Mit seiner Monographie „Der umkämpfte Krieg“ setzt sich der ehemalige Direktor des Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig, Paweł Machcewicz, mit der (Neu-)Konzeption der Dauerausstellung durch die polnische Regierung sowie deren Folgen für die (Geschichts-)Politik des Landes auseinander. Unterteilt in drei Kapitel – Anfänge, Entstehung des Museums und Krieg – beschreibt Machcewicz ausführlich die Konzeption des Museums sowie die Veränderungen, die seit der Machtergreifung der Partei Recht und Gerechtigkeit (kurz: PiS) im November 2015 durchgeführt wurden. Gleich zu Beginn macht Machcewicz deutlich, was er mit dem Buch erreichen möchte, nämlich ein Vermächtnis schaffen: „Es soll gezeigt werden, wie das Museum des Zweiten Weltkriegs entstand und wie wir die Ausstellung schufen, wie wir sie entgegen dem Willen der Regierenden eröffnen konnten – zumal man das Museum in Kürze vielleicht nicht mehr in der bisherigen Form betrachten kann, so dass dieses Buch ein Zeugnis von seiner Existenz sein wird (S.4).“
Sehr detailliert legt Machcewicz im ersten Kapitel „Die Anfänge“ dann auch dar, wie die Idee für das Museum sowie der Entschluss, es nicht in Warschau, sondern in Gdansk zu bauen, reiften. Auch auf seine eigene Laufbahn und berufliche Entscheidungen geht er dabei im Detail ein. Auch wenn die Offenlegungen an mancher Stelle wie eine Verteidigungsschrift Machcewicz wirken, erscheint keine Information überflüssig. Im Gegenteil: Die Kleinschrittigkeit macht neugierig und wirft – mit dem Wissen um die heutige Situation des Museums – gleich zu Beginn die Frage auf, wie es zur dazu kommen konnte.
Machcewicz zeichnet auch die von Beginn an begleitende Debatte um die inhaltliche Ausrichtung des Museum des Zweiten Weltkriegs nach. Dabei führt der Autor verschiedene Zeitungsartikel – beginnend im Jahr 2008 – an, zitiert aus diesen und ordnet sie in die Debatte ein. Die ausführliche Darlegung der eigenen und externen Positionen, etwa des früheren polnischen Ministerpräsidenten Jarosław Kaczyński oder Historikerkolleg*innen wie Rafał Wnuk, machen es für die Leser*innen einfach, die Entwicklung genauestens nachzuverfolgen. Die Bedeutung dieser Diskussion verdeutlicht Machcewicz selbst: Die Diskussion sei „nicht nur eine Auseinandersetzung über die Interpretation der Geschichte, sondern auch über die Beziehung Polens zu seinen Nachbarn, über seinen Platz in Europa sowie insgesamt über die Ausgestaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen“ (S.31) gewesen. In diesem Sinne sei laut Machcewicz auch die zweite, nicht offensichtliche Dimension des Streites, um das Museum zu sehen: die Betonung der öffentlichen Rolle von Geschichte und ihr Einfluss auf die Entstehung von nationaler und staatsbürgerlicher Gemeinschaft von Seiten konservativer, rechter Kreise, zum Beispiel der PiS.
Ergänzt wird das erste Kapitel mit einem Exkurs zu Geschichtsmuseen und ihrem Verhältnis zwischen kollektiven Vorstellungen und politischen Erwartungen bzw. Vorgaben im Allgemeinen. Als Beispiele werden unter anderem das Holocaust-Museum in Washington, das Haus der Geschichte in Bonn oder das Haus des Terrors in Budapest und die damit verbundenen Debatten innerhalb der Länder bzw. zwischen einzelnen Länder vorgestellt. Insgesamt kommt Machcewicz zu dem Schluss, dass es keine ideale Welt gebe, „in der Politiker keinen Einfluss auf die Existenz von Museen haben wollten, die von Millionen Besuchern betrachtet werden“ (S.42). Die Frage ist, welche Methoden dafür eingesetzt werden, wie weit einzelne Politiker*innen bereit sind zu gehen und – vielleicht die wichtigste Frage des Buches – wie konkret die betroffenen Fachleute, d.h. Historiker*innen sowie alle weiteren beteiligten Museumsarbeiter*innen, mit dieser Einflussnahme umgehen sollen.
Erneut sehr detailliert wird im zweiten Kapitel die Entstehung des Museums erläutert. Diesmal liegt der Fokus jedoch mehr auf der tatsächlichen Umsetzung der Pläne denn auf theoretischen Vorüberlegungen. So wird etwa die Wahl des Standortes ebenso erläutert wie architektonische Entscheidungen. An dieser Stelle kann das Buch für Leser*innen, die nicht gerade im Museumsgeschäft tätig sind, stellenweise etwas langatmig werden, wird doch recht ausführlich über Baupläne, archäologische Funde während des Baus und Finanzierungspläne gesprochen.
Ähnliches gilt für den – hochspannenden und informativen – Abschnitt „Entstehung der Sammlungen und Ausstellung“. Entscheidungen über die Gestaltung der einzelnen Ausstellungsräume, Ausstellungstexte sowie gegen oder für den Einsatz von multimedialen Elementen wie Filmaufnahmen und musikalischer Untermalung werden von allen Seiten beleuchtet. Besonders spannend liest sich der Abschnitt über die Beschaffung der Exponate. Machcewicz gibt anhand ausgewählter Exponate Einblicke, auf welchen – oftmals verschlungenen, zeit- und kostenaufwendigen – Wegen die Objekte den Weg in das Museum bzw. die Ausstellung finden. So wird von persönlichen Geschichten ebenso berichtet wie von diplomatischen Anstrengungen, um eine möglichst reichhaltige, anschauliche Ausstellung zu erreichen. Machcewicz verschweigt zudem den Leser*innen nicht, dass es während des Gestaltungsprozesses zu Diskussionen innerhalb des Programmbeirates kam, wie diese zu gestalten sei. Er geht zudem auf bereits vor Eröffnung erhobene Vorwürfe ein, das Museum sei „zu einseitig“.
Die Zuspitzung und Eskalation der Vorwürfe gegen das Museum bzw. Paweł Machcewicz finden sich im dritten und letzten Kapitel, unter der vielleicht etwas überspitzten Überschrift „Krieg“. Bevor er zu den Geschehnissen rund um das Museum des Zweiten Weltkriegs kommt, geht er erneut auf die Vorzeichen von Seiten der Politik, diesmal aus den Jahren 2013 bis 2015 ein. Dafür analysiert er Reden Jarosław Kaczyńskis und zeigt, dass dieser die Vorhaben der PiS nach der Regierungsübernahme bereits ankündigte. So sprach Kaczyński im September 2015 während eines Wahlkampfauftrittes davon, die Eliten auswechseln und neue Leute im Kulturbereich unterstützen zu wollen (S.120). Mit der Wahl der PiS im November 2015 bekommen Machcewicz und seine Historikerkolleg*innen dies zu spüren. So seien etwa plötzlich Gelder verweigert worden, um den Serverbetrieb des Museums auf dem Laufenden halten zu können (S.122). Machcewicz beschreibt anschaulich und ehrlich, wie sehr ihn die Maßnahmen der Regierung trafen: „Am Schlimmsten war an dieser mehr als einem Jahr dauernden Lage vielleicht die absolute Unsicherheit, das Unwissen, was der nächste Tag bringen, welche Mittel man gegen das Museum und mich persönlich ergreifen würde (S.124).“
Diese Mittel werden im weiteren Verlauf des Kapitels beschrieben. Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei die Zeit ab dem 15. April 2016. Das Kulturministerium verkündete an diesem Tag, dass das Museum des Zweiten Weltkriegs aufgelöst werden sollte. Es wird nicht nur die darauffolgende öffentliche Debatte nachgezeichnet, auch persönliche Gedanken, insbesondere Machcewicz, finden Raum: „Im ersten Moment dachte ich, das Museum sei mit sofortiger Museum aufgelöst worden, und überlegte mir, wie ich meine persönlichen Gegenstände herausbekommen könnte“. (S.130)
Die politische Ebene kommt durch Zitate aus Reden und Zeitungsartikeln nie zu kurz, ergänzt wird sie durch gesamtgesellschaftliche Reaktionen wie den offenen Brief 198 amerikanischer und europäischer Historiker*innen an den polnischen Kulturminister sowie das Statement der Veteranenvereinigungen Polens.
In diesem Kapitel knüpft Machcewicz an Details aus vorherigen Kapiteln an, wenn er etwa von den Befürchtungen der Leihgeber*innen um ihre Exponate berichtet und dabei die Geschichten der Objekte mit den oftmals emotionalen Appellen gegen die Schließung des Museums verknüpft. Absurde Situationen wie die Geschichte um vier Rezensionen, die von Seiten des Kulturminister bestellt, jedoch zu Beginn nicht zugänglich gemacht wurden, schildert Machcewicz mit großer Ruhe und Präzision. Er erläutert, wie es zu ihrer Entstehung kam und worin die handwerklichen Fehler dieser lagen. Die hier erneut aufgezeigte Transparenz und der Detailreichtum sind eine große Stärke des Buches.
Eine weitere Stärke des Buches liegt darin, die Wertung an das Ende zu stellen. Erst nach Aufzeigen der Faktenlage wird ein abschließendes Urteil, eine Bewertung der Situation bzw. der Geschehnisse abgegeben. Auch wenn immer wieder persönliche Anmerkungen des Autors zwischen der Darstellung der Geschehnisse einfließen, so nimmt dies nie die Überhand und hinterlässt nie den Eindruck einer einseitigen Sichtweise. Insbesondere das dritte Kapitel glänzt durch Ausgewogenheit, werden doch alle Akteur*innen hinsichtlich ihrer Positionierungen berücksichtigt. Rechtliche Schritte und die dafür verantwortlichen Personen finden ebenso Beachtung wie jene, die sich im Internet beispielsweise mittels einer Facebookseite für den Erhalt des Museums stark machten. Machcewicz zeigt eindrücklich, dass der Kampf um den Erhalt des Museums ebenso wenig wie seine Entstehung die Arbeit eines einzelnen war, sondern von vielen getragen wurde.
„Der umkämpfte Krieg“ ist das geworden, was Paweł Machcewicz zu Beginn des Buches selbst erreichen wollte: Ein Vermächtnis, eine verschriftlichte Erinnerung an die Entstehung und Konzeption eines Museums, das trotz aller Widrigkeiten eröffnet wurden und deren Macher*innen sich am Ende der Politik beugen mussten. Es stellt trotzdem die größeren Fragen nach Abhängigkeiten zwischen Museen und Politik, verliert niemals den Blick für das große Ganze. Darüber hinaus werden interessante Einblicke in die Arbeit eines Museums im Allgemeinen gegeben, was nicht nur für Historiker*innen von Interesse ist. Die detailreichen Einblicke in die politische Debatte um das Museum öffnen das Buch zudem für an zeitgeschichtlichen Geschehnissen und der politischen Lage in Polen interessierte Leser*innen.