Geschichte auf YouTube. Neue Herausforderungen für Geschichtsvermittlung und historische Bildung“ beschäftigt sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem Phänomen von YouTube-Videos mit – mehr oder weniger- historischen Inhalten. Dabei unterteilen die Herausgeber Christian Bunnenberg und Nils Steffen die Beiträge in elder der Geschichtsvermittlung wie Kontexte, Narration und Authentizität, Produktion und Praxis und Partizipation. Ein eigenes Feld widmet sich YouTube und historischer Bildung anhand von Praxisbeispielen, worauf der Ausblick folgt.
In ihrem einführenden Beitrag geben Bunnenberg und Steffen einen Überblick über Geschichte im Social Web, welche Formate es gibt, wie und von wem diese konsumiert werden. Insbesondere der Stellenwert bei und die Nutzung durch Jugendliche als potentielle Zielgruppe spielt dabei eine Rolle. Das Smartphone, so eine von den Autoren zitierte Studie, sei dabei das „Geräte der Wahl“ einer ganzen Generation, unabhängig vom Bildungshintergrund der Jugendlichen. YouTube selbst werde jedoch verstärkt auf Computern und Laptops konsumiert, wobei oft gezielt nach entsprechenden Lernvideos gesucht werde. Die Autoren führen zudem kurz in die Geschichte und Funktionsweise der Videoplattform ein, was es nicht sonderlich technik- bzw. Social-Media-affinen Leser*innen des Sammelbands im Folgenden einfacher macht, die Beiträge dahingehend zu verstehen. Sie definieren zudem, was unter einem Erklärvideo – „thematische sowie gestalterische Vielfalt, einen informellen Kommunikationsstil und eine Diversität in der Autorinnnen- und Autorenschaft“ - verstanden wird und wie sie sich von Lehrfilmen und sogenannten Perfomanzvideos unterscheiden.
Um Erklärvideos entsprechend analysieren zu können, erarbeitet Judith Uebing in ihrem Beitrag „Geschichte in 10 Minuten – Wie geht das?“ einen Vorschlag zur Methodik, die sie am Beispiel des YouTube-Kanals „musstewissen“ vorstellt. Ähnlich dem Vorgehen bei einer klassischen Quellenkritik setzt Uebing bei der deskriptiven Ebene an, untersucht die visuelle Gestaltung der Videos, aber des zugehörigen YouTube-Kanals. Ebenfalls wichtig seien die Länge der Videos und deren Inhalte sowie deren Gestaltung. Es folgt die interpretativne Ebene, wobei die Autorin auch auf den Moderator, Kommentare sowie die Art der Präsentation und Narration eingeht. Dem schließt sich die diskursive Ebene an. Im Abschluss ihres Beitrages ist die Analyse-Methode Schritt für Schritt festgehalten, so dass bei Bedarf die Leser*innen die Methode bei beliebigen Videos durchführen können. Für die weitere Kontextualisierung von (Erklär-) Videos schlägt Cord Arendes in seinem Aufsatz „Sesamstraße und Telekolleg als Vorbilder? Erklärvideos auf YouTube als Fortsetzung des traditionellen Schuld – und Bildungsfernsehens ,mit anderen Mitteln‘“ den Bogen von Funk und Fernsehen zum Internet. Neben einem historischen Überblick über das deutsche Bildungsfernsehen in unterschiedlichen Zeiträumen – bei denen langlebige und bekannte Formate wie die „Sesamstraße“ und „Löwenzahn“ miteinbezogen werden – unterscheidet der Autor zwischen Wissensvermittlung im Kinder- und Jugendfernsehen und speziellen Schulfernsehen und Weiterbildungsangeboten. Diese Angebote, so Anderes weiter, würden heute durch YouTube-Erklärvideos ergänzt. Er spricht von einem „ergänzenden Nebeneinander“. Mitherausgeber Nils Steffen sieht die Erklärvideos als „Form performativer Historiografie“, wie er im gleichlautenden Beitrag darlegt. Dabei geht er der Frage nach, wer eigentlich wie Geschichte produziert und wie sich dies in den Videos vom herkömmlichen Verständnis unterscheidet.
Der immer noch gerne beschworenen Authentizität ist das zweite Kapitel des Sammelbandes gewidmet, worin an drei konkreten Beispielen eben diese untersucht wird. Interessant ist, dass die von den Autor*innen gewählten Beispielen des DDR-Museums Berlin und des Stadtmuseums Stuttgarts Formate analysiert werden, die bestehende, klassische Ausstellungen ergänzen. Während die Beiträge des DDR-Museums sich laut Autor Hannes Burkhardt mit Alltags-, Gesellschafts- und Sozialgeschichte beschäftigen, sind die Stuttgarter Beiträge Teil eines partizipativen Projektes. Wie Autor Bunnenberg erläutert, vermittelte das Museum im Rahmen eines Workshops erst die Fähigkeit, kurze Videobeiträge zu gestalten, die anschließend auf dem YouTube-Kanal des Museums hochgeladen werden konnten.
Der Partizipation durch und mit YouTube-Videos widmet sich ein ganzes Kapitel des Bandes. Besonders spannend sind die Überlegungen von Moritz Hoffmann, der für die Einführung der analytischen Kategorie „Historische Hassrede“ plädiert. In „Die dunkle Seite der Partizipation: Überlegungen zur Historischen Hassrede“ definiert Hoffmann diese als „in der Internetkultur tief verwurzeltes und gleichzeitig hochgradig volatiles Phänomen“. Sie findet sich in YouTube-Kommentarfeldern und Videos. Da diese der Selbstregulierung durch Zuschauer*innen und Leser*innen unterliegen, kann sich die historische Hassrede entsprechend verbreiten. Dabei werden bekannte Narrative aus dem rechtsextremen Repertoire aufgegriffen, die jedoch nun leichter verbreitet werden können.
Die Folge dessen kann – neben dem Herausbilden rechtsextremer und verschwörungsideologischer Positionen – historische Nonsensbildung sein. So betrachet Anja Neubert den YouTube-Kanal „The SimpleClub“. Ihre Fallstudie analysiert die Erklärvideos – als solche ordnet Neubert die Beiträge ein – und ihre Wahrnehmung durch Schüler*innen und Lehrkräfte. Neubert kritisiert vor allem einen mangelnden Umgang mit Quellen und die fehlende historisch sinnbildende Narration. Anja Neubert plädiert dafür, entsprechend dem Nutzungsverhalten von Schüler*innen, den kritischen Umgang mit YouTube-Videos einzuüben und sich aus (geschichts-)didaktischer Perspektive damit auseinanderzusetzen.
„Geschichte auf YouTube. Neue Herausforderungen für Geschichtsvermittlung und historische Bildung“ ist ein facettenreicher Sammelband, der sowohl die Vor- als auch die Nachteile der Videoplattform für die Vermittlung historischer Inhalte darlegt. Die unterschiedlichen Autor*innen finden verschiedenste Zugänge, so dass nach der Lektüre bei den Leser*innen ein solides Grundwissen vorhanden ist. Nicht nur Lehrer*innen und Vermittler*innen, sondern am digitalen Ansatz Interessierte, finden hier Antworten. Gleichzeitig wird deutlich, wie viel Potential sowohl in dem Feld selbst als auch in der (Er-) Forschung desselbigen noch liegen.