Laurie Marhoefer beschäftigt sich in ihrem Aufsatz “Lesbianism, Transvestitism, and the Nazi State: A Microhistory of a Gestapo Investigation, 1939–1943” aus dem Jahr 2016 mit der Frage, in wie weit lesbische Frauen und Transvestiten eine politische Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung durch das NS-Regime zu befürchten hatten. Wie Marhoefer selbst sagt, ist die Antwort auf diese Frage keine leichte: „It is in fact rather difficult to give a simple answer to the question of whether the Nazi state persecuted lesbians because of their sexuality“ (S.1168).
Wie die Autorin heraus stellt, gab es im Gegensatz zum Verbot von gleichgeschlechtlichem Sex zwischen Männer kein entsprechendes Gesetz für Frauen. Trotzdem wurden von Seiten der Gestapo Denunziationen, die gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Frauen betrafen, angenommen, da es nicht in Einklang mit den Geschlechteridealen der Nationalsozialisten stand, so Marhoefer. Interessant an der Arbeit sind die fein herausgearbeiteten unterschiedlichen Behandlungen, mit denen von Seiten der Gestapo mit Liebesbeziehungen zwischen Frauen umgegangen wurden. Marhoefer betont, dass es auf die Person selbst angekommen sei: Während als „arisch“ geltende Frauen meist vergleichsweise wenig zu befürchten hatten, sah dies für beispielsweise Jüdinnen_Juden anders aus: „Lesbians who were Jewish, or were designated as regime enemies for other reasons, faced very different circumstances“ (S.1178).
Zur Verdeutlichung wählt Marhoefer den mikrohistorischen Zugang anhand des Schicksals von Ilse Totzke. Diese wurde wegen eines (angeblichen) lesbischen Liebesverhältnisses von der Würzburger Gestapo verhört. Sie sah sich durch Aussagen aus ihrem Umfeld dem Vorwurf der Sabotage sowie dem Umgang mit Jüdinnen_Juden ausgesetzt. Als Quelle dienen unter anderem die Akten der Befragungen durch die Gestapo. Marhoefer verfolgt die Untersuchungen detailliert nach und arbeitet dabei heraus, wie es zu den Anschuldigen kam und was dies mit dem Geschlecht, Transvestiten und lesbischer Liebe zu tun hatte. Auch die der Akte beiliegende Fotographien werden zur Auswertung hinzugezogen. Tatsächlich wurde Totzke, so Marhoefer, nicht zu ihren potentiell lesbischen Beziehungen zu Frauen befragt (S.1190).
Anhand des beispielhaft gewählten Falls sowie durch Hinzuziehen allgemein angelegter Studien über die Gestapo kommt Marhoefer zu dem Schluss, dass Zeug_innen einen großen Einfluss hatten: Sie konnten die Aufmerksamkeit auf, aber auch von Menschen weglenken (S.1192). Ebenso muss laut Marhoefer die Kategorie „Lesbisch“ in diesem Kontext stets mit der Kategorie „Trans“ gedacht werden. Sie plädiert zudem für ein Mitdenken dieser Kategorien in die Gedenkstättenlandschaft.
Die Arbeit profitiert von ihrem gewählten Zugang durch die Mikrohistory. Diese in Verbindung gesetzt mit der übergeordneten Geschichte der Gestapo, ergibt ein flüssig zu lesendes Werk. Dabei eignet es sich sowohl zum Einstieg als auch zur Vertiefung der Thematik. Gleichzeitig wird klar, dass auf dem Feld der Forschung zu lesbischen und transsexuellen Beziehungen während der Zeit des Nationalsozialismus noch viele Fragen offen sind.
Einen allgemeineren Zugang zum Themenfeld Homosexualität im Nationalsozialismus wählt Geoffrey J. Giles in seinem Aufsatz „Legislating Homophobia in the Third Reich: The Radicalization of Prosecution Against Homosexuality by the Legal Profession”. Giles legt den Fokus auf die Entwicklung des §175 StGB. Dabei geht er auf die bekannte Vorgeschichte um Ernst Röhm ebenso ein wie auf parteiinterne Diskussionen. Letztere umfassten unter anderem die – laut der nationalsozialistischen Interpretation - genaue Definition homosexueller Handlungen, d.h. wo diese beginnen, ab wann sie strafbar sein sollten und wie die Bestrafung welcher Handlungen konkret aussehen sollten (S.341). Bekanntlich stellt die 1935 schließlich beschlossene und in Kraft getretene Version eine deutliche Verschärfung dar. Als problematisch in der Bewertung der Praxis sieht Giles an, dass die tatsächlichen Auswirkungen dieser Verschärfungen in der Bevölkerung nicht bekannt waren (S.344).
Beispielhaft für die praktischen Auswirkungen der Gesetzesänderungen in der Rechtsprechung führt der Autor eine Verhandlung in Weimar im Jahr 1935 an. Wie Giles herausgearbeitet hat, wurde von dem Weimarer Gericht erstmals im April 1935 die verschärfte Form des §175 StgB angewandt, obwohl dieses noch nicht offiziell in Kraft getreten war. Im Text verfolgt Giles anhand der Gerichtsakten den Fall nach, arbeitet heraus wer wie und warum angeklagt wurde. Da insgesamt 23 Männer vor Gericht standen, stellt er zudem das potentielle Beziehungsgeflecht vor und wie es zu den Anklagen kam. Giles kommt zu dem Schluss, dass das Weimarer Gericht ein Exempel statuieren wollte. Noch einmal mehr Bedeutung bekommt das Urteil dadurch, dass es auch in der nächsten Instanz Bestand hatte. Trotzdem sei das Urteil jedoch erstaunlich nachsichtig gewesen, da beispielsweise die möglichen Strafmaße nicht voll ausgeschöpft wurden und es in Teilen sogar zu Freisprüchen kam (S.349).
Erwähnenswert ist an dieser Stelle die Einordnung Giles der Änderungen des Paragraphen in die sich unter den Nationalsozialisten insgesamt verändernde Rechtsvorstellung und -sprechung. So sei die Revision des Paragraphen nicht nur auf eine homophobe Kampagne zurückzuführen, sondern Teil einer allgemeinen intensiven Überarbeitung des Strafgesetzbuches gewesen (S.340).
Der Text von Giles bietet eine gute Einführung in die Thematik des §175 und dessen Hintergrund- und Entstehungsgeschichte. Wer sich mit der Thematik vertiefend auseinander setzten möchte, bekommt wichtige Informationen und wird gleichzeitig anhand des gewählten Beispiels anschaulich an die Rechtspraxis im Nationalsozialismus herangeführt. Die verwendete und in den Fußnoten angegebene Nachweise des Autors liefern zudem umfangreiche Hinweise für vertiefende Literatur.
Giles, Geoffrey J.: Legislating Homophobia in the Third Reich: The Radicalization of Prosecution Against Homosexuality by the Legal Profession, in: German History (2005) Vol.23 (3), S. 339-354.
Marhoefer, Laurie: Lesbianism, Transvestitism, and the Nazi State: A Microhistory of a Gestapo Investigation, 1939–1943, in: The American Historical Review (2016), Volume 121 (4), S.1167–1195.