Die Mehrheit der Österreicher assoziiert mit Gusen nur einen kleinen Fluss oder eine Wohnsiedlung im Bezirk Perg in der Nähe von Linz. Auf den ersten Blick sieht dieser Ort mit den hübschen neu gebauten Häusern sehr idyllisch aus. Doch was in der NS-Zeit dort geschah, wusste bis vor einigen Jahren kaum jemand nicht nur in Österreich sondern international.
Die gesamte Umgebung von St. Georgen an der Gusen wurde in den Jahren 1939 bis 1945 zu einem der schrecklichsten und ausgedehntesten Schauplätze des Konzentrationslagerkomplexes Mauthausen-Gusen. Die Lager Gusen I und Gusen II waren zur Jahreswende 1944/45 mit etwa 25.000 Häftlingen etwa doppelt so groß wie das Hauptlager Mauthausen selbst. Mit 37.000 Toten kamen dort beinahe ein Drittel der etwa 120.000 KZ-Opfer in Österreich um.
Nicht das bekannte KZ Mauthausen, sondern Gusen war für Menschen aus Frankreich, Polen, Spanien, Italien, Belgien, Ungarn, der damaligen Sowjetunion, und Jugoslawien sowie weiteren Nationen eine der grausamsten NS-Terrorstätten und Inbegriff des Schreckens. Die wenigen Überlebenden dieser Gusener Konzentrationslager, die bis vor kurzem noch als einzige diesen Gedenkort besuchten, bezeichnen die Lager als "Hölle auf Erden".
Nachdem im August 1938 die ersten Lagerbaracken des Konzentrationslagers Mauthausen errichtet worden waren, begannen die SS und die Deutsche Stein- und Erdwerke GmbH (DEST) bereits im Dezember 1939 damit, das Gebiet nahe dem Kastenhofer und Gusener Steinbruch für die Errichtung eines zusätzlichen Konzentrationslagers zu nutzen. Das Gelände, des KZ Gusen, später offiziell als Konzentrationslager "Mauthausen-Unterkunft Gusen" bezeichnet, lag ca. 4,5 km westlich von Mauthausen bei der Einmündung des Flusses Gusen in die Donau, zwischen dem Ortschaften St. Georgen und Langenstein.
Von Anfang an war die Zielsetzung des neuen KZ- Komplexes "Vernichtung durch Arbeit". Bereits bei der Errichtung der ersten Baracken unter der Leitung der SS-Oberscharführer Anton Streitwieser und Kurt Kirchner kamen Hunderte Häftlinge ums Leben. Das KZ Mauthausen/Gusen hatte eine Sonderstellung unter allen Konzentrationslagern. Es galt in den Jahren 1940/41 als Vorläufer der Vernichtungslager, da es als einziges Lager der Lagerstufe III zur Unterbringung von Häftlingen dienen sollte, die der Gestapo als untauglich für jegliche Besserung galten.
Die dort eingelieferten Häftlinge hatten nur sehr geringe Hoffnung zu überleben. Mit der Einrichtung der Vernichtungslager in den "besetzten Gebieten" einerseits und der zahlreichen Außenlager andererseits wurden die Funktionen des "Stammlagers" Mauthausen durch Zuweisung zentraler Organisations- und Verwaltungsaufgaben erweitert. Von hier wurden die Häftlinge je nach dem Arbeitskräftebedarf der Rüstungsfirmen verteilt. In das KZ Gusen wurden vorwiegend Menschen aus politischen Gründen und aufgrund krimineller Delikte eingewiesen, aber auch Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und Bibelforscher.
Aus Polen wurden vor allem Angehörige der polnischen Intelligenz, aus Frankreich Spanier, die nach Beendigung des spanischen Bürgerkrieges nach Frankreich geflohen und dort festgenommen worden waren, und ab Herbst 1941 sowjetrussische Kriegsgefangene in Gusen inhaftiert. Die Häftlinge stammten aus allen Bevölkerungsschichten. So gab es bei Häftlingen aus Polen viele ehemalige Offiziere, Ärzte, Pädagogen, Ingenieure, Arbeiter, Bauern, Kunstschaffende und Priester. Die Spanier waren vorwiegend Arbeiter, unter ihnen viele Kommunisten, Anarchisten und Sozialisten. Die Zahl der jüdischen Häftlinge in Gusen war bis Winter 1943/44 relativ niedrig.
Ab Sommer 1944 trafen im Zusammenhang mit dem Tunnelbauvorhaben in St. Georgen/Gusen vermehrt Transporte polnischer und vor allem ungarischer Juden ein, die u.a. auch aus dem Lager Auschwitz überstellt wurden. Die jüdischen Häftlinge wurden beim Stollenbau in Gusen II oder bei der Flugzeugproduktion eingesetzt. Sie erhielten so unzureichende Nahrung, dass sie nach wenigen Wochen starben. Im Sommer 1942 wurde nach einem Besuch Himmlers im KZ Gusen und in Mauthausen ein Häftlingsbordell eingerichtet. Das Schicksal der betroffenen Frauen ist bislang kaum dokumentiert, denn nur wenige überlebten.
Die Rüstungsunternehmen Steyr-Daimler-Puch AG und die Messerschmidt GmbH Regensburg errichteten bei den Lagern umfangreiche Fertigungshallen für Flugzeugteile sowie später für die Montage ganzer Flugzeuge und profitierten in großem Umfang von der Sklavenarbeit. Das KZ Gusen war von 1942 bis 1945 auch Tötungsanstalt und es wurden in großem Umfang medizinische Versuche im Auftrag der IG-Farben an Häftlingen durchgeführt. Während in Mauthausen 1942 bis 1945 eine Gaskammer für die Vernichtung der Häftlinge in Betrieb war, wurden im KZ Gusen Vergasungen einfach im Inneren der Häftlingsbaracken durchgeführt. Außerdem verkehrte zwischen Mauthausen und Gusen auch ein Gas- bzw. "Sonderwagen" zur Ermordung von Häftlingen.
Ab Frühjahr 1944 wurde noch die mehr als 50.000 m² große Stollenanlage von Häftlingen des neu errichteten KZ Gusen II in nur 13 Monaten unter Leitung des "Sonderstabs Kammler" errichtet. In der unterirdischen Stollenanlagen sollte unter höchster Geheimhaltung - ähnlich wie in Dora-Mittelbau im Harz - die Serienproduktion von Jet-Kampfflugzeugen des Typs ME-262 realisiert werden. Als zahlreiche Bombenangriffe auf die Umgebung von Linz die militärische Niederlage unabwendbar ankündigten, wurde die Massentötung aller Häftlinge in Gusen vorbereitet, indem das unterirdische Labyrinth in St. Georgen/Gusen in den letzten Tagen des Krieges mit Sprengstoff bestückt und Eingänge zugemauert wurden. Dieser Wahnsinnsbefehl Himmlers, durch den auch die Zivilbevölkerung des Ortes als unerwünschte Zeugen zugrunde gehen sollten, wurde nicht mehr ausgeführt, da die SS wegen des Heranrückens der Front die Vorbereitungen abbrach und sich absetzte.
Auf der Grundlage zahlreicher neuer, bisher unveröffentlichter Dokumente und Fotos aus Archiven, Zeugnissen von Überlebenden und Befreiern gelingt es den Autoren der in englischer Sprache vorliegenden Forschungsarbeit die bislang vergessene und vernachlässigte Geschichte des wichtigsten Nebenlagers von Mauthausen eindrücklich zu schildern. Im abschließenden Kapitel und Epilog werden die chaotische Befreiung von Gusen durch US-Truppen Anfang Mai 1945, die Übergabe an die Sowjetische Besatzungsmacht in Österreich sowie die Nachkriegsinteressen der Alliierten an der deutschen Kriegstechnologie und erstmals auch die Nachkriegsgeschichte des KZ-Komplexes Gusen behandelt.
Damit wird nicht nur die bislang bekannte Geschichte des KZ Mauhausen, sondern auch das Wissen über die strategische Zusammenarbeit der SS mit der Rüstungsindustrie in der Endphase des Krieges wesentlich erweitert. In den Vorworten von drei Überlebenden und den Autoren wird die Hoffnung geäußert, dass mit dieser Publikation weitere Forschungen über Gusen angeregt werden und eine nachhaltige Erinnerungsarbeit beginnt.
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