Konzentrationslager, Arbeitshaus, Durchgangslager für Fremdenlegionäre, Strafgefängnis – im ehemaligen Bischofsschloss Kislau südlich von Heidelberg befanden sich mehrere Einrichtungen nationalsozialistischer Verfolgung. Die Justizverwaltung war zuständig für das Arbeitshaus, das schon in den 1880er Jahren eingerichtet worden war und bis 1945 existierte, sowie für das 1939–1945 betriebene Strafgefängnis. Das im Frühjahr 1933 errichtete Konzentrationslager war bis zu seiner Auflösung 1939 dem badischen Innenministerium unterstellt. Das Durchgangslager war bis 1939 dem KZ angegliedert, bestand jedoch auch nach dessen Auflösung weiter.
In der Forschung hat bislang vor allem das Konzentrationslager Beachtung erfahren. Es war eines von rund hundert KZ, welche die Nationalsozialisten 1933 im ganzen Reich er- bzw. einrichteten. Während die meisten dieser frühen Lager schon nach wenigen Monaten wieder aufgelöst wurden, bestand das KZ Kislau sechs Jahre lang. Neben Kommunisten und Sozialdemokraten waren auch Kirchenleute, Zeugen Jehovas, sogenannte „Rassenschänder“, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ unter den Häftlingen. 1936 wurde das KZ in „Bewahrungslager“ umbenannt, an den Haftbedingungen änderte sich jedoch nichts. Bis das Lager 1939 aufgelöst wurde, hielten die Nazis dort mehr als 1.500 Männer gefangen.
Wie schon vor 1933 beherbergte die Kislauer Schlossanlage auch während der NS-Zeit ein Arbeitshaus. Darin wurden Menschen inhaftiert, die den Nationalsozialisten als „asozial“ galten. Formell waren Arbeitshaus und KZ getrennte Einrichtungen, allerdings wurden sie ab 1935 in Personalunion geführt. Seit 1934 wurde der Schlosskomplex darüber hinaus genutzt, um Männer, die sich für die französische Fremdenlegion verpflichtet hatten und nun nach Deutschland zurückkehren wollten, kurzzeitig festzuhalten und „politisch zu schulen“. Ab 1936 war das Durchgangslager in Kislau die reichsweit einzige zu diesem Zweck genutzte Einrichtung. Nach der Auflösung des KZ im Frühjahr 1939 war in der Anlage ein Strafgefängnis untergebracht, in dem zahlreiche politische Häftlinge festgehalten wurden – unter ihnen der spätere Ulmer Oberbürgermeister Robert Scholl, den man nach der Hinrichtung seiner Kinder Hans und Sophie in „Sippenhaft“ genommen hatte.
Seit 1946 wird die Kislauer Schlossanlage durchgängig bis heute für den Strafvollzug genutzt. Die historischen Gebäude sind nicht öffentlich zugänglich. Abgesehen von einer Gedenkstele für den 1934 im KZ Kislau ermordeten SPD-Politiker Ludwig Marum sowie einer kurzen Info-Tafel der Gemeinde, gibt es vor Ort bislang keine Hinweise auf dessen Geschichte in der NS-Zeit. Der 2012 gegründete Lernort Kislau e. V. möchte das ändern und auf dem Gelände eine Bildungsstätte errichten, welche die NS-Geschichte von Kislau in die badische Demokratie- und Diktaturgeschichte der Jahre 1918–1945 einbettet. Eine Kombination aus Geschichtsvermittlung und Wertedialog soll dafür sensibilisieren, dass man demokratiefeindlichen Tendenzen so früh wie möglich entgegentreten muss. Da das Land Baden-Württemberg der Nutzung der historischen Bestandsgebäude außerhalb des Sicherheitsbereichs eine Absage erteilt hat, muss für den Lernort ein Neubau vor den Toren der Schlossanlage errichtet werden. Die Finanzierung ist noch ungeklärt.
Seit 2015 beschäftigt der Lernort Kislau e. V. ein kleines, von Land und Kommunen finanziertes hauptamtliches Team, das die Errichtung des Lernorts vorbereitet und mobile und digitale Vermittlungsangebote realisiert. Dazu gehören etwa animierte Bildergeschichten, sogenannte Motion Comics, in denen Ereignisse aus der Weimarer Republik und der NS-Zeit aufbereitet werden. Über ein Dutzend davon sind online kostenlos verfügbar, eine begleitende Quiz-Reihe dazu ist in Arbeit. Unter dem Titel „Wo fängt Unrecht an?“ hat der Verein darüber hinaus im Rahmen des Bundesprogramms Jugend erinnert ein mobiles Geschichtslabor entwickelt, das durch Jugendeinrichtungen und Schulen tourt. Ab Februar 2023 kommt die Wanderausstellung „Auftakt des Terrors – Frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“ hinzu, welche das Team zusammen mit 16 weiteren Gedenkstätten konzipiert hat. Sie wird bundesweit in mehreren Ausfertigungen zeitgleich gezeigt.
Literatur
Borgstedt, Angela: Das nordbadische Kislau: Konzentrationslager, Arbeitshaus und Durchgangslager für Fremdenlegionäre, in: Benz, Wolfgang/Distel, Barbara (Hrsg.): Herrschaft und Gewalt. Frühe Konzentrationslager 1933–1939 [Geschichte der Konzentrationslager 1933–1945, Bd. 2], Berlin 2002, S. 217–229.
Hankeln, Laura: Interniert in Kislau. Ausgrenzung und Verfolgung von Bettlern und Landstreichern im nordbadischen Arbeitshaus (1930–1938), in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 167 (2019), S. 337–390.
Lehnen, Luisa: Das Konzentrations- und Bewahrungslager Kislau (1933–1939). Ein Werkstattbericht, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 167 (2019), S. 299–336.
Lernort Kislau e.V.
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