Die digitale Gedenkstättenarbeit adressiert mehr als nur eine feste Zielgruppe, deren Interessen und Bedürfnisse wir bedienen möchten. Während wir auf einigen analogen und digitalen Wegen versuchen können, möglichst viele Adressat:innen zu erreichen, landen wir mit textlastigen und langen Posts wohl kaum bei der Gruppe der 14- bis 20-Jährigen, ebenso wenig mit einem kurzen Infovideo im Stil von TikTok bei der Gruppe Ü50 – vielmehr würde es hier sehr wahrscheinlich mindestens auf Irritation stoßen. Es braucht geeignete und zielgruppenorientierte Strategien, um bei der designierten Gruppe auch Aufmerksamkeit und Interesse zu wecken.
Laut dem Digital 2024 Global Overview Report nutzen 81 % der Deutschen mittlerweile mindestens eine Social Media-Plattform und verbringen darauf täglich durchschnittlich 99 Minuten. Allein aufgrund der schieren Masse an Texten, Bilder und Videos, mit der die Nutzenden von Social Media jeden Tag konfrontiert werden, muss der eigene Content zwischen veganen Kochvideos, tanzenden Boygroups und dauertrendenden Katzenvideos hervorstechen. Bei den ernsten Themen, um die es in Gedenkstätten notwendigerweise geht, ist dies eine Herausforderung.
Um diese Herausforderung, konkret um die Frage nach Marketingstrategien für digitale Angebote von Gedenkstätten, ging es in einer Session auf dem #rememBARCAMP 2024 in Hadamar, an der ich teilnahm. Ziel der Session war die Entwicklung von Leitfäden für verschiedene Zielgruppen, die Strategien und auch konkrete Inhalte umfassen. Zunächst wurden Gruppen definiert, die wir mit unseren Inhalten erreichen wollen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, warum zielgruppenorientiertes Marketing so wichtig ist: Würden wir versuchen, mit einem einzigen Format alle Gruppen zu erreichen, würden wir am Ende niemanden erreichen. Deshalb begannen wir in Kleingruppen damit, für jeweils eine ausgewählte Zielgruppe Marketingkonzepte zu erstellen. Hier entstanden innerhalb kurzer Zeit spannende Ideen und Konzepte, die für unsere digitale Arbeit für unterschiedliche Zielgruppen Impulse liefern. Wir fokussierten Jugendliche mit Handy, zwischen 10 und 14 Jahren; Lehrkräfte (sowohl die engagierten als auch die desinteressierten) und die zugeneigte lokale Bevölkerung Ü50. Aber auch uns selbst, also digital arbeitende Mitarbeitende in Gedenkstätten, analysierten wir als Zielgruppe. Bei dieser breiten Gruppenauswahl sind verschiedene Ansätze entstanden.
Besonders für die pädagogische Arbeit ist es wichtig, dass Lehrkräfte an Schulen erreicht werden, die unseren Ort potenziell mit ihren Klassen besuchen kommen. Während es bei den engagierten Lehrkräften ausreichend ist, eine gut gepflegte Website mit Informationsmaterial zu unterhalten und auf Fortbildungsangebote hinzuweisen, brauchen die weniger Interessierten eine persönliche Ansprache durch E-Mails oder Briefe. Andere Möglichkeiten, sie zu erreichen, sind etwa Informationen durch Gewerkschaftszeitungen und Informationen in der Buchungsbestätigung. Wichtig ist bei beiden Gruppen eine Breitenwirkung durch Kooperationen mit anderen Bildungseinrichtungen und durch analoge Informationen wie Flyer, Briefe oder Poster. Eine weitere Möglichkeit ist eine gut aufbereitete und gepflegte OER-Datenbank, auf die Lehrkräfte kostenlos zugreifen können.
Mindmap aus der Session beim #rememBARCAMP in Hadamar im Juli 2024. © Gedenkstätte Hadamar
Auf der anderen Seite stehen die Schüler:innen zwischen 10 und 14 Jahren, deren Zugang zu digitalen Inhalten fast ausschließlich über Smartphones und Tablets stattfinden. Bei dieser Gruppe brauchen wir einen langen Atem, weil die meisten Jugendlichen Gedenkstätten zunächst einmal ignorieren. Da viele Jugendliche tagtäglich viele Stunden online verbringen und die Hauptnutzenden von sozialen Medien sind, besteht die Chance, sie irgendwann zu erreichen. Man erreicht sie über die Plattformen YouTube oder TikTok – also durch selbst produzierte Videos oder gut gemachte Clips anderer Content-Creator:innen. Durch die Fülle an Inhalten für diese Gruppe kann es sinnvoll sein, Sponsored Content zu kaufen, wodurch eigene Inhalte von anderen Medienschaffenden wie etwa Influencer:innen verbreitet werden. Diese Kooperationen ermöglichen Gedenkstätten, sich der Reichweite und des Einflusses anderer Content-Creator:innen zu bedienen und die Zielgruppe über verschiedene Kanäle anzusprechen. Auch Games sind eine gute Möglichkeit zur Verbreitung. Eine analoge Marketingstrategie gibt es aber auch: Bei einem Besuch der Zielgruppe im jeweiligen Lern- oder Gedenkort können die Multiplikator:innen unsere Angebote bewerben.
Mindmap aus der Session beim #rememBARCAMP in Hadamar im Juli 2024. © Gedenkstätte Hadamar
Ganz anders sieht es bei der engagierten lokalen Bevölkerung Ü50 aus. Die Marketingstrategie für diese Gruppe folgt dem Motto „auf analogem Weg zu digitalen Inhalten“. Durch Plakate mit QR-Codes, Flyer und die analoge sowie digitale Möglichkeit, sich für einen Newsletter anzumelden, können wir auf analogem Weg auf unsere digitale Arbeit hinweisen. Durch Kooperationen mit lokalen Initiativen und Vereinen erreichen wir eine User-Bindung. Wichtig ist anschließend, dass die digitale Arbeit klar strukturiert ist: Es ist eine gut gefüllte und leicht zu bedienende Website notwendig, um diese Gruppe zu binden. In den sozialen Medien müssen wir vermehrt auf längere Texte und Veranstaltungsvideos setzen. Diese Gruppe erreichen wir weder mit aufwändigen Grafiken noch mit Reels, also Kurzvideos.
Zum Abschluss untersuchten wir in der Session auf dem #rememBARCAMP die Informationswege zu den Mitarbeitenden digitaler Gedenk- und Lernorte, befassten uns also mit uns selbst als Zielgruppe. Es zeigte sich, dass sich der direkte Austausch in Slack-Gruppen, per Mail oder in Lunch Talks besonders eignet. So können auch in Zukunft weitere spannende Ideen und Kooperationen entstehen – etwa solche, die helfen, unsere Zielgruppen besser zu verstehen und zu erreichen.
Mindmap aus der Session beim #rememBARCAMP in Hadamar im Juli 2024. © Gedenkstätte Hadamar