Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Die Standorte der KZ-Außenlager des ehemaligen Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück sind nicht mehr sichtbar, baulich zerstört, oftmals wieder überbaut/überschrieben und rudimentär historisch dokumentiert. Wo sich doch tausende Häftlinge von 1942-1945 nicht mehr nur im Hauptlager sondern außerhalb in den kleinen Ortschaften Brandenburgs und Mecklenburgs befanden. Gut sichtbar für die Bevölkerung und gar unter ihrer Mitwirkung, erlitten die Häftlinge in den sogenannten kleineren Lagern Gewalt und Tod. Trotz des Wissens -und Gedächtnisverlustes ist der gesellschaftliche Wille zur Aufklärung da. Für Erinnerungsprojekte mit Jugendlichen braucht es Orientierung. Es folgen sechs Gedanken, die für eine lokale Geschichtsarbeit hilfreich sein können.
Das Pilotprojekt „überLAGERt“ (2017) der Beratungsstelle „Zeitwerk“ des Landesjugendrings Brandenburg, unterstützt von den beiden KZ-Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen, brauchte trotz des „historischen Notstandes“ einige Anlaufzeit, bis es benötigte finanzielle Förderung erhielt. Der Erfolg des einjährigen Pilot-Projektes (2017) führt nun zu einer künftigen dreijährigen Finanzierung, um die Standorte ehemaliger KZ-Außenlager und Orte der Zwangsarbeit von Jugendlichen untersuchen und gestalten zu lassen. Eine Koordinationsstelle, die Erfahrung in der Bildungsarbeit besitzt und eine gute Vernetzung hat, ist zwingend notwendig. Die fachliche Beratung ist somit garantiert und kann professionell Strukturen gestalten und sortieren, Probleme lösen und Ergebnisse sichern. Mit der Fortbildungsreihe „Geschichte vor Ort" hat der Landesjugendring Brandenburg einen ersten Schritt in Richtung Professionalisierung von Multiplikator_innen getan. Im Zusammenspiel der Institutionen dienen die Gedenkstätten als fachlicher Thinktank. Ihre Aufgabe ist die fachliche Begleitung und eine gedenkstättenpädagogische Feinjustierung (von der Aufbereitung der Geschichte bis zu Formen des Erinnerns). Damit die Institutionen verlässliche Anlaufstellen bleiben, braucht es Finanzsicherheit.
Ziel außerschulischer historisch-politischer Bildung zu den Außenlagern ist die Aufklärung über die Tathergänge und über die Verstrickung der Bevölkerung in das Tatgeschehen und die Sichtbarmachung und Dokumentierung der Opfergeschichten. Die Setzung eines öffentlichen Erinnerungszeichens ist zudem wünschenswert. Es gilt Jugendliche zu befähigen, sich über historisch Gegebenheiten und deren politische Diskurse zu orientieren. Sie erforschen die Geschichte als soziale Praxis. Jugendliche greifen so in die gesellschaftliche Ordnung ihres Umfelds ein. Politisches Handeln und die Ausbildung historischer Kompetenzen gehen einher. Es braucht Unterstützung von Personen mit Erfahrung in der außerschulischen Bildungsarbeit um solche Prozesse anzuschieben und Orientierung zu geben. Für eine ortsgebundene KZ-Außenlager-Aufklärung in Brandenburg können aus Zeitgründen nicht immer Lehrer_innen herangezogen werden und Geschichtswerkstätten und Jugendclubs sind nicht immer dort vorhanden, wo sich ein KZ-Außenlager befand. Zivilgesellschaftliches Engagement ist gefragt. Doch woran können sich engagierte Multiplikator_innen eigentlich orientieren? Wie erfahren sie beispielsweise was der Beutelsbacher Konsens ist und welche Funktion er in der Bildungsarbeit hat? (vgl. Heyl 2016: 37ff.) Wie lässt sich ihr Handeln professionalisieren und wo und wie lassen sich erinnerungspolitische Bildungsdiskurse führen und Standards setzen?[1]Trotz der gesellschaftlichen Etablierung zahlreicher Projektansätze wäre eine übersichtliche und praktikable Broschüre sehr hilfreich. In Belgien existiert ein Handbuch als Vademekum für außerschulische „ErinnerungsBildung“ – mit einer bestechenden Übersichtlichkeit über Ziele und ihre Umsetzung, zusammengefasst in drei Grundabsichten: Wissen und Einsicht; Empathie und Engagement; Reflexion und Aktion[2]. Für die lokale Geschichtsarbeit müsste diese Lücke geschlossen werden.
Kaum ein junger Mensch steht morgens auf und grübelt über die Tathergänge im ehemaligen örtlichen Außenlager nach und überlegt wie, von wem und aus welchem Grund Lokalgeschichte geschrieben wurde bzw. warum niemand was erzählte. Auf der Agenda der „Personal Map“ von Heranwachsenden stehen eher folgende Fragen: Warum bin ich wie ich bin – warum bist du wie du bist? ……. So bin ich, von daher komme ich! .... Mit wem passe ich zusammen? Multiplikator_innen vergessen allzu oft den Standort von Heranwachsenden. Sie orientieren sich an ihren eigenen Wissensfragen und Jugendliche mutieren zum Instrumenten eigener Neugier. Die erwachsenen Gruppenleitungen haben die schwankende Weltkugel oft nicht im Blick; die Fragen nach dem Standort der Jugendlichen gilt es sensibel in die Erforschungen einzubinden. Dies braucht Geduld. Hohe Erwartungen an das Projekt können schnell zerfallen. Es besteht das Risiko Jugendliche unter Druck zu setzen und sie in schulisches Verhalten zu pressen, in dem ständig Erfolg und Misserfolg verhandelt werden.
Aleida und Jan Assmann betonten anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2018 den Zusammenhang von Scham und Erinnerung in Bezug auf die NS Vergangenheit: „Beschämendist allein diese Geschichte, nicht aber die befreiende Erinnerung an sie, die wir mit den Opfern teilen. Deshalb entsteht Identität auch nicht durch Leugnen, Ignorieren oder Vergessen, sondern braucht ein Erinnern, das Zurechnungsfähigkeit und Verantwortung ermöglicht (…)“. (Assmann/Assmann 2018) Fast alle Projekte stürzen sich auf handfeste Fakten und meiden das Thema der Scham. Wohin mit der Scham?Für all jene, die Gruppen im Aufarbeitungsprozess begleiten und anleiten ist es empfehlenswert, sich zunächst mit dem Thema der Scham und Schamabwehr auseinanderzusetzen. Die dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück unterstellten Außenlager befanden sich in kleineren Ortschaften – alle kennen alle. Täter_innen und Mitläufer_innen waren, beziehungsweise sind, bekannt und es wird bis heute geschwiegen. Gesellschaftliche Prozesse der Verdrängung, Verklärung und Gedächtnismanipulationen sollten endlich besprochen werden: Was bewegte Einwohner_innen der nationalsozialistischen Politik zu folgen, sie aktiv zu begleiten und mitzutragen? Wie ist diese Erfahrung heute in ihnen kognitiv und emotional gegenwärtig? Wie wird heute darüber kommuniziert? Was macht die Scham mit der nachkommenden Generation? Diese Auseinandersetzung hilft auch denen, die nicht in der Community des Ortes herangewachsen sind und keinen unmittelbaren Familienbezug zur NS-Geschichte haben. Scham ist universell. Auf der Metaebene geht es um Achtungsverlust. Was heißt es, andere beschämt zu haben? Wie gestaltet Verschweigen die Umwelt? Welche Auswirkungen hat das Schweigen über Gewaltausübung und Gewalterfahrung? Warum wurden Gespräche versäumt? (s. dazu Marks 2015/2018). Diese Auseinandersetzung schärft zudem den eigenen Standpunkt und gibt Jugendlichen die Chance, Mythenbildung zu begegnen.
Die Vorstellungen von Geschlecht und manifesten Geschlechterbildern stellen tagtäglich eine gesellschaftliche Geschlechterordnung her. Geschlechtervorgaben schränken Erfahrungs- und Handlungsspielräume ein. Leider wird „GENDER“ vielerorts als Analysekategorie belächelt oder gar diffamiert (vgl. Meyer 2013). Für Multiplikator_innen außerschulischer lokaler Geschichtsarbeit gibt es wenig Angebote sich „Gender-Fit“ zu machen. Als Beispiel: Es geht nicht darum, in den binären Mustern Gleichheiten und Unterschiede zu finden (die Frauen-Häftlinge – die Männer-Häftlinge), sondern darum, wer mit welchen Mitteln und welcher Absicht Geschlechtermuster herstellte. Spielt beispielsweise Gender eine Rolle in der Art der Arbeitsausbeutung in den Außenlagern? Wie wurden Entscheidungen diesbezüglich in der SS-Führung diskutiert? Welche Macht besaß eine Aufseherin gegenüber einer Inhaftierten? Spielte das angeblich gleiche Geschlecht eine Rolle in diesem Machtgefüge? Welche Geschlechterbeziehung gab es unter weiblichen Häftlingen? Wie sahen die ortsansässigen deutschen Frauen die weiblichen Häftlinge? Welche Rolle spielte Rassismus bei diesem Blick? Dies sind nur einige Beispiele, um historische Kompetenz mit Genderkompetenzen zu verschränken und historische Narrative zu schärfen. Auch unter dem Aspekt „Schau in meine Welt“ steht die „Ich-Beziehung“ zum Umfeld im Genderkontext. Wie wirken sich Gender-Konstellationen innerhalb einer Arbeitsgruppe aus? Auch hier gibt es großen Bedarf alltägliche und tradierte Machtkonstellationen aufzubrechen und Neugierde für geschlechtersensibles Lernen zu fördern.
Lokal Erforschtes kann in zahlreichen Formaten generiert werden. Bei allen technikbasierten Präsentationen sollte der Zeitfaktor genau im Blick sein. Mit Augmented Reality beispielsweise sind spannende Experimente möglich, die dann in der Umsetzung viel Zeit verschlingen und bis heute noch sehr teuer sind. Beim Computer/Tablet-orientierten Umgang zur Quellensicherung und -präsentation ist ein erheblicher Gender Gap zu beachten, der schnell tradierte Stereotype zementiert: Jungen programmieren (Creator, der Sichtbare, der Aktive mit Nerd-Faktor, Anerkennung) und die Mädchen sorgen für die schriftlichen Inhalte (im Hintergrund, unspektakulär, unsichtbar). Apps wie „Action Bound“ sind sehr hilfreich, einfach zu bedienen und befördern die Teamarbeit. Quellen und Informationen erreichen eine weltweite Öffentlichkeit. Zu diskutieren bleibt bei solchen Formaten die Belohnungsstruktur, die im Zusammenhang mit der Darstellung von NS-Geschichte unangemessen scheint. Welche Publikumsplattform auch immer gewählt wird, so sind Normen gemeinsam zu klären und Freiräume sensibel zu gestalten.
Aleida Assmann/ Jan Assmann: „Wahr ist was uns verbindet“. Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2018, http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/1244997/(Zugriff: 24.01.2019).
Matthias Heyl: Mit Überwältigendem überwältigen. Emotionalität und Kontroversität in der historisch-politischen Bildungsarbeit. Ein Plädoyer für die Schärfung des Profils historische Bildung. Rechtsextremismus, Gedenkstättenarbeit, DDR-Aufarbeitung und Beutelsbacher Konsens, S. 37-57. In: Jochen Schmidt/Steffen Schoon (Hrsg.), Politische Bildung auf schwierigem Terrain, Schwerin 2016.
Stephan Marks: Scham und Schamabwehr als Thema für die Schule. (2005/ 2018), https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/scham-und-schamabwehr-als-thema-fuer-die-schule/(Zugriff: 24.01.2019).
Angelika Meyer: Mit anderem Blick: Zur Relevanz der Kategorie Gender in der pädagogischen Praxis der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, S. 77-91 in: Linda Erker/Klaus Kienesberger/Erich Vogl/Fritz Hausjell (Hrsg.)Gedächtnis-Verlust? Geschichtsvermittlung und -didaktik in der Mediengesellschaft, Köln 2013.
[1]Beispielsweise das Wissen um den Beutelsbacher Konsens.
[2]Titel der Broschüre:Prüfstein Erinnerungserziehung. Ein Handbuch für qualitative Projekte um ErinnerungsBildung. Toetssteen Herinneringseducatie/ Een handleiding voor kwalitatieve projecten rond Herinneringseducatie, http://herinneringseducatie.be/bijzonder-comite-voor-herinneringseducatie/