Mit der Studie „Prostitution in der DDR. Eine Untersuchung am Beispiel von Rostock, Berlin und Leipzig, 1968 bis 1989“ legt Steffi Brüning die erste Analyse weiblich-heterosexueller Prostitution in der DDR vor. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit dem strafrechtlichen Verbot 1968 und endet mit dem Mauerfall 1989. Wie Brüning schreibt, wird sich mit den drei gewählten Städten auf den urbanen Raum fokussiert. Die Städte selbst „unterscheiden sich in der Größe, der Anzahl verfügbarer öffentlicher Orte, an denen Kontakte zwischen Prostituierten und Kunden aufgebaut wurden, und der Möglichkeit, von staatlicher Seite zu intervenieren“ (S.10). Neben den Unterlagen des Ministerium für Staatssicherheit (MfS) von Frauen, die von staatlicher Seite als Prostituierte eingestuft worden waren sowie von Personen aus deren Umfeld, dienen Steffi Brüning Interviews mit entsprechenden Personen als Quellengrundlage für die Studie.
Das erste Kapitel ist der „sozialistischen Utopie“, welche das Normumfeld für den Untersuchungsgegenstand schuf, gewidmet. Es stellt sich für die Autorin die Frage, welche sexuellen Normen von staatlicher Seite gesetzt wurden. Als Basis für die Normenbildung sieht Brüning unter anderem die sexuelle Ratgeberliteratur, die durch die SED herausgegeben wurde. Hierzu zählen etwa „Mann und Frau intim“ von Siegfried Schnabl sowie „Denkst Du schon an Liebe?“ von Heinrich Brückner, die ausführlich analysiert werden. Als ebenfalls normgebend sieht Brüning die Gesetzgebung an. Daher wird ein genauerer Blick auf die entsprechende Rechtsgeschichte geworfen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem Umgang mit Prostituierten. Diese galten „als hauptverantwortlich für die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten“ (S.47). Entsprechend reglementiert und überwacht wurden die Frauen. Steffi Brüning beginnt im 18. Jahrhundert, gelangt über das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 sowie den Regelungen unter nationalsozialistischer Herrschaft zu den Gesetzen der DDR. Dort wurde 1961 in der „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ (S.57) der Umgang mit an Geschlechtskrankheiten erkrankten Personen beschlossen. Da diese auch einschloss, Kranke und Krankheitsverdächtige namentlich zu erfassen, wurde dem Staatsapparat damit weitreichende Eingriffsmöglichkeiten ermöglicht. „Promiskuität galt als Ausgangspunkt für Geschlechtskrankheiten“ (S.61), so dass Prostituierte und sexuell freizügige Personen auf Grundlage der Verordnung gemaßregelt werden konnten. Prostitution wurde faktisch kriminalisiert.
Ebenso wie bei der Prostitution lassen sich in der Strafgesetzgebung der DDR auch bezüglich der „Asozialität“ Rückbezüge bis 1871 finden. Wieder zeichnet Brüning den Weg bis zur endgültigen Gesetzgebung detailliert nach und weist beispielsweise daraufhin, dass die Aufnahme des Konzepts „Asozialität“ als Straftatbestand nicht vorneherein festgestanden habe (S.67). Wie bei allen Gesetzgebungsprozessen habe es erhebliche Diskussionen um grundlegende Definitionen gegeben. Explizit schloss der schlussendlich beschlossene Paragraph 249 DDR-StGB mit ein: „[W]er der Prostitution nachgeht oder wer sich auf andere unlautere Weise Mittel zum Unterhalt verschafft“ (S.68). Die Einbettung in den Paragraphen zeigt, so Brüning, dass es mehr um Arbeits-, denn um Sexualmoral ging.
Dem Anspruch der SED, „von der Norm abweichende Menschen allgemein zu erfassen und im Anschluss durch engmaschige Kontrollen und Umerziehung auch außerhalb von Freiheitsstrafen zu sozialistischen Persönlichkeiten zu formen“ (S.84), ist das zweite Kapitel gewidmet. Zu diesen „engmaschigen Kontrollen“ zählte im Falle der Prostituierten auch das Gesundheitswesen. Frauen wurden hier, wie Steffi Brüning schreibt, aufgrund von Geschlechtskrankheiten häufiger als (mögliche) Prostituierte wahrgenommen als in anderen staatlichen Institutionen (S.86). Die Kontaktnachverfolgung über infizierte Männer führte die Behörde ebenfalls zu Prostituierten. Jedoch wies das Überwachungssystem hier Lücken auf. Denn die Behörden waren auf die Aussagen der Beteiligten angewiesen. Zudem mieden Prostituierte bei Erkrankungen das System der Geschlechtskrankenfürsorge, um nicht in das Visier des Staates zu geraten. Wer sich nach außen möglichst unauffällig verhielt, geriet weniger in den Fokus.
In letzter Instanz war die Einweisung in Geschlossene Krankenanstalten (kurz: GKA) möglich. Wie sich dies konkret darstellte, untersucht Brüning anhand der Akten sowie im direkten Gespräch mit Betroffenen. Zu Wort kommt beispielsweise Klara S., welche in die GKA Rostock eingewiesen wurde. In ihren Erzählungen wird Brünings These belegt, die GKAs hätten vorrangig Disziplinierungs- und Erziehungszwecke erfüllt. Beschwerden wie etwa Ruhestörungen, die mit „Männerbekanntschaften“ verknüpft wurden, rechtfertigten eine Einweisung scheinbar (S.108f). Interessant an den Erzählungen von Klara S. ist, dass das Interview am Ort der ehemaligen Anstalt durchgeführt wurde. Das Setting hat entsprechend Einfluss auf die Erinnerungen der Interviewten. Deutlich wird auch das Framing, dem Klara S. während der Befragungen ausgesetzt war. Neben sexistischen finden sich dort auch rassistische Stereotype: „Ich bin aber mit Ausländern viel ausgegangen. […] Ich sprach englisch. Und dann sollte ich erzählen und dann hat er zu mir gesagt:, Alleine, dass sie schon mit jemandem essen und ausgehen. Das ist schon.‘ Da habe ich gesagt: ‚Wie bitte?‘“ (S.109) Es wird deutlich, dass Frau S. andere sexuelle Wertvorstellungen vertrat als vorgesehen. Während sie von „Spaß“ spricht, macht der Staat aus ihr eine Prostituierte. Nicht nur die Gesundheitsbehörden, auch der Justizapparat waren für die Umsetzung der geltenden Gesetze zuständig. Wie jedoch Brüning resümiert, funktionierte die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gremien zu keinem Zeitpunkt vollumfänglich. Vor allem in den in der Studie untersuchten Städten sei es zudem Menschen immer wieder gelungen, sich vor der staatlichen Einflussnahme zu verstecken. Auf Prostituierte seien die Behörden meist nur per Zufall oder durch andere Delikte aufmerksam geworden (S.159): „Der Anspruch der SED, die gesamte Gesellschaft normieren zu wollen, scheiterte in der Durchsetzung.“ (S.160)
Zu den Behörden, die sich an der Überwachung und Durchsetzung der Regelungen beteiligten, gehörte auch das Ministerium für Staatssicherheit. Die Arbeit der innerhalb der DDR eingesetzten Inoffiziellen Mitarbeiter*innen (IM) ist Gegenstand von Kapitel Drei. Auch hier kommt unter anderem wieder Klara S. zu Wort, da sie als IM gearbeitet hat. Brüning macht unterschiedliche Motivationen aus, die Prostituierte zu IMs werden ließ. Meist finden sich mehrere Motive, wie zum Beispiel persönliche Vorteile oder politische Überzeugung. Der Großteil der Prostituierten, so die Autorin, habe sich immer wieder geweigert.
Einen Sonderfall stellten die sogenannten „Honigfallen“ dar. Zielpersonen für diese IMs waren vor allem westliche Diplomaten, Journalisten und Wirtschaftsvertreter, von denen man sich Informationen erhoffte. Das MfS achtete bei der Anwerbung neben Intelligenz, Systemtreue und Loyalität auch darauf, besonders attraktive Frauen anzuwerben. Dies hat zur Mystifizierung dieser IMs durch die Medien beigetragen. Wie Brüning festhält, mussten jedoch stets alle Bedingungen erfüllt sein, so dass es verkürzt wäre, die Arbeit dieser IM-Gruppe auf sexuelle Kontakte herunterzubrechen (S.191). Für das MfS war dieser Einsatz eine heikle Sache, entwickelten sich aus den beauftragten langfristigen Beziehungen zu ausländischen Männern Liebesbeziehungen oder die Frauen nutzen die Möglichkeit zur Ausreise, wie Brüning festhält. (S.222)
Im letzten Kapitel widmet sich Brüning der Frage, warum Frauen in der DDR überhaupt in die Prostitution gingen und wie der Weg dorthin war. Hierfür lässt die Autorin einleitend ehemalige Prostituierte zu Wort kommen, deren Motivation recht unterschiedlich war. Vereint sind sie jedoch durch die Niederschwelligkeit für den Einstieg: „Sie benötigten weder Zeit zur Vorbereitung noch zur Organisation“ (S.235). Als Motivation werden materielle Vorzüge wie Geld und (westliche) Geschenke genannt. So führten auch Schulden in die Prostitution. „Insgesamt zeigt sich, dass Frauen sich also für die Prostitution entschieden, um Geld zu verdienen. Für sie war Prostitution faktisch eine – als illegitim definierte – Form von Arbeit“ (S.241). Aber auch Motive wie der Wunsch nach (sexueller) Freiheit und neuen Erfahrungen spielten oftmals eine Rolle. Abschließend wird auch die Organisation erläutert, die hauptsächlich über Netzwerke funktionierte. Zu diesen gehörte neben den Prostituierten auch viele Helfer*innen.
Mit „Prostitution in der DDR“ ist der Autorin eine umfassende Analyse gelungen, die weiblich-heterosexuelle Prostitution und die damit verbundenen Repressionen sichtbar macht. Gleichzeitig ist das Werk von Steffi Brüning auch eine Studie über die Gesellschaft der DDR und deren Normvorstellungen, die sich in der Gesetzgebung des Staates widerspiegelte Die persönlichen Erzählungen, ergänzt mit den Daten aus Aktenbeständen, machen „Prostitution in der DDR“ zu einer wertvollen Quelle und zudem gut lesbaren Werk.