Die Zukunft beginnt heute. Das wussten 1989 politisch Engagierte in der DDR und malten sich aus, wie diese aussehen könnte. Für die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen (UIPF) – am 16. Dezember 1989 von 33 Frauen gegründet – lag der Fokus auf einer geschlechtergerechten Gesellschaft.
Logo der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen. Entwurf: Beate Müller, Quelle: Jeanette Toussaint
Um diese durchzusetzen, hatten sie sich dem kurz zuvor ins Leben gerufenen, DDR-weit agierenden Unabhängigen Frauenverband (UFV) angeschlossen. Unabhängig sein bedeutete, die Interessen von Frauen zu vertreten und nicht die von Parteien oder Organisationen. Viele Mitglieder der UIPF hatten bereits im Umfeld der evangelischen Kirche der DDR demokratisches Handeln erprobt und sich um gesellschaftspolitische Veränderungen bemüht. Auch hinterfragten sie schon früh die offiziell verkündete Behauptung, in der DDR seien Frauen und Männer gleichberechtigt. Nun galt es, in dem sich verändernden Staat für die tatsächliche Geschlechtergerechtigkeit einzutreten und bereits bestehende Frauenrechte zu sichern.
Erste öffentliche Vorstellung der Fraueninitiative im Potsdamer Klub der Künstler und Architekten „Eduard Claudius“, 28.1.1990. Foto: Bernd Gurlt, Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft.
Bis April 1990 schlossen sich der Potsdamer Initiative rund 150 Frauen an, von denen etwa 25 über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Sie organisierten politische Aktionen, protestierten beispielsweise gegen die Übernahme des bundesdeutschen Abtreibungsparagrafen, der nur in Ausnahmefällen einen straffreien Schwangerschaftsabbruch zuließ, reagierten aber vor allem auf die Tagespolitik und versuchten sie im regionalen Kontext mitzugestalten. Im sogenannten Superwahljahr 1990 (vier Wahlen waren zu bestreiten) entwickelte sich die Potsdamer Geschäftsstelle zum koordinierenden Büro für Frauenprojekte im ganzen Land Brandenburg. Doch trotz wöchentlicher Sitzungen liefen die Frauen den sich überschlagenden Ereignissen oft hinterher. Bereits 1991 engagierten sich nur noch wenige. Die einen verließen aus beruflichen und familiären Gründen die Stadt, andere waren von den gesellschaftlichen Umwälzungen und den geringen politischen Einflussmöglichkeiten der Initiative enttäuscht. Fehlende Mitglieder und mangelnde finanzielle Ressourcen beförderten 1995 das Ende der Gruppe. 1998 löste sich auch der UFV auf, der den zahlreichen Fraueninitiativen Ostdeutschlands als Dachverband gedient hatte. Doch war damit alles umsonst? Oder gibt es noch heute Spuren vom Wirken der Potsdamer Fraueninitiative?
Die Initiative hat in der kurzen Zeit ihres Bestehens das Fundament für die heutige Gleichstellungspolitik im Land Brandenburg gelegt. Erste Weichenstellungen gelangen durch die Mitwirkung in politischen Übergangsgremien. So saß die UIPF von Dezember 1989 bis Mai 1990 an den Runden Tischen der Stadt und des Bezirks Potsdam. Alte und neue Parteien sowie politische Vereinigungen entwarfen hier Handlungsempfehlungen für die Regierung und die Kommunen in der noch existierenden DDR. Die Initiative konzentrierte sich auf die Frauenpolitik und bemühte sich erfolgreich um die Einsetzung einer Gleichstellungskommission für den Bezirk Potsdam.
Auch im provisorischen Regionalausschuss für die Region Berlin (Hauptstadt der DDR), Berlin West und die Bezirke Potsdam und Frankfurt/Oder, kurz: provisorischer Regionalausschuss Berlin/Brandenburg, war die Fraueninitiative vertreten. Diese Region nahm seit dem Mauerbau 1961 eine Sonderrolle ein, denn sie war in Ost und West geteilt. Dem Ausschuss gehörten Vertreter*innen beider Regierungen, des Berliner Magistrats und Senats sowie der betroffenen DDR-Bezirke an. Das Gremium befasste sich in 15 Arbeitsgruppen mit der künftigen regionalen Entwicklung und richtete Empfehlungen an die fachlich zuständigen Verwaltungsstellen. Die UIPF engagierte sich in der Arbeitsgruppe Frauenpolitik, die von März bis August 1990 tagte. Das Gremium war Ost-West-paritätisch besetzt. Es unterstützte mit seiner Expertise den Aufbau frauenpolitischer Verwaltungsstrukturen sowie Arbeitsmarkt- und Frauenförderprogramme, denn schon früh deutete sich die rasant zunehmende Frauenerwerbslosigkeit der kommenden Jahre an.
Nach der Vereinigung beider deutscher Staaten im Oktober 1990 wurden die DDR-Bezirke aufgelöst und fünf neue Bundesländer gegründet, Ost-Berlin wurde Teil des Landes Berlin. Entsprechend änderten sich die Verwaltungsstrukturen. Brandenburg richtete als einziges ostdeutsches Bundesland ein Ressort Frauen und Gleichstellung im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen (MASGF) ein. Dafür hatte die UIPF mit ihrer Gremienarbeit in der Transformationszeit strukturelle und inhaltliche Voraussetzungen geschaffen. Die Umbruchzeit bot aber auch die Chance, als Quereinsteiger*in in der Verwaltung angestellt zu werden. Alle Beschäftigten im Ministerium waren neu. Nicht alle brachten die in der Bundesrepublik übliche Berufsausbildung dafür mit, dafür aber eine hohe inhaltliche Expertise und nicht selten einen starken Praxisbezug. So gelangten auch drei Frauen aus der UIPF ins Ministerium und entschieden fortan über Geschlechterpolitik und die entsprechende Projektförderung mit. Eine von ihnen wurde zur ersten Landesgleichstellungsbeauftragten gewählt. Heute ist Frauenförderung Aufgabe des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz (MSGIV).
Bei den Wahlen der Volkskammer und der Brandenburger Landtage 1990 und 1994 war die UIPF mit ihren Kandidatinnen nicht erfolgreich, doch bei der ersten freien Kommunalwahl errang eine Vertreterin der UIPF einen Platz im Potsdamer Stadtparlament, den sie über viele Jahre ausfüllte. Auch heute sind ehemalige Mitstreiterinnen über die 1993 initiierte Wählergruppe DIE aNDERE in der Kommunalpolitik vertreten. Hier engagieren sie sich zusammen mit Menschen aus der Bürgerrechtsbewegung, mit denen sie schon in der Wendezeit für ein demokratisches Deutschland gestritten hatten.
Auch die derzeitige frauenpolitische Landschaft in Potsdam ist ohne das Wirken der UIPF undenkbar. Die frühe Gründung von Vereinen wie dem Frauenzentrum und dem Frauenpolitischen Rat Land Brandenburg in den Jahren 1990/91 ging auf ihre Mitglieder zurück. Nicht alle diese Vereine haben die Zeit überstanden. So mussten das FrauenGesundheitsZentrum „Ringelblume“ und der Telefonnotruf für Frauen und Kinder aus finanziellen Gründen im Jahr 2000 schließen.
Das Autonome Frauenzentrum Potsdam e.V. ist das älteste noch existierende Projekt der Fraueninitiative und heute ein etablierter Kultur- und Bildungsort. Zu ihm gehören eine psychologische Beratungsstelle, der Mädchentreff „Zimtzicken“ sowie ein Haus und mehrere Wohnungen für Frauen, die aus Beziehungen mit gewalttätigen Partnern geflüchtet sind. Politisch und konfessionell unabhängig, arbeitet der Verein an der Durchsetzung frauenpolitischer Forderungen. Er kämpft insbesondere gegen Sexismus und Gewalt an Frauen und Mädchen. Jedes Jahr zur Walpurgisnacht verleiht das Frauenzentrum an besonders engagierte Frauen im Stadt- und Landkreis Potsdam einen „Hexenbesen“. Dieser symbolisiert die Kraft, gesellschaftliche Missstände zu beseitigen.
Diesen Hexenbesen verlieh das Potsdamer Frauenzentrum 2011 an die damalige Integrations- und Gleichstellungsbeauftragte für Potsdam-Mittelmark, Ines-Angelika Lübbe. Foto: Katherine Biesecke, Quelle: Autonomes Frauenzentrum e.V.
Das Frauenzentrum entstand aus einer Arbeitsgruppe, die sich bereits beim ersten Treffen der künftigen UIPF am 10. Dezember 1989 gebildet hatte. Es war 1990 die erste Einrichtung mit Schutzwohnungen im ehemaligen Bezirk Potsdam. Um die Arbeit zu sichern und sich gegenseitig zu unterstützen, ist das Frauenzentrum Teil des 1995 gegründeten Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser e.V. Aus einem wöchentlichen Angebot, das 1993 im Frauenzentrum startete, entwickelte sich ein stabiler Anlaufpunkt: der Mädchentreff „Zimtzicken“. Mädchen und junge Frauen können hier – seit 1996 in eigenen Räumen – ihre Freizeit verbringen. Das multikulturelle Team bietet Beratung, interkulturellen Austausch und Hilfe bei Hausaufgaben. Internationale Feste werden gefeiert. Workshops und kreatives Gestalten stärken das Selbstbewusstsein und unterstützen das Finden der eigenen Identität.
Der über die Stadt hinaus agierende Frauenpolitische Rat Land Brandenburg hat seinen Ursprung ebenfalls im Potsdamer Frauenzentrum. Dort fanden sich bereits 1991 Vertreterinnen neuer und alter Parteien sowie Verbände und Projekte – darunter die UIPF – zum Frauenpolitischen Runden Tisch zusammen. Dessen Ziel war es, mit Nachdruck die Lösung aktueller geschlechterpolitischer Probleme voranzutreiben. Daraus entstand schließlich der Frauenpolitische Rat, ein ständig wachsendes Netzwerk aus Frauenverbänden, Frauenorganisationen, Parteien und Gewerkschaften im Land Brandenburg. Überparteilich und überkonfessionell vertritt er die Interessen von Frauen in Politik und Gesellschaft. Hier ist auch das 2010 gegründete Projekt „FrauenOrte im Land Brandenburg“ angesiedelt, das die historischen Leistungen von Frauen im Land würdigt und auf Tafeln und im Internet sichtbar macht.
Seit den „wilden Wendejahren“ haben sich die hier vorgestellten Vereine immer mehr professionalisiert und spezialisiert. Sie unterstützen einander bei politischen Aktionen und richten gemeinsame Veranstaltungen wie die Brandenburgische Frauenwoche aus. Diese 1991 ins Leben gerufenen und deutschlandweit einzigartigen Aktionstage bieten vielfältige Informationsmöglichkeiten zu aktuellen frauenpolitischen Themen. Koordiniert werden sie vom Frauenpolitischen Rat, finanziell unterstützt vom MSGIV. Diesjähriger Höhepunkt ist der Umzug des Frauenpolitischen Rats, des Autonomen Frauenzentrums und des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser in ein gemeinsames Haus in Potsdams Mitte. So sind die drei Projekte als feministisch agierendes Netzwerk noch sichtbarer. Denn: Die Zukunft ist heute!
Rothe, Ulrike/Garcia Hernandez, Rebecca (Hrsg.): „Gemeinsam sind wir unerträglich“. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR, Halle 2023.
Schultz, Maria/Toussaint, Jeanette (Hrsg.): Wir dachten, wir können die Welt aus den Angeln heben. Die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen (1989 bis 1995), Potsdam 2022.
Toussaint, Jeanette: Ein Besen für mutige Frauen. Siebenundzwanzig Gesichter und ein Preis, Potsdam 2016.