In ihrem Sammelband haben Oumar Diallo, Geschäftsführer des Afrika-Hauses in Berlin, und der Historiker Joachim Zeller 30 Beiträge zur Geschichte afrikanischen und afrodeutschen Lebens in Berlin zusammengebracht. Die Texte von Künstler*innen, Afrikanist*innen, Schriftsteller*innen, Historiker*innen und Aktivist*innen teilen sich zum einen chronologisch in Kapitel zu Menschen afrikanischer Herkunft bis 1918, afrikanisches Leben zwischen 1918 und 1945 und afrodeutscher Geschichte nach 1945 sowie Porträts Schwarzer Deutscher. Neben Artikeln, die einen Überblick über einen bestimmten Zeitabschnitt geben, finden sich viele Biographien, Vorstellungen von Initiativen und Vereinen oder Texte über aktuelle politische Debatten. Nicht alle können an dieser Stelle Berücksichtigung finden.
Joachim Zeller nimmt im ersten Beitrag die Berlin-Brandenburgische Kolonialgeschichte von der Gründung der Stützpunktkolonie Großfriedrichsburg im heutigen Ghana 1683 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in den Blick. Die ersten Afrikaner in Berlin – zumeist verschleppt – wurden als Militärmusiker eingesetzt. Ende des 19. Jahrhunderts kamen weitere PoC nach Deutschland, als Bedienstete und Künstler*innen, aber auch zur Ausbildung. Insbesondere für die exotisierend-rassistischen Völkerschauen wurden in den Kolonien Darsteller*innen angeworben. Zeller trägt eine Vielzahl von Zeugnissen des afrikanischen Diasporaleben zusammen und benennt insbesondere Momente der Selbstbestimmung, wie J.C. Nayo Bruce aus Togo, der mit einer eigenen Völkerschau durch Europa reiste, die Weigerung von Herero und Nama auf der „Ersten Deutschen Kolonialausstellung“ 1896 in stereotypisierenden Trachten aufzutreten oder die mögliche Begründung der Berliner Kaffeehauskultur durch einen Monsieur Olivier.
Als Kontrast zur Arbeit im Dienstleistungsbereich und in künstlerischen Feldern ist Holger Stoeckers Beitrag über afrikanische Sprachlektoren interessant. Wenn auch zahlenmäßig eine kleine Gruppe, nahmen sie an Universitäten und Kolonialinstituten mit ihrer guten Ausbildung und umfangreichem Kenntnis afrikanischer Sprachen eine wichtige Rolle ein. Dennoch erfuhren sie trotz Anerkennung auch Diskriminierung am Arbeitsplatz und wurden erst recht ab 1933 zu Studienobjekten degradiert. Stoecker ist es gelungen, eine Reihe von Biographien der Lektoren zu recherchieren. Auch wenn sie in der Regel nach wenigen Jahren in ihr Herkunftsland zurückgeschickt wurden, blieben einige länger in Deutschland, manche von ihnen überlebten sogar den Nationalsozialismus, wie Bonifatius Folli aus Togo, dem 1939 aus Furcht vor „deutschlandfeindlicher Propaganda“ (S.80) die Ausreise verweigert wurde.
Eine Übersicht über den zweiten zeitlichen Block, 1918-1945, gibt Marianne Bechhaus-Gerst. Durch den Verlust der deutschen Kolonien wurde die Lage von Afrikaner*innen, insbesondere Arbeitslosen, in Berlin prekärer. Zum Teil wurden ihnen ihr Status als „Deutscher Schutzbefohlener“ aberkannt und versucht sie in ihr Herkunftsland abzuschieben, wo jedoch die neuen Kolonialmächte sie als Deutsche, die zum Teil im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, diskriminierten. Die verbleibenden afrikanischen und Schwarzen Deutschen politisierten sich zunehmend und waren in Gruppen wie der „Liga gegen die Kolonialgreuel und Unterdrückung“ organisiert. Spannend ist, wie Bechhaus-Gerst die ambivalente Haltung des nationalsozialistischen Regimes ihnen gegenüber aufzeigt. Einerseits wurde ihnen viele Rechte, wie Reisen ins Ausland oder dauerhafter Aufenthalt, abgesprochen. Andererseits wurden sie im Hinblick auf eine mögliche Rückgewinnung der Kolonien von rassistischer Agitation ausgenommen; eine systematische Verfolgung fand nicht statt. Nach anfänglichem Ausschluss vom Arbeitsmarkt konnten Schwarze Deutsche und Afrikaner*innen in Berlin in „Afrika-Schauen“ und Filmen eine Anstellung finden. Die nationalsozialistischen Machthaber erlaubten dies, auch weil durch eine Beaufsichtigungspflicht der anstellenden Unternehmen eine gewisse Kontrolle sichergestellt war.
1986 erschien der Sammelband „Farbe bekennen“, zur Geschichte schwarzer Menschen in Deutschland und mit biographischen Beiträgen afrodeutscher Frauen. Jeannine Kantara bezeichnet die Veröffentlichung als eines der zentralen Ereignisse des „Berliner Frühlingserwachen“ (S.165), zu dem auch die Gründung der „Initiative Schwarze Deutsche“ (ISD) in Hessen und im Jahr darauf die Herausgabe der Zeitung „afro look“ (in der Erstausgabe noch „Onkel Tom’s Faust“). In ihrem Beitrag fokussiert Kantara die Gründungszeit der ISD (heute „Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland e.V.) bundesweit und das Zusammenspiel mit „afro look“. In der Zeitung fand sich für viele Menschen ein Raum, um die eigene afrodeutsche Identität zu entdecken und zu verhandeln, zu der auch die Frage nach Begrifflichkeiten gehört: „Sagen wir besser ‚Afrodeutsche’ oder ‚Schwarze Deutsche’? Es war eine emotionale und oft hitzige Diskussion.“ Einen festgelegten inhaltlichen Schwerpunkt hatte die Zeitung nicht bzw. dieser änderte sich, Beiträge über afrodeutsche Geschichte oder rassistische Mediendarstellungen fanden sich genauso wie Gedichte oder Texte zur Vernetzung. Eine fehlende Kontinuität in der Redaktion und finanzielle Probleme sorgten jedoch für die Einstellung im Dezember 1999.
Im vierten Kapitel „Schwarze Deutsche. Porträts und Interviews“ werden bis vor kurzem oder heute in Berlin lebende Menschen vorgestellt. Neben der Dichterin May Ayim und dem Herero-Aktivisten Israel Kaunatjike werden acht weitere Berliner*innen in Kurzporträts gewürdigt. Etwa der Musiker Jean Paul Musungay, der im Berliner Afrika Haus auftritt, Assibi Wartenberg, die im Wedding ein Restaurant führt und sich über den von ihr mitgegründeten Deutsch-Togoischen Freundeskreis für eine bessere gesundheitliche Versorgung im Togo einsetzt oder Dawit Shanko, der als Schuhputzer in Addis Abeba aufwuchs, zum Studium nach Dresden kam und sich heute mit einem Verein für die Schuhputzer*innen in seiner Geburtsstadt einsetzt.
Im Sammelband „Black Berlin“ kommen Migrations- und Integrationspolitik im damals und heute, das Verhandeln von Identitäten, Rassismus und Diskriminierungen zur Sprache, gepaart mit Einblicken in das Leben von Afrikaner*innen und Schwarzen Deutschen in Berlin. Den Herausgebern ist in der Zusammenstellung der Beiträge ein informativer und gleichsam einfühlsamer Überblick über die gegenseitigen Verbindungen und Einflüsse der Stadt Berlin und ihrer Bewohner*innen gelungen. Perspektiven und Handlungsoptionen der Betroffenen stehen dabei durchgehend im Vordergrund.
Die Quellenlage über die afrikanische Diaspora und das Leben Schwarzer Deutscher in Berlin bis 1945 ist bedauernswerterweise eher dünn, insbesondere im Hinblick auf Selbstzeugnisse. Die Autor*innen dieses Sammelbandes haben dafür bemerkenswert viele Geschichten und Biographien aufbereitet. Einzelne Personen, wie der Zugführer Martin Dibobe, werden in mehreren Beiträgen erwähnt, oftmals allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven. Mit dem Bogen vom 17. Jahrhundert zum Blick auf und von Menschen, die weitab von großer Bekanntheit oder Geschichtsbüchern im heutigen Berlin leben, zeigt „Black Berlin“, dass die Stadt eine afrikanische und afrodeutsche Geschichte und Gegenwart hat, die sich äußerst divers gestaltet bzw. von ihren Bewohner*innen mitgestaltet wird.