Die geschichtsdidaktische Aufbereitung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse zur Planung einer Unterrichtsstunde ist ein mitunter hochkomplexer Vorgang, der vor allem angehende Lehrkräfte vor Probleme stellen kann. Speziell diesen methodische Hilfestellung und professionelles Handlungswissen zur Verfügung zu stellen, ist das Anliegen einer von Markus Bernhardt herausgegebenen Publikation. Auf Basis aktueller geschichtsdidaktischer Theorien und von Praxisbeobachtungen erfahrener Lehrkräfte werden hier zehn Vorschläge für Unterrichtsstunden vorgestellt. Diese sind vor allem für die Sekundarstufe I konzipiert und thematisch breit aufgestellt.
Jedem der für eine einzelne Schulstunde und teilweise für eine Doppelstunde geeigneten Unterrichtsblöcke ist unter der Frage „Worum geht es?“ eine kurze Zusammenfassung vorangestellt, in der Kernpunkte und Ziele aufgeführt sind. Dem folgt nach einer kurzen historischen Hinführung zum jeweiligen Themengebiet die genaue Planung der Unterrichtseinheit. Hier gehen die Autor_innen jeweils auf die Möglichkeiten des historischen Lernens am Gegenstand sowie auf die Frage, welche Kompetenzen die Schüler_innen durch eine Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema erwerben, ein. Die praktische Planung des Stundenverlaufs, mit Arbeitsaufträgen versehene Quellen sowie Hinweise auf einschlägige Fachliteratur bilden den Abschluss jeder Unterrichtseinheit.
Den Anfang macht Martin Schnackenberg, der eine Unterrichtsstunde zum Thema der Pest in Europa konzipiert. Die Ausbreitung der Krankheit im Mittelalter dient hier für die Schüler_innen als Ausgangspunkt, um sich bei einem starken Gegenwartsbezug strukturell mit menschlichen Krisenmechanismen auseinanderzusetzen. Auf dieser Basis sollen der „Umgang mit Angst und die massenpsychologischen Hintergründe (Massenhysterie, religiöser Wahn, Sündenbockfunktion)“ (S.9) beleuchtet werden. Schnackenberg schlägt einen personenzentrierten Zugang zur Problematik vor und stellt eine Geschichtserzählung, die anhand einer Beispielperson die historische Situation veranschaulicht und zugleich „zentrale Fragen, die indirekt auch die Gegenwart berühren“ (S.10), provoziert, in den Mittelpunkt der Geschichtsstunde. Eine zeitgenössische Quelle und moderne Erkenntnisse über die historische und aktuelle Verbreitung sowie den medizinischen Verlauf der Krankheit komplettieren die Unterrichtseinheit. Neben dem Herausarbeiten von Unterschieden zwischen historischen Quellen und fiktiven Erzählungen sieht Schnackenberg die Unterrichtseinheit vor allem zur Stärkung der Orientierungskompetenz der Schüler_innen im Kontext aktueller Krisen wie beispielsweise der Ebola-Epidemie von 2014/15, AIDS oder der Vogelgrippe als geeignet an.
Einem historischen Kulturvergleich widmet sich die vorgeschlagene Unterrichtsstunde von Markus Bernhardt. Am Beispiel der Landwirtschaften Europas und des andinen Inkareichs im 16. Jahrhundert soll das Hinterfragen von Werturteilen gefördert werden und den Schüler_innen verdeutlicht werden, „dass indigene Kulturen nicht ,besser‘ oder ,schlechter‘ als die europäische Kultur waren, sondern anders und vor allem genauso legitim“ (S.29). Neben einer Hausarbeit zu den politischen Unterschieden zwischen europäischen Gesellschaftsordnungen und dem Inkareich als Vorbereitung der Unterrichtseinheit setzt Bernhardt voraus, dass Grundzüge der mittelalterlichen Landwirtschaft in Europa bereits von den Schüler_innen behandelt worden sind. Im Zentrum der Unterrichtsstunde steht eine Gruppenarbeit, in der die Schüler_innen in Kleingruppen anhand von historischen Quellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Bauernarbeiten in Europa und im Inkareich sowie ihre jeweiligen Auswirkungen herausarbeiten. In der folgenden Diskussion der Ergebnisse solle die jeweilige Lehrkraft den Fokus nicht so sehr auf „das Zusammentragen von möglichst vielen Aspekten“ (S.31) legen, sondern vor allem eine kontroverse Diskussionskultur und möglichst unterschiedliche – aber jeweils schlüssig begründete – Meinungen fördern.
Eine mögliche Unterrichtsstunde zum Thema Krieg und Frieden stellt Bärbel Völkel vor. Im Fokus steht dabei die kritische Auseinandersetzung mit der Frage, wie Regierungen öffentliche Akzeptanz für militärische Ersteinsätze herstellen. Historischer Gegenstand ist dabei der von den Nationalsozialisten propagandistisch inszenierte Überfall auf den Sender Gleiwitz zur Legimitierung eines deutschen Krieges gegen Polen. Im Zentrum der Unterrichtseinheit steht auch hier eine Gruppenarbeit, bei welcher ein Teil der Schüler_innen einen zeitgenössischen Propagandaartikel, ein anderer Teil dagegen die eidesstattliche Erklärung des am Überfall auf den Sender Gleiwitz beteiligten SS-Offiziers Alfred Naujock, der sich im Rahmen der Nürnberger Prozesse zu den Geschehnissen äußerte, analysiert. Die multiperspektivische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sichtweisen auf das Ereignis sieht Völkel als Kernpunkt der Unterrichtseinheit, da diese nicht nur die Interpretationskompetenz der Schüler_innen für historische Ereignisse stärke, sondern sie darüber auch zur differenzierten Reflexion und zum kritischen Hinterfragen von aktuellen Geschehnissen befähige.
Eine für einen Oberstufenkurs konzipierte Unterrichtsstunde zum Thema der juristischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus stellt Johanne Gerlach vor. Am Beispiel des ehemaligen Oberbefehlshabers der deutschen Kriegsmarine Karl Dönitz sollen sich die Schüler_innen mit dem komplexen Spannungsfeld zwischen Moral, Befehlen und persönlicher Schuld auseinandersetzen. Zentral sei dabei „die Schulung der moralisch-emotionalen sowie kognitiven Dimension“, da diese die Schüler_innen in die Lage versetze, als junge Erwachsene zunehmend Verantwortung wahrnehmen zu können.
Den Abschluss der Publikation bilden die beiden Unterrichtseinheiten von Hans Utz und Antonia Schmidlin. Kern des von Utz vorgestellten Unterrichts ist der Umgang mit einer Filmquelle, in diesem Fall einem Propagandafilm, der amerikanische Soldaten bei einem Atombombentest zeigt. Schmidlins Unterrichtsentwurf beleuchtet die im Kontext des Jahres 1968 und der damit verbundenen gesellschaftlichen Diskussionen und Proteste entworfenen Schülermanifeste. Am Beispiel eines solchen Manifestes, welches an einem Schweizer Gymnasium verfasst worden war und große sprachliche Parallelen zum Kommunistischen Manifest von 1848 aufwies, sollen Schüler_innen sich nicht nur mit dem historischen Modellen auseinandersetzen, sondern auch eigene Positionen, Leitbilder und Forderungen hinterfragen oder präzisieren.
Weitere Unterrichtseinheiten widmen sich thematisch der bäuerlichen Ernährung vor 1800, der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte im Kontext der Französischen Revolution, der Analyse von Abbildungen auf historischen und aktuellen Geldscheinen bzw. -münzen sowie der Bewertung des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus am Beispiel der Person von Stauffenberg.
Die Publikation „10 Stunden, die funktionieren“ ist eine thematisch breite Zusammenstellung von möglichen Unterrichtseinheiten. Diese weisen durchweg einen starken Gegenwartsbezug und ein hohes Maß an Multiperspektivität auf. Durch die Kombination von fachwissenschaftlichem Hintergrund, geschichtsdidaktischen Grundlagen und konkreter Stundenplanung wird eine hohe Transparenz dahingehend geschaffen, welche Ziele in der jeweiligen Unterrichtseinheit auf welche Art und Weise erreicht werden sollen. Die angeführten Materialien und Quellen sind bereits mit konkreten und ausformulierten Arbeitsaufträgen versehen, die Stundenplanung lässt dagegen Raum für individuelle Schwerpunkte. Der geschichtsdidaktisch umfassende, klar strukturierte und praxisnahe Aufbau der Unterrichtsvorschläge macht die Publikation vor allem für angehende Lehrkräfte empfehlenswert, welche nach Möglichkeiten suchen, sich mit der Unterrichtsvorbereitung im Fach Geschichte differenziert auseinanderzusetzen.
Markus Bernhardt (Hg.): 10 Stunden, die funktionieren. Geplante und erprobte Geschichtsstunden, Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts. 2017, 112 Seiten, 24,80 Euro.