Mit „Zu wandeln die Zeiten“ hat Markus Meckel, langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter, ehemaliger Präsident des Volksbunds für Kriegsgräberfürsorge (2013-2016), und seit seiner Gründung bis 2019 Kuratoriumsvorsitzender und -mitglied des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität im Frühjahr 2020 seine Autobiographie vorgelegt. Die beiden Ämter sowie viele andere seiner politischen Aktivitäten nach 1990 finden jedoch im Buch kaum Beachtung, da es sich auf Meckels Jugend- und Studienzeit, seine Arbeit als Pastor, die Gründung der Sozialdemokratischen Partei in der DDR und seine Tätigkeit als letzter Außenminister der DDR konzentriert.
Meckel, geboren 1952, wuchs im kirchlichen Umfeld auf, nachdem sein aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrter Vater eine Pfarrstelle im ländlichen Brandenburg angenommen hatte und mit seiner Frau das dortige Gemeindeleben gestaltete.
Auch aufgrund dieses Umfeldes und weniger weil ihm konkretes Fehlverhalten vorgeworfen werden konnte, wurde Meckel das staatliche Abitur und somit auch ein Studium an einer staatlichen Universität in der DDR verwehrt, er musste die Erweiterte Oberschule nach der 10. Klasse verlassen.
Stattdessen besuchte er das Kirchliche Oberseminar und im Anschluss die Theologischen Hochschulen in Naumburg und Ostberlin, was seinem Berufswunsch durchaus entsprach. In dieser Zeit lernte er Theolog*innen und andere politische Aktive aus der ganzen DDR kennen und knüpfte Kontakte in andere Länder.
Beim Studium in Berlin lernte Meckel auch Martin Gutzeit kennen, der ihm ein lebenslanger Wegbegleiter wurde.
Nach dem Studium ging Meckel 1980 zum Vikariat in das Dorf Vipperow an der Müritz, wo er im Anschluss auch die Pfarrstelle übernahm. Dort, wo auch seine Frau Christina, die nicht bei der Kirche beschäftigt war, in die Gemeindearbeit eingebunden wurde, baute Meckel einen Friedenskreis auf, bei dem Interessierte zweiwöchentlich zur Diskussion zusammenkamen. Dass Meckels vielfältige politische Aktivitäten im Weiteren möglich waren, da seine Frau einen Großteil der Familien- und Hausarbeit übernahm, deutet sich schon hier an.
Die Teilnehmenden des Friedenskreises waren nicht nur Gemeindemitglieder sondern kamen auch aus anderen Landkreisen und waren nicht alle Protestant*innen. Die besprochenen Themen, die zum Teil auch in Aktionen mündeten, waren vielfältig, es ging um Abrüstung, Umweltaspekte und Entwicklungspolitik und zog bald so viele Menschen an, dass sich weitere Friedenskreise in der Umgebung gründeten.
Durch seine vielen Kontakte war Meckel Teil und Mitgestalter vieler Oppositionsgruppen. Dazu gehörte die Mitarbeit bei „Frieden konkret“, einem Basisgruppen-Netzwerk, das 1983 aus dem Treffen von 31 Friedenskreisen entstanden war und sich kontinuierlich traf und um Gruppen aus anderen Themenspektren anwuchs. Meckel beschreibt die inhaltlichen Konflikte, betont aber vor allem die Bedeutung, die die jährlichen Treffen für den Austausch und die Konsenssuche hatten. Ein weiteres spannendes Projekt, das Markus Meckel vorantrieb, waren die Mobilen Friedensseminare, die zwischen 1982 und 1987 jährlich stattfanden und bei denen Gruppen an verschiedenen Orten zu einem Thema – 1983 etwa gewaltfreie Konfliktlösung – arbeiteten und diskutierten um die Ergebnisse bei einem gemeinsamen Abschlusswochenende zusammenzubringen.
Mit Martin Gutzeit, der an vielen der ökumenisch-politischen Projekte beteiligt war, verfasste Meckel im Juli 1989 den Gründungsaufruf für eine Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP), der nicht mit der SPD in der BRD abgesprochen war. Kleinteilig beschreibt Meckel die einzelnen Schritte über erste Verlesungen des Aufrufs, der Verbreitung in der DDR und in der westdeutschen Presse, strategische Vorbereitungen und die Suche nach Verbündeten bis hin zur Parteigründung am 40. Jahrestag der Gründung der DDR, dem 7. Oktober 1989. Auf den knapp vierzig Seiten, die diesem Unterkapitel gewidmet sind, transportiert sich der Gründungsgeist und die damit verbundene Aufregung und Unsicherheit ob der Konsequenzen.
Genauso anschaulich führt Meckel den weiteren Aufbau der Partei, der sich durch den weiteren Machtzerfall der SED im Herbst 1989 rascher gestalten konnte als gedacht, und die Gestaltung des Runden Tisches aus, an dem die demokratische Umgestaltung der DDR beraten wurde und an dem auch die SDP einen Platz hatte.
In diesen Episoden überschlagen sich die Ereignisse und entsprechend fällt es beim Lesen teilweise schwer mit dem Tempo der Veränderungen und der Vielzahl an Namen von Beteiligten und Gruppen mitzuhalten.
Der Runde Tisch arbeitete auf die Freie Volkskammerwahl am 18. März 1990 hin, bei der auch die Sozialdemokratische Partei (mittlerweile als Hinwendung zur westdeutschen Partei in SPD umbenannt) antrat und für die Markus Meckel in der von Lothar de Maizière geführten Koalitionsregierung Außenminister wurde. Hier kann Meckel interessante Einblicke geben und berichtet von den steten Versuchen de Maizières seine Kompetenzen einzuschränken und von dem großen Einfluss der bundesrepublikanischen Politik, insbesondere durch Helmut Kohl, auf die Regierungsgeschäfte der noch bestehenden DDR. Kohl benötigte die deutsche Vereinigung als sein Werk umso mehr, da seine Wiederwahl am Jahresende in Gefahr schien.
Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich gut bei der Diskussion um die polnische Westgrenze. Während die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze für die vier Siegermächte, für Meckel persönlich und politisch sowie für die polnische Regierung unabdingbar war, versuchte laut Meckel Helmut Kohl durch zusätzliche Forderungen gegenüber Polen zum einen reaktionäre deutsche Wähler*innen zu gewinnen und zum anderen zu verhindern, dass es zu einer deutsch-deutsch-polnischen Einigung in der Grenzfrage noch vor einer deutschen Vereinigung komme.
Meckel berichtet, wie er als Außenminister zu Verhandlungen reiste, dort zwar herzlich aber kaum als relevanter Gesprächspartner empfangen wurde. Auch die Bundesrepublik habe ihn nicht über wichtige Ereignisse informiert und Kohl persönlich ihn wohl kaum beachtet. Dafür ist eine Szene exemplarisch, an die sich Meckel erinnert. Als er mit Willy Brandt bei einem Festakt in Gedenken an den Aufstand von 1953 im Gespräch ist, trifft Helmut Kohl ein und ist so genötigt auch ihm die Hand zu schütteln, was er – so Meckel – unter anderen Umständen nicht getan hätte.
Da interne Absprachen der Regierungskoalition gebrochen werden und er sich zunehmend ausgebootet sieht, verlässt er die Regierung im August 1990.
Der Autor setzt sich intensiv und nachdenklich mit seinem politischen Handeln und seinen Entscheidungen auseinander. Im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag kritisiert er insbesondere, dass öffentliches Vermögen wie Liegenschaften allesamt dem Bund zugeordnet wurden obwohl diese ähnlich der westdeutschen Verteilung den Kommunen hätten zugesprochen werden sollen. Diese mussten die Flächen später erst vom Bund zurückkaufen und so ihre ohnehin schon schwache finanzielle Situation verschlechtern.
Für seine knapp 500seitige Autobiographie hat Markus Meckel nicht nur auf seine eigenen Erinnerungen und umfangreichen Aufzeichnungen zurückgegriffen, die im Archiv der Bundesstiftung Aufarbeitung liegen. Er hat auch andere Archivalien und biografische wie wissenschaftliche Literatur hinzugezogen um seine ersten vierzig Lebensjahre mit den zeithistorischen Abläufen zu verflechten. Dies ist Meckel gut gelungen, bei „Zu wandeln die Zeiten“ handelt es sich mitnichten um eine bloße Aufreihung von Anekdoten. Vielmehr lassen sich insbesondere das Ende der DDR und der Vereinigungsprozess aus einer politisch-kritischen Perspektive mit kirchlichem Hintergrund betrachten, wobei Meckel auch eigene Entscheidungen hinterfragt. Meckels Beitrag zur kirchlichen Opposition in der DDR ist vielfältig, seine Rolle in der letzten DDR-Regierung ungewöhnlich und seine Erlebnisse zahlreich, so dass diese Autobiographie für Leser*innen eine lohnenswerte Lektüre darstellt. Es bleibt zu wünschen, dass Meckel seine Erinnerungen an die folgenden Lebensjahre und seine politische Rolle in der wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland ebenfalls zu einem Buch verarbeitet.