Der Verein Cultus e.V. – Bildung-Urteil-Kompetenz fungiert gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland als Herausgeber dieses Materialbandes, der das Ergebnis eines slowakisch-deutschen Lehrer/innenfortbildungsseminars der Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Rememberance and Research (ITF) repräsentiert.
In deutscher und slowakischer Sprache versammelt er auf jeweils ca. 70 Seiten Unterrichtsmaterialien, Methodenbeschreibungen und fachdidaktische Einführungen von Fachwissenschaftler/innen, Lehrer/innen und Referendar/innen, die sich mit der schulischen Bearbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten beschäftigen. Bezeichnet als „ Prinzipien des Lehrens und Lernens“ werden im Wesentlichen die „Klassiker“ der deutschsprachigen Fachdidaktik zum NS und Holocaust beschrieben bzw. beispielhaft eingeführt: Arbeitsblätter, Bildbeschreibung und –analyse, Analyse mentalitätsgeschichtlicher Quellen, multiperspektivischer Geschichtsunterricht und Oral History. Alle fünf Prinzipein werden mit allgemeinen fachdidaktischen Hinweisen eingeführt, im Bezug auf den Unterrichtseinsatz spezifiziert und dann anhand eines inhaltlichen Themas ausgeführt.
Die Beschreibung und Reflexion dieser Methoden gelingt im vorliegenden Band außerordentlich gut, die Ausführungen sind kurz, übersichtlich und fundiert. Auffällig ist die Fülle von Lesetexten und schriftsprachlich zu bewältigenden Aufgaben in den vorgestellten inhaltlichen Beispielen für die methodischen Zugänge. Einzige Ausnahme ist die Methode der Bildanalyse, die Schülern keine hohe Lesefähigkeit abverlangt und somit auch für Nichtgymnasialklassen durchführbar scheint.
Fragen lässt der Band in zweierlei Hinsicht offen. Während im Titel der Publikation von „Verbrechen im Nationalsozialismus“ die Rede ist, beziehen sich die Inhalte im Wesentlichen auf Antisemitismus sowie die Ausgrenzung und Vernichtung der europäischen Juden. Eine inhaltliche Erweiterung oder eine Erklärung dieser Schwerpunktsetzung mit dem Verweis auf andere, bereits vorliegende Materialien, wäre wünschenswert.
Gänzlich unterbeleuchtet bleibt die Frage der slowakischen Perspektive auf die Thematik „Fachdidaktische Vermittlung der Verbrechen im Nationalsozialismus“. Zwar existiert ein einführender historischer Artikel von Eduard Nižnanský zum „Holoaust in der Slowakei“ danach werden aber stringent historische Quellen der deutschen NS-Gesellschaft verwendet, um die Unterrichtsprinzipien vorzustellen. Da als Ergebnis eines slowakisch-deutschen Kooperationsprojekts zur Anregung für die Arbeit in deutschen und slowakischen Klassenräumen vorgestellt, wäre eine deutlichere Akzentuierung der Unterschiede in fachdidaktischen Herangehensweisen sowie das Aufgreifen von Beispielen aus der slowakischen Gesellschaft anregend gewesen.
Ein international gültiges Holocaust-Curriculum, unabhängig von Gesellschaft und nationaler Geschichtserzählung, wie es auch die vorliegende Publikation zu vertreten scheint, stösst an seine Grenzen, wenn es gilt, die persönlichen Motivationen und gesellschaftlichen Strukturen zu analysieren, in denen sich Täter/innenschaft, Kollaboration, Zuschauerschaft oder Widerstand begründen. Zu wünschen wäre letztlich auch eine inhaltliche Erweiterung des Bandes auf die Rezeptionsgeschichte der Verbrechen, sowohl in der Slowakei als auch Deutschland, welche die Unterschiede zwischen den Gesellschaften sichtbar machen würde. Die Frage, wie heute die Tatbeteiligung, das Zuschauen oder der Widerstand der Großeltern- oder Urgroßelterngeneration in beiden Ländern thematisiert werden, könnte eine Diskussionsfrage sein, in der die Schülerinnen beider Staaten füreinander interessiert und durch die Erfahrung anderer Perspektiven in ihrer Fähigkeit zur Multiperspektivität gestärkt werden.