Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Im Rahmen der Diskussion über die Integration geflüchteter Menschen wurden Ende 2015 / Anfang 2016 auch die Einrichtungen der kulturellen Bildung nach ihrem möglichen Beitrag gefragt. In Köln wurde diese Anfrage vom Museumsdienst Köln diskutiert, der die Bildungs- und Vermittlungsarbeit in drei historischen und sieben Kunstmuseen der Stadt konzipiert und organisiert. Zu diesem Zeitpunkt ging es in erster Linie darum, die in den Erstaufnahmeeinrichtungen ehrenamtlich Tätigen zu unterstützen. Es sollten Angebote bereitgestellt werden, die den Geflüchteten Abwechslung in ihrem tristen Alltag bieten sollten, verbunden mit der Möglichkeit, sich mit künstlerischen Mitteln auszudrücken. Ein weiterer Aspekt lag in der Unterstützung beim Spracherwerb. Der Schwerpunkt lag hier eindeutig auf den Kunstmuseen. Die Vertreterinnen und Vertreter der historischen Museen waren sich darin einig, dass ihre Rolle erst dann wirklich zum Tragen kommt, wenn die Geflüchteten über die Gewissheit verfügen, in der Stadt Köln bleiben zu können. Erst dann macht es wirklich Sinn, sich mit der Lokalgeschichte zu beschäftigen. Darüber hinaus spielt in diesen Häusern die Sprache eine große Rolle bei der Vermittlung der historischen Zusammenhänge. Noch einmal speziell war die Lage im NS-Dokumentationszentrum mit der Gedenkstätte Gestapogefängnis. Hier mussten wir im Rahmen einer Führung die Re-Traumatisierung eines jungen Mannes erleben. Diese Erfahrung veranlasste uns, zunächst noch einmal besonders über Angebote für Geflüchtete nachzudenken.
Der Museumsdienst Köln hatte mehrere Termine angeboten, an denen die ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer die einzelnen Häuser und deren Angebote kennenlernen konnten[1]. Hier fanden auch erste Beratungen statt. Im NS-Dokumentationszentrum sprachen wir ausführlich über die Motivation der Betreuenden, gerade diese Einrichtung mit den Geflüchteten besuchen zu wollen. Manch eine_r erhoffte sich einen „erzieherischen“ Effekt im Hinblick auf eine – unterstellte – anti-israelische bzw. antisemitische Haltung von Geflüchteten aus dem arabisch-muslimischen Kontext. Im Dokumentationszentrum waren wir allerdings der Meinung, dass wir hier zunächst einmal unsere Hausaufgaben machen sollten, bevor wir den Asylsuchenden mit erhobenem Zeigefinger entgegentreten. Zuerst einmal müssen wir uns mit der Rolle der westlichen Industrienationen – darunter auch Deutschlands – im Nahen Osten während der letzten hundert Jahre auseinandersetzen. Auf dieser Basis kann man sich dann dem Thema nähern und eine Diskussion führen, ohne in eine paternalistische Haltung zu verfallen. Dies sprengt allerdings den Rahmen von Gedenkstätten-Besuchen. Anders liegt der Fall, wenn Geflüchtete aus eigenem Interesse den Wunsch nach einem begleiteten Besuch äußern. Dazu später mehr.
Parallel zu diesen Überlegungen wurden Vorbereitungen zum Umgang mit Re-Traumatisierungen getroffen. Zwar zeichnet sich die gedenkstättenpädagogische Arbeit schon immer in hohem Maß durch Achtsamkeit im Hinblick auf mögliche psychische Überforderung der Besucherinnen und Besucher aus. So bestehen wir zum Beispiel auf der Freiwilligkeit des Besuchs der Gedenkstätte. Aber eine Re-Traumatisierung ist nicht vorhersehbar, auch nicht von der betroffenen Person selbst. Der Museumsdienst ermöglichte allen freiberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kölner Museen eine Fortbildung durch die Organisation medica mondiale, die uns half, Gefährdungen zu erkennen und ggf. auszuschalten bzw. aufzufangen. So werden die Kolleginnen und Kollegen des Wachpersonals stärker als bisher in Führungen einbezogen. Sie werden explizit als Ansprechpartner bei möglichen Problemen vorgestellt, und sei es bei der Frage nach dem schnellstmöglich erreichbaren Ausgang. Das gibt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an den pädagogischen Programmen ein größeres Gefühl von Sicherheit, die Situation immer verlassen zu können, wenn es für sie zu schwer wird. Die in der Vermittlung Tätigen / Guides empfanden vor allem die Übungen als hilfreich, die Möglichkeiten des Umgangs mit konkreten Re-Traumatisierungs-Situationen zeigten. Eines wurde ganz deutlich: traumasensibles Arbeiten betrifft nicht nur Gruppen Geflüchteter, sondern alle Schülergruppen. In jeder Klasse können sich Jugendliche mit Haft- und Fluchterfahrung befinden.
Seit Sommer 2016 besteht in den Kölner Museen an jedem ersten Donnerstag im Monat die Möglichkeit, ein kostenloses pädagogisches Angebot für Geflüchteten-Gruppen wahrzunehmen. Eine Anmeldung ist allerdings erforderlich. In diesem Zusammenhang fragten auch einige Betreuungspersonen im NS-Dokumentationszentrum nach. Zunächst wurde in ausführlichen Vorgesprächen sichergestellt, dass der Wunsch nach einem Besuch der Einrichtung von den Geflüchteten ausging. Welche Themen interessierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer? War das Sprachniveau im Deutschen ausreichend oder gab es Teilnehmende, die gegebenenfalls übersetzen konnten? War bekannt, ob sich massiv Traumatisierte in den Gruppen befanden? Falls ja, musste sichergestellt werden, dass sie durch eine ihnen vertraute Person begleitet wurden. Unter diesen Voraussetzungen kamen Begegnungen zustande, die für alle Beteiligten sehr bereichernd waren.
Es zeigte sich, dass der Begriff „Flüchtlinge“ oder auch „Geflüchtete“ den Blick auf die Personen sehr einengt, bezeichnet er doch per Definition ein „Opfer“, jemanden, der beschützt werden muss, der unserer Hilfe bedarf. Natürlich trifft dies zunächst auf die Menschen zu, die nach langer Flucht das Ziel Europa erreicht haben. Aber dieser Blick spiegelt auch ein hierarchisches Verhältnis, wie es auf der politischen Ebene herrscht: im Verhältnis der westlichen Industrienationen zu den von ihnen ehemals kolonialisierten und/oder wirtschaftlich ausgebeuteten Ländern. Löst man sich von dieser Vorstellung, dann sieht man sich „Expert_innen“ gegenüber: Expert_innen im Meistern schwierigster Situationen, Expert_innen im Überlebenskampf. Beim Besuch der Gedenkstätte Gestapogefängnis wurde das deutlich. Sind wir in der Regel gewohnt, Besucherinnen und Besuchern, Schülerinnen und Schülern wortreich und mit vielen Beispielen die Situation unbefristeter Haft in kleinen, überbelegten Zellen nahezubringen, so fand sich bisher in jeder unserer „Donnerstags-Gruppen“ mindestens eine Person, die – sozusagen als Zeitzeug_in – hier über eigene Erfahrungen verfügte. Wir konnten sie fragen, wie sie geschlafen hat, ob und was an die Wände geschrieben wurde und womit. Hier waren wir die Lernenden, sie war unser Lehrer.
In der Dauerausstellung „Köln im Nationalsozialismus“ gibt es einige Räume, die sich mit dem Thema „Köln während des Zweiten Weltkriegs“ beschäftigen. Anhand von Fotos werden die Lebensumstände in der zerstörten Stadt veranschaulicht. Bei den regulären Gruppenführungen verwenden wir einige Zeit darauf, die Bedingungen des Alltagslebens in Kriegszeiten zu vermitteln. Auch hier sahen wir uns nun Expertinnen und Experten gegenüber, die aus eigener Erfahrung berichteten, was es bedeutet, in Trümmern und unter Bombardierungen zu existieren.
In den Gesprächen im Vorfeld des Besuches war die Frage zentral, warum die Geflüchteten speziell unser Haus für einen Besuch ausgewählt hatten. Hier zeigte sich ein großes historisches Interesse sowohl an der Stadtgeschichte als auch vor allem an der NS-Geschichte. In einer Gruppe wurde der Wunsch formuliert, sich mit der Geschichte von rassistischer Verfolgung in Köln zu beschäftigen. Sie wüssten viel über die Verfolgung der Juden, würden nun aber gerne wissen, ob es noch andere Verfolgtengruppen gegeben hätte. Bei diesem Besuch haben wir uns ausführlich mit der Verfolgung der Sinti und Roma und der rassistischen Verfolgung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern beschäftigt.
Eine Teilnehmerin war mit zwei Kindern aus dem Iran geflüchtet und so schwer traumatisiert, dass sie nur mit Hilfe von Medikamenten den Alltag bewältigen konnte. Sie wurde von einem jungen Mann begleitet, der sie betreute und auch für sie übersetzte. In der abschließenden Gesprächsrunde sagte sie, dass der Besuch im Haus für sie sehr wichtig gewesen sei, denn er helfe ihr, ihrer Verpflichtung als Mutter nachzukommen. Ihre Kinder hätten in der Schule über das Thema Nationalsozialismus gesprochen und ihr Fragen gestellt, die sie nicht beantworten konnte. Nun wisse sie mehr und auch, dass sie mit ihren Töchtern gemeinsam im NS-Dokumentationszentrum weitere Antworten bekommen könne.
Sehr überrascht waren wir auch über die Anmerkung einiger Teilnehmender, dass sie den Besuch im Haus tröstlich fanden. So hatten sie das Gefühl, mit ihrer Hafterfahrung nicht alleine zu sein, sondern in der Gedenkstätte Gestapogefängnis einen Ort zu finden, an dem sie sich mit uns über ihre Haftsituation austauschen konnten. Wir wurden als vorbereitet erfahren, als Menschen, die sich mit Inhaftierungen und Folterungen zumindest theoretisch schon viel beschäftigt hatten.
Die Fotos des zerstörten Köln, die an ihre Heimatstädte erinnerten, wurden in Beziehung gesetzt zu der lebendigen heutigen Großstadt, die sie im Alltag kannten. Es gibt also eine Zukunft, auch Städte, die fast dem Erdboden gleich waren, konnten wieder aufgebaut werden und die Menschen darin in Frieden leben. Mit dieser Hoffnung für eine Zukunft in ihrer Heimat verließen sie das Haus.
Inzwischen erhalten wir gehäuft Anfragen von Institutionen, die im Rahmen von Integrationskursen das kostenlose Angebot wahrnehmen möchten. In diesen Kursen wird auch auf die NS-Zeit verwiesen, und da auch eine Exkursion vorgesehen ist, liegt ein Besuch des NS-Dokumentationszentrums nahe. Leider müssen wir hier immer auf die Entgeltordnung der Stadt Köln verweisen. Dort ist festgelegt, dass Einrichtungen der Erwachsenenbildung für eine Führung 50 € zuzüglich Eintritt zu zahlen haben. Hier ist eine Diskussion notwendig, die ein kostenloses Angebot der politischen Bildung fordert – für alle Erwachsenengruppen, seien es Abendrealschulen oder Volkshochschulkurse. Wenn diese Forderung erfüllt würde, hätten wir auch dies den Geflüchteten zu verdanken, so wie schon die Aufstockung des sozialen Wohnungsbaus.
Und wir sollten nicht vergessen, den Blick auch auf die sogenannten Integrierten zu richten. Auf einem Unterstützer_innen-Treffen war eine Schülervertreterin anwesend, in deren Schul-Turnhalle geflüchtete Menschen untergebracht waren. Sie appellierte dringend an uns, sie bei der Gegenwehr gegen aufkommende feindliche Stimmung mit rassistischen Untertönen zu unterstützen. Hier ist noch viel Arbeit zu tun.
Maren Ziese, Caroline Gritschke (Hg.), Geflüchtete und kulturelle Bildung. Formate und Konzepte für ein neues Praxisfeld. Bielefeld 2016
Michael Lüders, Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet. München 2015