Von 2011 bis 2013 führte die Bildungsstätte Anne Frank und das Masar Institute for Education im israelischen Nazareth in Zusammenarbeit mit der dortigen Masar-Schule und der Freien Schule Frankfurt ein Bildungsprojekt zu Menschenrechtsbildung in Alternativschulen durch. Im Austausch von Lehrkräften beider Schulen entstanden dabei Ansätze zu Bildung zu Menschenrechten und der Implementierung von Menschenrechten im Miteinander an Schulen. Neben einem theoretischen Teil umfasst die dreisprachige (deutsch, hebräisch, arabisch) Publikation, mit den Teilnehmer_innen entwickelte, konkrete Arbeitsinstrumente für die Arbeit mit Lehrkräften.
Christa Kaletsch skizziert eingangs aktuelle Bedingungen und Formen von Menschenrechtsbildung. Diese richte sich oft an Betroffene von Menschenrechtsverletzungen durch einen Empowerment-Ansatz und an Menschen, deren Beruf – etwa als Polizist_innen oder Strafvollzugsbedienstete – ein besonderes Risiko birgt, die Menschenrechte anderer einzuschränken. Nicht ausschließlich, aber insbesondere für letztere sei eine Auseinandersetzung mit den drei K’s der Schwierigkeiten der Menschenrechtsbildung wichtig. Dies umfasst eine Anerkennung der Komplexität von Menschenrechten, der Kontroversität ihrer Interpretation und den Anspruch diese kritisch an gesellschaftliche Verhältnisse und das eigene Handeln anzulegen. Falls sich aktuelle Verknüpfungen zum Lebens- bzw. Arbeitskontext der Lernenden herstellen lasse, seien diese zu nutzen um eine innere Beteiligung zu erzeugen und den persönlichen Zugang zu öffnen. Zu empfehlen sei auch eine gemeinsame Erarbeitung der Bedeutung und Herausforderungen von Menschenrechten, die somit bereits das Recht auf Teilhabe anwende.
Im Weiteren bezieht sich die Broschüre vor allem auf das Arbeitsumfeld der Schule und macht dabei mehrere Spannungsfelder auf. Bei der Vermittlung von Menschenrechten stellt sich die Frage ob Menschenrechte als Lerninhalt (etwa als Schulfach) oder Menschenrechte als Struktur, als Maßstab für die pädagogische Ausrichtung und Prozesse des Schulalltags zu bevorzugen sind. Die Frage, wodurch Menschenrechte in der Schule getragen werden, öffnet einen weiteren Konflikt. Hier stehen sich die Einführung von Regeln, die die Rechte schützen, und eine Beziehung bzw. Verbundenheit der Menschen, welcher die Achtung der Menschenrechte innewohnt, gegenüber. „Menschenrechte in Erziehung“ entwickelt aus den vier Positionen das Instrument des „Pädagogischen Fensters“ mit den Fensterscheiben „Regeln & Struktur“, „Beziehungen & Struktur“, „Regeln & Inhalt“ und „Beziehungen & Inhalt“, um zu untersuchen auf welchem Weg Menschenrechte in Schule implementiert werden.
Mittels der im Heft vorgestellten Übungen setzten sich die Teilnehmenden unter anderem mit ihrem eigenen Zugang und Vorstellungen von Menschenrechten, der Bedeutung des Rechts auf Freiheit in pädagogischen Kontexten und ihrer eigenen Rolle auseinander und werden so an die Aufgabe, ihre eigene Schule unter den Gesichtspunkten der Menschenrechte zu betrachten und zu reflektieren, herangeführt. Prägend für die Übungen sind Diskussionsfragen, die neben allgemeinen Überlegungen zu Vereinbarkeit von Schulstrukturen und Menschenrechten auch nach den konkreten Gegebenheiten an der eigenen Schule fragt, wodurch ein Austausch der Teilnehmenden angeregt wird. Die Grundlagen für diese Diskussionen erarbeiten sich die Lehrkräfte zuvor überwiegend durch Aufsätze, die zum Teil auch in der Broschüre abgedruckt sind.
Die vorgestellten Methoden umfassen größtenteils einen detaillierten Ablaufplan und bieten sich so an, von Erwachsenenbilder_innen übernommen zu werden. Allerdings erfordert dies eine ausführliche Vorbereitung und Erfahrungen in der Diskussionsmoderation um die anspruchsvollen Fragen und die selbstreflexiven Antworten angemessen aufzunehmen und einzubinden.
Die abschließenden „Überlegungen zur Projektgestaltung im bilateralen Kontext“ geben vor allem die Erkenntnisse des Projektes wieder, sind in ihrer Anwendung auch für andere Kontexte denkbar. Zuschreibungen an ein vermeintliches Kollektiv sollten in allen Konstellationen vermieden werden, auch die Selbstreflexion der eigenen Urteilsbildung ist in jeder Bildungsarbeit sinnvoll. Ein Aspekt der von Meron Mendel eingebrachten Ratschläge ist jedoch im israelisch-deutschen Austausch in seiner Intensität besonders. Die Grenzen des Projektes zu erkennen, in diesem Fall die Unmöglichkeit die politische Lage vor Ort, etwa den Israel-Palästina-Konflikt, in seiner Gänze zu erfassen, dürfte relevanter sein als bei anderen bilateralen Projekten.
„Menschenrechte in Erziehung“ ist das Resultat eines langjährigen Projekts, geht jedoch weit über eine Dokumentation hinaus. Die kritische Reflexion der Institution Schule mit ihren Mechanismen und Abläufen und die Hinterfragung der eigenen Position als Lehrende_r bilden anspruchsvolle Aufgaben. Dem Projekt ist es gelungen dies über die Frage der Implentierung von Menschenrechten zu tun, ohne dass diese dabei eine untergeordnete Rolle spielen. Vielmehr gelingt es durch die Reflexionsanregungen die Menschenrechte konkret und greifbar zu machen. Das ausgewogene Verhältnis von Input und Methodenvorstellung macht die Broschüre auch für Personen interessant, die sich eigenständig mit den Herausforderungen von Menschenrechten in der schulischen Bildung auseinandersetzen wollen.
Die Publikation steht kostenfrei zum Download zur Verfügung.