Ob aus Neustadt oder Hogwarts, ob Blocksberg oder McGonagall, Hexen, ob gut oder böse, gehören zur Popkultur. Die Annahme, die Personen mit spitzem Hut und Hakennase würden einer Kindheitsidee entspringen, könnte nahe liegen. Doch dem ist nicht so. Vielmehr ist die Geschichte des Hexenwahns eine grauenhafte, die ihren Ursprung im Mittelalter hat. Trotzdem fand die letzte von Gesetzen legitimierte Hexenverurteilung Europas erst 1782 in der Schweiz statt. Seitdem ist einige Zeit vergangen, doch ein näherer Blick auf die Umstände des Hexenwahns lohnt sich auch heute noch.
Der Hexenwahn ist eine Verschwörungserzählung, welche für viele Menschen der Vergangenheit angehört. Doch dass die Erzählung auch heute noch einen Einfluss hat, wird im Folgenden dargestellt. Denn der Hexenwahn war explizit gegen Frauen und ihr Wissen gerichtet und die Hexenverfolgung hatte verheerende Folgen für Frauen der Neuzeit und auch heutige patriarchale Strukturen können darauf zurückgeführt werden[1]. Der Hexenwahn reiht sich ein in die Verfolgungen anderer Sündenböcke. Dies betraf Leprakranke, sogenannte Häretiker (zum Beispiel: Waldenser und Katharer) sowie Juden*Jüdinnen. Eine Gemeinsamkeit dieser Verfolgungen stellt die Vorstellung einer gegen die Gesellschaft angezettelten Verschwörung dar (Ginzburg 1993: 87). Die Dämonisierung der vermuteten Verschwörer*innen ist Bestandteil des Hexenwahns sowie des Antijudaismus. Mithilfe des Teufels solle die Christenheit ausgelöscht werden, so die Idee. „Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach eures Vaters Begierden wollt ihr tun“ lautete der antijüdische Vorwurf in Johannes 8 Vers 44. In Moses 22,17 steht geschrieben „Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen.“[2] Der Tod von als Außenseiter*innen wahrgenommenen Personen, um die eigene Gruppe vor vermeintlicher Gefahr zu schützen, ist ein wiederkehrendes Motiv bei Verfolgungen von Sündenböcke. Der Bund mit dem Teufel ist auch essentiell für die Vorwürfe der Inquisition im Zuge des Hexenwahns. Die Hexe als Personifizierung des absolut Bösen erklärt auch die grausamen Folter- und Hinrichtungsmethoden. Egal wie eine Beschuldigte auf die Anschuldigungen und Folter reagierte, die Gegebenheiten wurden in die Verschwörung hinein gebettet. Wer unter Folter gestand, war eine Hexe. Wer die Folter überlebte, konnte nur eine Hexe sein, da kein Mensch die Folter ohne Hilfe des Satans überstehen könnte. Diese Unwiderlegbarkeit ist ein wichtiges Kennzeichnen von Verschwörungserzählungen.
Das Stereotyp des Hexensabbats spielt hierbei eine zentrale Rolle. Hier würden Teilnehmer*innen dem christlichen Glauben absagen, sexuelle Orgien und Teufelshuldigung betreiben und zuletzt ein Festmahl mit dem Satan höchstpersönlich einnehmen. Die Hexenvorwürfe gehen jedoch weiter bis hin zu Ritualmord, Brunnenvergiftung und Hostienfrevel, welche auch Juden*Jüdinnen unterstellt wurden. Schreckliche Naturereignisse, Hungersnöte und Epidemien hatten somit ihre*n Verursacher*in gefunden. Bisher waren Hexen und Zauberer*innen eher als Einzelpersonen mit besonderen Kräften gesehen worden. Wie der Aberglaube waren Vorstellungen von guter und schlechter Magie ein weit verbreitetes Phänomen. Durch die Idee des Hexensabbats (auch Synagoge der Hexen genannt) ergab sich eine zusammenhängende Gruppierung, welche die Auslöschung des Christentums zum Ziele hätte (Ginzburg 1993: 11).
Eine zentrale Rolle in der Hexenverfolgung nahm der Malleus Malleficarum, der sogenannte Hexenhammer ein. Heinrich Kramer beschreibt darin die Hexenvorwürfe und Hexenprozesse. Im Titel wird Malleficarum verwendet und nicht die männliche Form Malleficorum. Der Hexenhammer war somit explizit gegen Frauen gerichtet. Zudem wurden die meisten Vorwürfe Frauen gemacht. In den Hexenprozessen waren 80% der Beschuldigten und 85% der Verurteilten weiblich (Barstow 1994: 23). In Langendorf im Rheinland wurden alle Frauen bis auf zwei als Hexen inhaftiert. Auch Männer und Kinder wurden der Hexerei bezichtigt, jedoch waren diese meist Angehörige von schon als Hexe verurteilten Frauen (Barstow 1995: 24). Die Protokolle der ausschließlich männlichen Inquisitoren sind durchzogen von sexuellen Anspielungen und Fragen und die Prozesse gingen häufig mit sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen einher (Barstow 1995: 16). Das sogenannte Teufelsmal wurde als Beweis der Satansverehrung angesehen. Dies sei auch an einem Ort an ihrem Bein zu finden. Einige Inquisitoren bezeichneten den sichtbaren Teil der Klitoris als Teufelsmal. Auch Vorwürfe wie Sodomie, Sex ohne Ziel der Fortpflanzung und Teufelsbuhlschaft zeigen, dass weibliche Sexualität zum Feindbild der Inquisition gehörte. Ein weiblich gelesenerKörper war somit ein entscheidender Faktor, um als Hexe betitelt zu werden. In den Geständnissen einiger als Hexen bezeichneter Frauen kommt auch zum Vorschein, dass sie von einer sexuellen Schuld geplagt waren und diese tatsächlich auch mit dem Teufel in Verbindung brachten (Barstow 1995: 18). Zudem würden ältere Frauen junge Männer mit Hilfe von Zaubertränken in sie verliebt machen. Anscheinend gab es ohne Magie keine Begründung, Zuneigung zu älteren Frauen zu empfinden. Die meisten der europäischen Hexen waren über fünfzig Jahre alt. Sie wurden damals auch als „zänkische Weiber“ dargestellt. Häufig nahmen sie kein Blatt vor den Mund und dies wurde mit der scolds bridle[3] bestraft. Im patriarchalen Gefüge der Ehe war die höchste Tugend der Ehefrau, dem Mann gehorsam zu sein. Das Knebeleisen, ein Folterinstrument, wurde Frauen, die für ihre eigene Person einstanden und anderen widersprachen, um den Kopf gelegt und Nägel aus Metall durchstachen ihnen die Zungen, wenn sie versuchten zu reden (Barstow 1995: 28; vgl. Federici 2019: 57).
Weiterhin wurde durch die Pest im 14. Jahrhundert ein Großteil der europäischen Population ausgelöscht. Kirchliche Vertreter sowie der zunehmend an Einfluss gewinnende Staat machten es sich zur Aufgabe, der geschrumpften Bevölkerungsdichte entgegenzuwirken und für den benötigten Nachwuchs zu sorgen. Kindstötungen sowie Kannibalismus gehörten auch zu der langen Liste der wahnhaften Hexereivorwürfe. Dadurch fielen auch Heilerinnen und Hebammen ins Visier der Hexenverfolgung. Sie verfügten über wertvolles Wissen zu Abtreibungen und Verhütung. Praktiken, die auch auf einer Naturverbundenheit beruhten, waren der Inquisition ein Dorn im Auge.
Insgesamt fielen der Verschwörungsideologie des Hexenwahns etwa hunderttausend Menschen zum Opfer. Durch die Ermordung von Hebammen und Heilerinnen wurde kostbares Wissen zur Reproduktion ausgelöscht und Frauen zogen sich verängstigt in patriarchale Strukturen der Ehe und Familie zurück, um sich vor Vorwürfen zu schützen (Barstow 1995: 29). Da Frauen und der weibliche Körper zu dieser Zeit mit der geheimnisvollen Natur in Verbindung gebracht wurden und durch die Entwicklung des Kapitalismus Naturbeherrschung an Einfluss gewann, wurde auch das ganzheitliche Naturkonzept, die Verbundenheit von Mensch und Natur zerstört (Federici 2019: 23).
Eine Radierung „Flugblatt zu Zauberey“ von Matthäus Merian nach einem Vorbild des Malers Michael Herr wurde im Jahr 1626 in Nürnberg veröffentlicht. Ein Großteil der dort gemeinsam mit Teufeln dargestellten Personen ist weiblich. In einer Bildunterschrift gibt es folgende frauenfeindliche Passage: „Hie sicht man alte Weiber stahn/ Die tod Kinder in Körben han/ Mißbrauchen unzeitig Geburt. Ein andre mit dem Teuffel huhrt/ Die dritte frißt und säufft sich voll/ Wird vom Höllischem Tranck ganz toll.“
Sylvia Federici beschreibt aktuelle Hexenverfolgungen von männlichen Bürgerwehrgruppen, die vor allem Frauen aufgrund von Hexereivorwürfen bestrafen würden. Dies führt häufig zum Tod und der Konfiszierung des Eigentums der Beschuldigten (Federici 2019: 80).
Bisher konnte nicht widerlegt werden, dass Verschwörungserzählungen eine europäische Erfindung sind und sich durch Kolonialismus und Imperialismus weltweit ausgebreitet haben (Butter 2018: 141). Das erklärt, warum es erst in den 1990er Jahren vermehrt Hexenjagden in afrikanischen Ländern gibt. In Kenia wurden seit 1992 über hundert Personen ermordet (Federici 2019: 82) und im Norden Ghanas befinden sich sogenannte Hexenlager, in denen ungefähr 3000 Frauen eine Zuflucht vor Verfolgung gesucht haben (Federici 2019: 83). Den von Hexenverfolgung Betroffenen wird vorgeworfen, von innen heraus Böses im Schilde zu führen. Nicht einmal die eigene Familie bietet hierbei Schutz.
Es zeigt sich also, dass der Hexenwahn auch gegenwärtig noch eine Rolle spielt, wenn auch nicht weltweit. Bis heute sind Stereotype verbreitet, die auf die jahrhundertelange Verfolgung und die damit einhergehenden Bilder von Frauen zurückzuführen sind. Ob die einsame Eleanor Abernathy aus den Simpsons mit Katzen wirft oder Hillary Clinton angeblich Blutrituale mit einem satanistischen Kult durchführt, die Hexe ist eine andauernde Assoziation.
Barstow, Anne Llewellyn (1994): „Witchcraze. A New History Of The European Witch Hunts“, Harper Collins, London.
Butter, Michael (2018): „‘Nichts ist, wie es scheint‘. Über Verschwörungstheorien“, Suhrkamp Verlag, Berlin.
Federici, Sylvia (2019): „Hexenjagd. Die Angst vor der Macht der Frauen“, Unrast Verlag, Münster.
Ginzburg, Carlo (1993): „Hexensabbat. Entzifferung einer nächtlichen Geschichte“, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
Igwe, Leo (2008): „Saving Child Witches – A Nigerian Perspective“; 14.12.2008, http://enblog.mukto-mona.com/2008/12/14/saving-child-witches-a-nigerian-perspective/; Mukto-Mona.
Igwe, Leo (2020): „The Real Witch-Hunting in Africa“, 08.09.2020, https://www.modernghana.com/news/1028165/the-real-witch-hunting-in-africa.html; Modern Ghana.
Merian, Matthäus (1626): „Flugblatt Zauberey“, Nürnberg, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6b/Flugblatt_Zauberey_1626.JPG.
[1] Auch die kapitalistische Akkumulation war ausschlaggebend für die Hexenverfolgung. Dies stellt Sylvia Federici in ihrem Buch „Caliban und die Hexe“ dar. Durch die Einhegungen wurden viele Menschen mittellos, vor allem ältere Frauen waren betroffen. Sie zogen von Tür zu Tür und bettelten bei bessergestellten Menschen. Wenn nach so einem Besuch den Menschen etwas Schlechtes zustieß, wurde dies auf die angebliche Hexe zurückgeführt. Ein Beispiel für Victimblaming. Da vor allem Frauen, die aus armen Verhältnissen stammten, verurteilt wurden und Beschuldigende sich eher in finanziell bessergestellten Situationen befanden, muss auch davon ausgegangen werden, das Klasse eine signifikante Rolle in der Hexenverfolgung spielte (Barstow 1995: 26-27).
[2] Auch heute beziehen sich Pastor*innen noch auf diese Bibelstelle, wenn vermeintliche Hexen bestraft werden sollen (Igwe 2008).
[3] Das Knebeleisen oder die Schandmaske wurde in englischsprachigen Regionen scolds bridle oder gossip bridle genannt. Da scold auf Deutsch die Bedeutung für Hausdrachen oder zänkisches Weib inne hat, zeigt sich, dass dieses Folterinstrument zur Zurechtweisung und Unterdrückung von Frauen genutzt wurde. (Zur Bedeutungsveränderung der Bedeutung von gossip Federici 2019, 51 ff.) Das Knebeleisen besteht aus einer Art Zaumzeug, das um den Kopf gelegt wird, und einem metallenen Mundstück, das beim Versuch zu reden in die Zunge schnitt.