Nach Grußworten vom Leiter der Stasiunterlagenbehörde BStU, Roland Jahn, und der Leiterin des Lernorts Keibelstraße, Birgit Marzinka, begrüßte die Moderatorin Shelly Kupferberg die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche und die Autorin Almut Ilsen, die beim Podiumsgespräch beide in der Rolle der Zeitzeugin teilnahmen. Die Historikerin Carola Rudnick komplettierte die Runde.
Inhalte der kritischen Retrospektive seien die Aufarbeitung und Erinnerungskultur der letzten 30 Jahre, der Blick auf etwas „das fehlt, das verschwiegen, das nicht gesehen wurde“ so Birgit Marzinka. Peggy Piesche und Almut Ilsen wiesen eingangs darauf hin, dass im Rollenmodell der berufstätigen Frau und Mutter und ihrer Beteiligung an politischen Prozessen im Alltagsleben, emanzipatorisches Potential stecke. Auch wenn Frauen in der DDR nur bedingt prominente politische Ämter bekleideten, habe diese Sozialisation zum Engagement von vielen (partei)politisch bedeutenden Frauen in der Nachwendezeit geführt. Dennoch hätten sich in der DDR beruflich erfolgreiche Frauen in einer männlich ausgerichteten und dominierten Gesellschaft zurechtfinden müssen und sich innerhalb dieser arrangiert. Ilsen erinnerte sich an ihre Chefin, die Direktorin der Ostberliner Staatsbibliothek, der sie mehrfach das Türschild von "Direktor" zu "Direktorin" umschrieb, obwohl diese auf die männliche Form bestanden habe. Erst nach Diskussionen hätte ihre Vorgesetzte die weibliche Form akzeptiert.
Almut Ilsen berichtete von ihrer Aktivität bei den "Frauen für den Frieden", die sie mitgegründet hatte und mit denen sie auf das Wehrpflichtgesetz von 1982 reagierte. Der Umgang mit dem von 130 Frauen unterschriebenen Brief an Honecker ist exemplarisch für das Frauenbild der Staatsführung und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Den Frauen wurde derart politisches Denken und Handeln abgesprochen, es wurde nach den Männern im Hintergrund gesucht. Roland Jahn hatte bereits in seinem einleitenden Grußwort an die fünf jungen Frauen erinnert, die am den 4.12.1989 die Stasidienststellenbesetzung in Erfurt einleiteten und mittlerweile aus dem gesellschaftlichen Blick gefallen seien.
Carola Rudnick verwies auf die männliche Dominanz in den Zusammenschlüssen von in der DDR Verfolgten, die sich bereits in den 1950ern Jahren formiert hatten. Der zunehmende Anteil von verfolgten Frauen habe kaum Berücksichtigung gefunden, weder in der DDR noch nach deren Zusammenbruch. So sei das Frauengefängnis Hoheneck lange weder bekannt noch in die Erinnerung an Opfer einbezogen gewesen. Unter dem, in der Thematik einflussreichen Hubertus Knabe (Rudnick nennt ihn nicht namentlich) sei die Verdrängung von Frauen in der Erinnerung fortgesetzt worden.
Alle drei Podiumsteilnehmerinnen konnten noch weitere Beispiele anführen, wie diese Nichtbeachtung bzw. das Herunterspielen der Politisierung und Aktivität von Frauen in der Aufarbeitung der DDR-Opposition weitergeführt wurde. Dies zeige sich in der Wahrnehmung als "Ehefrauen bekannter Oppositioneller", als "Damenprogramm der Opposition" oder in schriftlichen und filmischen Retrospektiven, die als Zeitzeugen und wissenschaftliche Berater ausschließlich Männer zu Wort kommen lassen. Der Diskurs bleibe männlich dominiert.
Diese Marginalisierung weiblicher Stimmen beruhe, so Peggy Piesche, unter anderem auf einer zurückhaltenden Positionierung der Frauen im Transformationsprozess nach 1990. Frauen hätten jedoch als erste ihre Arbeitsplätze verloren und dadurch andere Sorgen gehabt. Piesche nahm auch das Scheitern einer vereinten deutsch-deutschen Frauenbewegung in den Blick. "Feminismus" sei als westliches Label betrachtet worden, das die Situation von ostdeutschen Frauen nicht ausreichend repräsentierte. Deren in manchen Bereichen progressiveren Ansichten seien in vielen Punkten verloren gegangen und so habe etwa nicht gemeinsam gegen den Abtreibungsparagraphen gekämpft werden können. Piesche wies zudem auf die Marginalisierung von Erfahrungen und Perspektiven von People of Colour in der historischen Betrachtung. Dies habe auch einen Einfluss auf aktuelle gesellschaftliche Wahrnehmungen.
Die Diskutantinnen vermissten eine Reihe weiterer Themen in der Geschichtsschreibung. Zwar finde sich die Friedensbewegung in der Erinnerungskultur, aber nicht alle Themen würden berücksichtigt. Die Kritik an der militarisierten Erziehung in Bildungseinrichtungen und innerfeministische Diskussionen, so Almut Ilsen, würden kaum verhandelt. Piesche benennt das Verhältnis der ost- und westdeutschen Frauenbewegungen als weitere Leerstelle. Auch sexualisierte Gewalt in der DDR, physisch in Haftanstalten oder in Sprache, die Frauen in Arbeitskontexten zu „sexualisierten Objekten“ machte, fehle eine öffentliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit, obwohl etwa die "Weimarer Frauengruppe" diese in den 1980er Jahren thematisiert habe. Eine Zuhörerin der Diskussion verwies auf die Aufarbeitung von Subkulturen in der DDR. Ob diese Szenen tatsächlich derart von Männern dominiert waren wie in der Literatur zum Thema dargestellt, dürfe angesichts der beinahe ausschließlich männlichen Autor*innen angezweifelt werden.
Ein Abschlusswort blieb Peggy Piesche, die vor einer "Pathologisierung von DDR-Geschichte" in der öffentlichen und wissenschaftlichen Wahrnehmung warnte. Ohne dabei zu verharmlosen, sei eine deutsch-deutsch-vergleichende Perspektive wertvoll. Neben den bisher genannten Themenkomplexen, gehöre auch eine Benennung der Marginalisierung von anderen gesellschaftlichen Gruppen und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in beiden Staaten zu einer ernst gemeinten Aufarbeitung.