Die Geschichte der deutschen Juden sollte, gemäß den Vorschlägen des Leo Baeck Programms „Jüdisches Leben in Deutschland - Schule und Fortbildung“, als integraler Teil der Deutschen Geschichte behandelt werden. Was immer noch keine Selbstverständlichkeit ist, schaut man sich die gängigen Geschichtsbücher an. Juden, Judentum und jüdische Geschichte kommen da meist nur im Altertum, im Mittelalter beim Thema Kreuzzüge und bei der Behandlung der NS-Zeit als Holocaust-Opfer vor. Die Rolle der Juden in der zweitausendjährigen deutschen Geschichte kann und darf aber nicht immer nur auf die als einer Minderheit, als Opfer von Diskriminierung, Verfolgung und Völkermord reduziert werden. Sie muss gerade auch als Geschichte ihrer Integration, ihrer eigenständigen Rolle und aktiven Beteiligung in Politik und Gesellschaft sowie allen Bereichen der Kultur vermittelt und gelernt werden.
Auf diesem Prinzip basieren die vorliegenden Ideen und Anregungen für historische Projektarbeit an Schulen. Die Handreichungen sind jedoch nicht nur für Schulen in Berlin und seinem nahen Umland von Bedeutung. Die wesentlichen geistesgeschichtlichen Richtungen und Entwicklungen des deutschen Judentums gingen nach der Aufklärung von Berlin aus. 1933 lebte ein Drittel der deutschen Juden in Berlin. Somit ist die Geschichte der Juden in Berlin paradigmatisch für die Auseinandersetzung mit der deutsch-jüdischen Geschichte überhaupt. Nirgendwo sonst in Deutschland finden sich in solcher Dichte und Vielfalt Schauplätze von Ereignissen und Lebensgeschichten der deutsch-jüdischen Geschichte. Die Arbeitsanregungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nach dem Prinzip der historischen Stadterkundung einen Zugang zu dieser Geschichte eröffnen. Exemplarisch steht die Lindenstraße in Berlin im Mittelpunkt, eine Gegend, die viel an deutsch-jüdischer Geschichte zu bieten hat. Dort befindet sich auch das Jüdische Museum, das seit seiner Eröffnung 2001 ein Publikumsmagnet ist. Doch das Museum ist nur einer von 14 Orten in der Berliner Lindenstraße, an dem gelernt werden kann. Der Name der Straße ist zugleich eine Metapher für die Geschichte vieler Straßen in Deutschland, die Schüler erkunden können.
Die Methode der Stadterkundung vor Ort lässt Geschichte zur spannenden Zeitreise werden, sensibilisiert für genaues Hinschauen, die Wahrnehmung historischer Überreste und das Erkennen von Zusammenhängen und fördert darüber hinaus das Verständnis für die Bewahrung historischer Orte. Historische Projektarbeit dieser Art stellt zwar hohe Anforderungen an Kompetenzen von Schüler/innen, wird aber von ihnen zugleich erheblich attraktiver als Unterricht und kurzzeitige Führungen durch Museumsausstellungen beurteilt. Stadterkundungen nach der Projektmethode ermöglichen eigenständige Recherchen in Kleingruppen sowie kreative Präsentationsformen der Ergebnisse. Auf die Förderung der Präsentationsfähigkeit der Schüler/innen wird in den Handreichungen durch entsprechende Aufgabenstellungen besonderer Wert gelegt. Absicht der Publikation ist es, über Grundinformationen verschiedener Aspekte jüdischen Lebens hinaus fachübergreifend zur Vertiefung dieser Geschichte sowie Diskussionen über die bis in die Gegenwart reichenden Bezügen anzuregen. Die Arbeitsaufträge zu den Materialen versuchen nach Möglichkeit aktuelle Lebensbezüge und heutige Probleme der Jugendlichen aufzugreifen. Da Stadtrundgänge und Exkursionen – learning by going - nicht immer zu realisieren sind, bieten die Handreichungen auch virtuelle Varianten an. Der Fundus an Materialien, Links und Quellenangaben bietet Lehrkräften und Lernenden hinreichend Freiräume für eigene Ideen und Varianten der Arbeitsvorschläge bzw. selbstorganisiertes Lernen. Diese Handreichungen sind nachdrücklich auch für alle Schulklassen zu empfehlen, die Berlin besuchen und Spuren deutsch-jüdischer Geschichte erkunden wollen.
Zu beziehen über LISUM: http://www.lisum.berlin-brandenburg.de
Die Erarbeitung der Handreichungen für den Unterricht wurde durch das Leo Baeck Institut e.V. im Rahmen des Leo Baeck Programms „Jüdisches Leben in Deutschland- Schule und Fortbildung“ ermöglicht, einer gemeinsamen Initiative unterstützt von dem Fonds „Erinnerung und Zukunft“ und der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.