Gemeinsam mit Freunden hat sich Paul Hoffmann ins Kino geschlichen, es läuft ein Film mit Asta Nielsen, dem dänischen Stummfilmstar dieser Zeit. Doch ein Liebespaar macht ihnen ihr Versteck streitig, die Freunde nehmen die Beine in die Hand nehmen und finden sich auf dem Marktplatz der Kleinstadt wieder, wo sie das Wort Sarajevo aufschnappen. Was im ersten Moment für den 14jährigen Paul noch nach Magie und Abenteuer klingt, hält auch in seiner Familie sehr bald realen Einzug. Sein Vater und sein Bruder Max ziehen – angefeuert vom Großvater und nationalistischen Gefühlen – freiwillig in den Ersten Weltkrieg.
Den Gemischtwarenladen ohne den Vater weiter zu betreiben stellt die Familie vor eine große Herausforderung. Die fehlende Arbeitskraft versuchen sie durch die Anstellung der Hilfskraft Ida zu kompensieren, doch obwohl auch Paul mehr arbeitet wird schon im Winter 1914 die Warenbeschaffung schwieriger. Der euphorischen Aufbruchsstimmung und Kriegsbegeisterung seiner männlichen Verwandten und Freunde stehen die starke Skepsis und Ablehnung gegenüber dem Krieg von den Frauen in Pauls Umgebung gegenüber. Seine Mutter, die Verlobte seines Bruders und Ida, die bald seine Freundin wird, sorgen sich um die Soldaten und sehen wenig Sinn und Zukunft im Krieg. Mit diesem Zwiespalt, den angespannten Lebensverhältnissen, einer beginnenden ersten Liebe und der Anforderung erwachsen zu werden, muss Paul nun umgehen. Dabei hilft ihm vor allem Helene, die ältere Buchhändlerin, die er kennen lernt und die bald eine Freundin der Familie wird. Sie weckt in ihm eine Leidenschaft zur Literatur, die schwere Zeiten für Paul erträglicher macht.
Während Pauls Bruder Max in Briefen und beim ersten Fronturlaub seiner Desillusionierung und seiner psychischen Verstörung Ausdruck verleiht, bleibt der Vater hoffnungsvoll. Bald danach stirbt er jedoch und die Familie zieht zu Pauls vergleichsweise wohlhabenden Onkel aufs Land, wo sie bis zum Kriegsende bleibt „Zeit der großen Worte“ ist auch ein Buch über Sprache, über den Widerspruch des wohlklingenden, literarischen Wortschatzes der Bücher, die Paul bei Helene kennen lernt und den aufgeladenen Parolen von Ehre, Pflicht und Vaterland, die ihm von der Kriegspropaganda und alten Freunden entgegenschlagen.
Für sein Buch recherchierte Herbert Günther in zeitgenössischen Schulbüchern und dem Göttinger Tageblatt um die Stimmung und das Vokabular der Zeit angemessen wiedergeben zu können. Günthers Buch ist chronologisch aufgebaut, die wenigen Sprünge und die klare Struktur lassen die Lesenden der Erzählung gut folgen, schnell kann man sich in der Gedanken- und Lebenswelt von Paul Hoffmann einfinden und bleibt den Protagonist_innen verbunden. Dem Roman schließt sich eine Chronik von 1848 bis 1933 mit Fokus auf die Zeit von 1912 bis 1923 an. Eine weitere Stärke ist das gut verständliche Glossar, in dem Personen, Ereignisse und zeitgenössische Begriffe in einem größeren Kontext erläutert werden.
Durch die stete Verknüpfung der Familiengeschichte mit historischen Ereignissen, den leichten Zugang durch verständliche und zugleich fesselnde Sprache ist „Zeit der großen Worte“ auch für den Unterricht mit Schüler_innen ab 14 Jahren gut denkbar. Das vom Gerstenberg Verlag kostenlos zur Verfügung gestellte Unterrichtsmaterial umfasst ein Autoreninterview und fünf Arbeitsblätter, in denen – neben der Festigung von historischen Daten und Begriffen – die unterschiedliche Motivation für eine Kriegsbeteiligung der drei Generationen in Pauls Familie herausgearbeitet werden soll.
Herbert Günther: Zeit der großen Worte, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2014, 272 S., 14,95€.