Über den Lernort wird gern dann gesprochen, wenn auf die besonderen Lernmöglichkeiten an eigentlich unpädagogischen Orten hingewiesen werden soll. Seine ungebrochene Popularität liegt vermutlich nicht nur in der beindruckenden und gleichzeitig kritisch zu reflektierenden Überzeugungskraft von Museen und historischen Stätten bei den Zielgruppen von Bildungsanstrengungen sondern auch in seiner Unbestimmtheit begründet.
Mit dieser Diffusität vermag auch die vorliegende Publikation nicht zu brechen, bleibt doch bis auf die „Beschränkung“ der Lernorte auf Orte der exemplarischen Verdeutlichung gesellschaftlich-kultureller, wirtschaftlich-sozialer und politisch-herrschaftlicher Wirkungszusammenhänge unklar, was einen Lernort eigentlich von einem Nicht-Lernort unterscheidet. Wenn jede Möglichkeit des organisierten Lernens einen Ort zu einem Lernort machen kann, wie der Mitherausgeber Siegfried Grillmeyer in seiner Einleitung feststellt, ergibt sich die generelle Frage nach dem Sinn der Kategorie. Möglicherweise stehen sich aber Lernorte, und Bücher über solche, auch lediglich im Weg, weil vom Lernort eben genau mehr und anderes erwartet wird als eine Beschreibung leisten kann, nämlich sinnlich erfahrbare Aura, Authentizität oder Beglaubigung „historischer Tatsachen“. Sowohl die Herausgeber als auch einige der Autoren versuchen „Lernorte“ von „Erinnerungsorten“ - materielle und immaterielle Bezugspunkte konstruierter Kollektividentitäten und deren historischer Narrationen – mit der Definition „real-räumlich“ abzugrenzen. Die Schwierigkeit dieser Kategorisierung liegt in ihrer Breite, integriert sie doch sowohl einzelne Plätze/ Gebäude (Germanisches Nationalmuseum, Herrmannsdenkmal) und Städte (München als ehem. „Hauptstadt der Bewegung“, Berlin als Hauptstadt der ehem. DDR), als auch Landschaften (Rheinland, Ruhrgebiet), woraus letztendlich nur kaum miteinander ins Verhältnis zu setzende pädagogische Erschließungsideen für diese „Lernorte“ resultieren können. Zum anderen droht durch die Unterscheidung aus dem Blick zu geraten, dass der Kern dessen, was Lernorte für die historisch-politische Bildung interessant macht, gerade an ihre Bedeutung als „Erinnerungsorte“ geknüpft ist.
Der erste Teil der zweibändig geplanten „Ortstermine“, einer Veröffentlichung der CPH Jugendakademie in Nürnberg, bietet vor allem Überlegungen und Annahmen, welche historischen Inhalte an den verschiedenen beschriebenen Orten lern- und erfahrbar seien. Dem Untertitel des Buches, der Aufschluss über didaktisch-methodische Erschließungsmöglichkeiten für die Orte suggeriert, werden die Beiträge nur selten gerecht. Das Konzept „Ortstermine“ beschreibt die Einbeziehung von Orten in den Prozess historisch-politischer Bildung, der als ganzheitlicher und in den meisten Beiträgen eher an einem außerschulischen Bildungsverständnis orientiert verstanden wird. Die Herausgeber regen jedoch dazu an, das Konzept auch im schulischen Rahmen zu verwirklichen. „Ortstermine“ werden Exkursionen genannt, die durch ein „aufsuchendes Lernen“ (S.17) die Erschließung so genannter authentischer Orte ermöglichen und dadurch nicht nur historisches Wissen zu Tage fördern, sondern „multiple Fähigkeiten“ (ebd.) wie u.a. Teamarbeit und Kommunikationsfähigkeit. Dabei erhöhe die sinnliche Erfahrung vor Ort (Realbegegnung), aus der ein Lebensweltbezug der Lerngegenstände resultiere (ebd.), die Lernchancen, wobei ausdrücklich nicht von einer Selbsterklärlichkeit der Orte ausgegangen wird. Der Einführung „’Ortstermine’. Rahmenbedingungen des Konzepts“ schließen sich zwei allgemeinere Beiträge zu Möglichkeiten sowie Problemen konkreter Orte für die Bildungsarbeit (politische Bildung anhand von Architektur sowie in Gedenkstätten) und zwei weitere Artikel zu institutionalisierten Orten historischen-politischen Lernens (NS-Dokumentationszentren München und Nürnberg) an. In einem dritten Teil, der im zweiten Band fortgesetzt werden soll, werden exemplarisch Orte und Landschaften als Bildungsanlässe und dazu entwickelte pädagogische Konzepte und Erfahrungen vorgestellt. Die Beiträge aus der Praxis, die zum Teil durchgeführte Konzepte reflektieren, zum Teil Konzeptideen präsentieren, können an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. Ihr Spektrum reicht vom Hermannsdenkmal und Olympiastadion bis zum Rheinland und der Industriekultur des Ruhrgebiets als Lernanlass und -gegenstand.
Das Verdienst des Buches liegt sicherlich darin, Anregungen zu geben, ganz unterschiedliche Orte, Gebäude, Räume, Denkmäler etc. in die pädagogische Beschäftigung mit Geschichte einzubeziehen. Für die Gegenwärtigkeit von Geschichte im öffentlichen Raum zu sensibilisieren und damit möglicherweise die Wahrnehmung für gesellschaftliche Prozesse zu schärfen und zum Nachfragen anzuregen, ist ein wichtiges pädagogisches Ziel. Dass die wesentliche Erarbeitung von Hintergründen und Zusammenhängen dennoch in der Vor- und Nachbereitung liegt, deren Qualität weit mehr vom pädagogischen Personal oder Zeitressourcen abhängt, lässt den Verdacht zu, dass der Lernort als Chiffre fungiert: ein Merkmal einer anderen (als schulischen?) Pädagogik. Die eindrücklichen Schilderungen der Praxis legen nahe, dass der historische Ort zwar Lerngegenstand, der eigentliche Lernort aber ein Ermöglichungsraum ist, der über seine Organisation hergestellt und durch die Kommunikation ausgestaltet wird, der Lernprozess also möglicherweise zwar durch den Ort angestoßen wird, gleichwohl nur über Kommunikation gelingen kann. Der Ort bleibt aber vor allem ein Ort, zweifellos einer mit Geschichte. Ob er aber auch für die Güte des pädagogischen Prozesses bürgt, muss bezweifelt werden. Deshalb erscheint eine pointiertere Darstellung der pädagogischen Konzepte zur Erschließung von „Lernorten“ für den zweiten Band unerlässlich, will die Publikation einen substanziellen Beitrag zur Debatte um das Lernen an historischen Orten leisten.