1989 erschien "Abschied von Sidonie", eine Erzählung von Erich Hackl, die auf eine historische Vorlage zurückgeht. Sie erzählt die Geschichte des 1933 geborenen Roma-Mädchens Sidonie Adlersburg, das als Findelkind in der österreichischen Gemeinde Steyr in einer liebevollen Pflegefamilie aufwächst und im Alter von zehn Jahren in Auschwitz-Birkenau umgebracht wurde. Der authentische Fall Sidonie Adlersburg bietet ein ausdrucksstarkes Beispiel für nationalsozialistische Täter- und Mittäterschaft. Obwohl es keinen "Befehl von oben" gab, handelten die örtlichen lokalen Beamten des Fürsorgeamtes, der Bürgermeister, der Volksschuldirektor u.a. im vorauseilenden Gehorsam und schickten Sidonie in den Tod, indem sie ihre Deportation nach Auschwitz veranlassten.
Die betont nüchtern-dokumentarisch erzählte Geschichte Hackls findet vor allem bei jungen Lesern großes Interesse und wird inzwischen zunehmend auch als Schullektüre eingesetzt. Sidonies Geschichte bietet die Möglichkeit – ähnlich wie die Anne Franks – , sich intensiv mit einem individuellen Schicksal vor einem historischen Hintergrund zu befassen, dass dennoch für unzählige andere in dieser Zeit steht.
Der von Ursula Baumhauer herausgegebene Materialien-Band zu "Abschied von Sidonie" resümiert nun die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Erzählung und bietet Lehrern und Schülern zahlreiche Hintergrundinformationen zum Schicksal Sidonie Adlersburgs. Neben Vorstufen der Geschichte, dem Film-Drehbruch und Fotografien, fasst diese neue Publikation Dokumente und Gesprächsprotokolle mit Angehörigen des Mädchens zusammen. Zudem dokumentiert der Band Hackls unermüdliches Bestreben einer konkreten Erinnerungsarbeit in seiner Heimatregion. Karl-Markus Gauß und Konstantin Kaiser beschäftigen sich in ihren Beiträgen aus literaturwissenschaftlicher Sicht mit dem Werk Hackls und seinem Duktus und untersuchen die Möglichkeiten der Gegenwartsliteratur in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Erika Thurner beleuchtet die Geschichte der Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma während der nationalsozialistischen Diktatur. Im abschließenden Aufsatz resümieren Rosemarie Fischer und Günter Krapp die Erfahrungen von Lehrern und Schülern im schulischen Umgang mit der Erzählung "Abschied von Sidonie" und präsentieren verschiedene Unterrichtsmodelle. In Ergänzung zur Lektüre "Abschied von Sidonie" präsentiert sich der Materialien-Band als Arbeitsbuch, das die schulische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und Rassismus und Ausgrenzung in der Gegenwart effizient unterstützt.