Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Jede_r von uns kennt nach Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens benannte Straßen, doch allzu oft sind deren Hintergründe und persönliche Lebensgeschichten nicht ausreichend erforscht und nicht genügend im öffentlichen Bewusstsein verankert. So auch beim Namensgeber der hier vorliegenden kommentierten Dokumentation und einer Straße im Münchner Stadtteil Pasing, die den Names des ehemaligen Pasinger Bürgermeister Dr. Alois Wunder (28.3.1878 bis 14.7.1974) trägt. Anhand von 64 Originaldokumenten unterschiedlichster Art, die im Buch abgedruckt vorliegen und deren Einordnung in einen übergeordneten Zeitabschnitt bzw. Themenkomplex, gelang eine Nachzeichnung seines Lebensweges und mit inbegriffen die Einordnung seiner Unterstützung des NS-Regimes, welche in der bisherigen Rezeption seiner Person weitestgehend übergangen wurden.
Es handelt sich um ein pädagogisch-didaktisches Beispielkonzept der historisch-politischen Bildung mittels Straßennamen. Dr. Wunders Wirken im Nationalsozialismus soll mit Hilfe dieser Broschüre eingehend dokumentiert werden und durch seine Übertragbarkeit zu einem kritischen Umgang mit Straßenbenennungen bei Kindern und Jugendlichen generell führen. Mit ihrem Buch möchten die Herausgeber Bernhard Koch, Bernhard Schoßig und Bernd-Michael Schülke zu einer Prüfung des Straßennamens durch den Oberbürgermeister Münchens anregen und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Person Dr. Wunder generell beitragen.
Seit dem Jahr 1907 war Dr. Alois Wunder kommunalpolitisch aktiv und bis zu deren Eingemeindung nach München 1938 Bürgermeister der Stadt Pasing. Vor allem die Eingemeindung und auch die Linderung der sozialen Not nach dem 1. Weltkrieg, waren die beiden Themen, die man hauptsächlich mit ihm verband, während seine Verstrickungen in das nationalsozialistische Regime über viele Jahre hinweg keine Beachtung fanden. Sein Verhalten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme spielt deswegen in dieser Broschüre die größte Rolle. In den verschiedenen Kapiteln, wird sein politischer Werdegang chronologisch aber auch thematisch nachgezeichnet und soll so am Ende zu einer kritisch-informierten Einschätzung führen, ob es gerechtfertigt ist, dass seine Taten durch einen Straßennamen auch heute noch gewürdigt werden. Jedes Kapitel schließt mit einem ausführlichen Quellenteil ab, in dem sich unter anderem Reden, Zeitungsartikel über Dr. Wunder, politische Dokumente, Fotos und vieles mehr befinden. Zu jedem Kapitel gibt es eine kurze allgemeine Einführung ins jeweilige Thema, bevor man sich dann geographisch bzw. persönlich auf Pasing/München und Dr. Wunder fokussiert. Nach einer allgemeinen Einführung zur Person Alois Wunder im ersten Kapitel, wird im zweiten Kapitel sein Werdegang zwischen den Jahren 1933 und 1943 behandelt. Es wird dargelegt, dass er seine politische Gesinnung immer wieder äußeren Umständen angepasst hat, und dass er sich entgegen mancher Behauptungen keineswegs vom NS-Regime distanziert hat. Die Ereignisse nach der Machtergreifung und die damit erfolgte Auswechslung des kommunalen Führungspersonals werden beschrieben. Im Anhang dieses Kapitels finden sich einige Reden Dr. Wunders sowie andere amtliche Dokumente und Zeitungsartikel zur Übernahme seiner regierungspolitischen Tätigkeiten auch im neuen Regime.
Im dritten Kapitel wird er als Oberbürgermeister im Jahre 1933 beschrieben. Die hier dargelegten Quellen machen seine mit der NS-Ideologie korrelierende Gesinnung sehr deutlich. Die Vielfalt der Dokumente sowohl von der Anzahl als auch der Diversität bieten eine sehr gute Grundlage für weitere Analysen, sprachlich sowie inhaltlich.
Dr. Wunder beteiligte sich maßgeblich am Aufruf zu den landesweiten antijüdischen Boykottaktionen im April 1933. Weiterer antisemitischer Aktivismus wird auch in den hierzu vorgelegten Quellen deutlich. Neben der aktiven Unterstützung antisemitischer Handlungen seitens des Regimes, unterstützte Dr. Wunder auch einen weiteren Teil des NS-Staates mit finanzieller und geistiger Überzeugung und zwar die Hitlerjugend. In diesem Zusammenhang erklären die Autoren auch nochmal deren prinzipiellen Aufbau und Bedeutung.
Auch die Eingemeindung Pasings nach München wird in einem Kapitel besprochen. Hierzu werden allgemeine Informationen zur Eingemeindung und zum generellen Umgang in der Kommunalpolitik zur Zeit des NS gemacht. Ein Kapitel beschäftigt sich explizit mit Dr. Wunders Reden bei verschiedenen Anlässen und deren Analyse. Auch Dr. Wunders Entnazifizierungsverfahren spielt am Ende noch eine Rolle. Er stufte sich selbst als sog. Mitläufer ein, was ihm auch die Spruchkammer München III bestätigte. In der späteren Berichterstattung von bzw. über ihn wird seine Rolle zur Zeit des Nationalsozialismus bewusst ausgespart, was sich auch darin zeigt, dass 1978 wieder eine Straße in München nach Dr. Wunder benannt wurde. Und das, obwohl die Ursprüngliche durch die Amerikaner einen anderen Namen bekam, da man von der Zugehörigkeit Wunders zum NS-Regime wusste. Heute gibt es wieder Bestrebungen die Dr. Alois Wunder Straße nicht mehr nach ihm zu benennen, was auch den eigentlichen Anlass für das Verfassen des Buches darstellte. Auf die aktuellen Entwicklungen in diesem Prozess wird im letzten Teil des Buches eingegangen. Die in der Broschüre zusammengestellten Informationen zu Dr. Wunders Verstrickungen in den Nationalsozialismus bilden auf jeden Fall eine gute Grundlage zur Diskussion über die Rechtfertigung der weiterfortbestehenden Benennung ebenjener Straße.
Alles in allem lässt sich sagen, dass mich die Struktur der vorliegenden Broschüre sehr überzeugt hat und ich der Meinung bin, dass man mit der großen Fülle an Materialien hervorragend in der Bildungsarbeit anknüpfen kann. Die Autoren haben ihr Ziel erfüllt, die Person Dr. Alois Wunder in einem neuen allumfassenderen und vor allem kritischeren Licht dastehen zu lassen und ich bin davon überzeugt, dass sich deren Arbeit auch allgemein auf einen kritischeren Umgang mit Straßenbenennungen auswirken wird. Auch wenn dies in Ansätzen schon geschehen ist, so hätte ich mir doch noch verstärkt einen Rückbezug zu den allgemeinen Strukturen der jeweiligen Zeit gewünscht. Z.B. wäre es für die Bildungsarbeit in diesem Zusammenhang von Vorteil, bspw. ein Schaubild zur Kommunalpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus können. Streckenweise hatte ich beim Lesen nämlich tatsächlich das Gefühl, dass der Blick für das große Ganze ein wenig mehr ausgeprägt hätte sein können, da ich der Meinung bin, dass es gerade in Bezug auf den Nationalsozialismus schwierig ist, sich zu sehr auf Einzelpersönlichkeiten zu fokussieren, da dadurch leicht die strukturellen Bedingungen aus dem Blick geraten, die das ganze System erst haben funktionieren lassen.
Bernhard Koch, Bernhard Schoßig, Bernd-Michael Schülke …nur ein Mitläufer? – Der Pasinger Bürgermeister Dr. Alois Wunder während der Zeit des Nationalsozialismus.
München 2017. 152 Seiten. 10 EUR. ISBN 978 – 3 – 86460 – 688 – 5