Die Arbeitsmaterialien zur jüdischen Geschichte und zum Antisemitismus in Europa können im Schulunterricht und der außerschulischen politischen Bildung eingesetzt werden und bestehen aus drei Teilen:
Baustein 1 thematisiert jüdische Geschichte und Antisemitismus in Europa bis 1945
Baustein 2 beschäftigt sich mit aktuellen Formen des Antisemitismus
Baustein 3 behandelt Antisemitismus als eine von vielen Formen der Intoleranz und Diskriminierung von Minderheiten
Die Handreichungen beabsichtigen, Lehrkräften an Schulen und Pädagog/innen der außerschulischen politischen Bildung Hilfestellung bei der Verwendung der Arbeitsmaterialien zu geben. Nach einer allgemeinen Einführung werden die drei Bausteine näher erläutert. Außerdem vermitteln die Handreichungen das für die Behandlung der Themenschwerpunkte notwendige Orientierungswissen.
Das OSZE Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) initiierte wegen des weltweiten Anstiegs antisemitischer Vorfälle und, weil es an geeigneten Materialien mangelt, diese Unterrichtsmaterialien als Pilotprojekt in sieben europäischen Ländern (Dänemark, Deutschland, Litauen, Kroatien, Niederlande, Polen, Ukraine). Stereotype Vorstellungen von Juden, Unwissen über die Traditionen des Antisemitismus, verkürzte und verzerrte Wahrnehmungen des Nahost-Konflikts bis hin zu manifesten judenfeindlichen Einstellungen sind demnach bei jungen Menschen in Deutschland, in Europa und weltweit zunehmend anzutreffen und bedürfen dringend der pädagogischen Bearbeitung.
Das Ziel der Materialien ist die Integration europäisch-jüdischer Geschichte in die Bildungs-Curricula und die Aufklärung über die Entstehung, Traditionen, Stereotypen und Fantasien der Judenfeindschaft. Experte/innen aus den beteiligten Ländern erarbeiteten unter der Leitung des Anne Frank Hauses in Amsterdam diese Unterrichtsmaterialien, die sich mit verschiedenen Aspekten des Antisemitismus beschäftigen. Sie haben sich bemüht, die Gemeinsamkeiten und spezifischen Ereignisse aus den einzelnen Regionen mit einem fachübergreifenden Ansatz didaktisch zeit- und zielgruppengemäß sowie in lernpsychologisch ansprechender Form anzubieten. Die einzelnen Bausteine müssen nicht in chronologischer Reihenfolge im Unterricht eingesetzt werden, sondern können von aktuellen Anlässen ausgehend einzeln genutzt werden. Die deutsche Ausgabe haben das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin und das Fritz Bauer Institut in Frankfurt a.M. gemeinsam entwickelt. Ergänzt werden die Unterrichtsmaterialien durch ein vom Zentrum für Antisemitismusforschung vorgelegtes Heft mit Handreichungen für Lehrkräfte.
Als Beitrag zum Magazin zum Thema „Aktueller Antisemitismus“ sollen hier die Materialien des „Bausteins 2: Antisemitismus – immer noch?“näher vorgestellt werden. Jedes der 7 Themen besteht aus Bild- und Textmaterialien sowie einigen Arbeitsvorschlägen in Form von Fragen. Die ersten beiden Themen setzen unmittelbar in der Nachkriegszeit an: ausgehend von dem Engagement und den Erfahrungen Ignatz Bubis´ in Deutschland nach 1945 sollen die Lernenden über Diskriminierung allgemein und das Zusammenleben von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen heute reflektieren. Das zweite Material verknüpft die Nürnberger Prozesse sowie den Auschwitzprozess mit dem Thema Menschenrechte. Das dritte Thema schließlich hat einen aktuelleren Bezug und zeigt Beispiele für heutige Formen des Antisemitismus und der Holocaustleugnung auf. Material 4 beschäftigt sich mit der Gründung des Staates Israel und dem Antizionismus. Der Nahostkonflikt wird im Thema 5 unter dem Schlagwort „Kritik oder Antisemitismus?“ angesprochen. Das Material 6 „Freundschaft über Grenzen hinweg“ stellt zwei Freundinnen aus Jerusalem – eine Muslima, eine Jüdin – vor und zitiert einige jüdische Jugendliche, die heute in Deutschland leben. Daran schließen sich umfangreichere Arbeitsvorschläge zum Thema „Jugendliche in Deutschland und Antisemitismus“ an, sowie als Thema 7 eine Vorstellung der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus.
Die gewählten Themen aus diesem Baustein bieten also ein sehr breites Bild zum aktuellen Antisemitismus, beschäftigen sich aber nur teilweise mit Antisemitismus wie er in der direkten Lebenswelt der Lernenden auftaucht. Die Handreichungen für Lehrkräfte bieten dafür erfreulich viel Material zu verschiedenen Aspekten des aktuellen Antisemitismus wie Israelkritik, der Nahostkonflikt, Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft und Antisemitismus bei Jugendlichen.
Ob mit diesen Bausteinen allein die gewünschte Prävention gegen antisemitische Vorurteile europaweit erreicht wird, ist gleichwohl abzuwarten. Die 2007 im Rahmen von Aktionswochen gegen Antisemitismus in Berlin vorgestellte Studie „Ich habe nichts gegen Juden, aber...“ (Vergleichen Sie auch den Beitrag dazu in unserem Magazin) von Dr. Albert Scherr und Barbara Schäuble kam zu dem Ergebnis, dass wohlmeinende Aufklärung über Vorurteile unter Umständen auch kontraproduktiv wirken kann. Jugendliche in Europa haben meist keinen Kontakt zu jüdischen Jugendlichen ihres Alters oder Gelegenheiten, jüdisches Alltagsleben kennen zu lernen. Eine wirkliche Leerstelle in der historisch-politischen Bildung bleibt weiterhin die Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte und Judentum durchgängig durch die Jahrhunderte als integralem Bestandteil der europäischen Geschichte. Dieses bedauerliche Defizit zeigt sich in den Schulgeschichtsbüchern, in denen Juden nur sporadisch als Minderheit, als Objekte von Diskriminierung und Opfer von Verfolgung vorkommen, während ihre aktive Rolle in Kultur und Gesellschaft der europäischen Länder nur selten behandelt wird, so auch in dem als Innovation hochgelobten deutsch-französischen Schulbuch.
Exemplare der Arbeitsmaterialien und Handreichungen Antisemitismus in Europa Vorurteile in Geschichte und Gegenwart können über die Bundeszentrale für Politische Bildung bestellt werden (Bestellnummer 9.351). Das Material wird kostenlos zur Verfügung gestellt.
Auf unserem Portal finden Sie weitere Hinweise auf Unterrichtsmaterialien zum Thema Antisemitismus. Mit Blick auf die politische Bildungsarbeit in der Sekundarstufe I und II beschreibt Markus Tiedemann in seiner Publikation "In Auschwitz wurde niemand vergast" 60 rechtsradikale Lügen und wie man sie argumentativ widerlegt. Die Themenblätter zum Unterricht der Bundeszentrale für politische Bildung „Stichwort Antisemitismus“ dagegen beschäftigen sich mit versteckten Formen des antijüdischen Vorurteils und wie man ihnen begegnet. In dem Artikel „Anerkennen und Abgrenzen – Überlegungen zur Pädagogik gegen Antisemitismus und Israelhass unter jungen Muslimen“ reflektiert Jochen Müller einerseits über diesen Antisemitismus und verweist andererseits auf Stimmen rund um den deutsch-palästinensischen Rapper Massiv.