeinschaften derer, die in Diktatur und Weltkrieg aufwuchsen, in den sozial- und kulturwissenschaftlichen Blick unter folgenden Fragestellungen:
Besonderes Augenmerk wird der Frage gewidmet, wie die zweite und dritte Generation der Nachgeborenen mit den historischen Erfahrungen ihrer Eltern und Großeltern umgehen. Der vorliegende Band analysiert in drei Abschnitten folgende Themenbereiche:
Den Initiatoren des Kongresses und des Forschungsthemas „Kriegskindheiten“ geht es keineswegs, wie von einigen Kommentatoren unterstellt, um Verdrängung der spezifischen historischen Ursachen des durch den Zweiten Weltkrieg ausgelösten Leids der Kriegskindergeneration und ebenso nicht darum, eine neue deutsche Opfergruppe zu kreieren. Vielmehr zeigen die im Rahmen der Arbeit der Forschungsgruppe gesammelten und ausgewerteten Interviews, dass die Verarbeitung der Erfahrungen der Kriegskindergeneration sachlich und verantwortungsbewusst geschieht, eine Lücke zwischen privater Erinnerung an den Krieg und wissenschaftliche Forschungsergebnisse über die NS-Zeit schließt und unbestreitbar auch ein Gewinn für die politischen Kultur der Bundesrepublik ist. Die vorliegende Publikation ist daher nachdrücklich für die historisch-politische Bildung zu empfehlen.