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In seinem zweiten Beitrag in dieser Ausgabe setzt sich der Autor mit den Möglichkeiten und Hürden der sogenannten Schutzverantwortung auseinander.
Ergebnis des Weltgipfels 2005 ist die Resolution A/RES/60/1, „ohne Abstimmung“ verabschiedet auf der 8. Plenarsitzung der UN-Generalversammlung am 16. September 2005 am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York. Diese Resolution definiert im Punkt 138 die Verantwortung jedes einzelnen Staates für den Schutz der Bevölkerung vor Völkermord, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. „Zu dieser Verantwortung gehört es, solche Verbrechen, einschließlich der Anstiftung dazu, mittels angemessener und notwendiger Maßnahmen zu verhüten. Wir akzeptieren diese Verantwortung und werden im Einklang damit handeln. Die internationale Gemeinschaft sollte gegebenenfalls die Staaten ermutigen und ihnen dabei behilflich sein, diese Verantwortung wahrzunehmen, und die Vereinten Nationen bei der Schaffung einer Frühwarnkapazität unterstützen“. [1]
Nach Punkt 139 dieser Resolution hat die internationale Gemeinschaft durch die Vereinten Nationen auch „die Pflicht, geeignete diplomatische, humanitäre und andere friedliche Mittel nach den Kapiteln VI und VIII der Charta einzusetzen, um beim Schutz der Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit behilflich zu sein“. Und weiter lautet es: „In diesem Zusammenhang sind wir bereit, im Einzelfall und in Zusammenarbeit mit den zuständigen Regionalorganisationen rechtzeitig und entschieden kollektive Maßnahmen über den Sicherheitsrat im Einklang mit der Charta, namentlich Kapitel VII, zu ergreifen, falls friedliche Mittel sich als unzureichend erweisen und die nationalen Behörden offenkundig dabei versagen, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen“.
Wie der Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (UN SG r2p Implementation Report) vom 12.1.2009 „in Weiterverfolgung der Ergebnisse des Millennium-Gipfels“ aus dem Jahr 2005 unterstreicht, „wäre die umfassende Ausgestaltung der Strategie, Standards, Prozesse, Instrumente und Praktiken der Vereinten Nationen für die Schutzverantwortung der beste Weg, Staaten oder Gruppen von Staaten von einem Missbrauch der Schutzverantwortung für unangemessene Zwecke abzuhalten. Dieses Mandat und sein historischer, rechtlicher und politischer Kontext werden in Abschnitt I dieses Berichts behandelt.
Im Anschluss daran wird eine Drei-Säulen-Strategie zur Förderung der von den Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel vorgegebenen Agenda skizziert, die sich wie folgt darstellt:
Säule eins
Die Schutzverantwortung des Staates (Abschn. II)
Säule zwei
Internationale Hilfe und Kapazitätsaufbau (Abschn. III)
Säule drei
Rechtzeitige und entschiedene Reaktion (Abschn. IV)
Die Strategie betont den Wert der Vorbeugung und, wenn diese versagt, einer frühzeitigen und flexiblen Reaktion, die auf die besonderen Umstände des jeweiligen Falles zugeschnitten ist. Es gibt weder eine feste Reihenfolge der Säulen noch wird eine für wichtiger als eine andere erachtet. So wie ein Gebäude ist auch die Struktur der Schutzverantwortung darauf angewiesen, dass die sie stützenden Säulen von gleicher Größe, Stärke und Tragfähigkeit sind. Der Bericht gibt außerdem Beispiele für Politiken und Praktiken, die zur Förderung der die Schutzverantwortung betreffenden Ziele unter jeder Säule beitragen oder beitragen könnten. Der weitere Weg wird in Abschnitt V behandelt. Insbesondere werden in Ziffer 71 fünf Punkte zur möglichen Prüfung durch die Generalversammlung im Rahmen ihres Mandats für die „weitere Prüfung“ nach Ziffer 139 des Gipfelergebnisses genannt. Erste Denkansätze zu der in Ziffer 138 des Gipfelergebnisses geforderten Frühwarnung und Bewertung sind im Anhang dargelegt“.
Der NATO-Einsatz gegen das Gaddafi-Regime 2011 „war der erste Krieg, der politisch weithin mit dem Prinzip der ‚Schutzverantwortung‘ (Responsibility to Protect, R2P) gerechtfertigt wurde. Nach diesem Prinzip hat die internationale Staatengemeinschaft zwar nicht rechtlich, jedoch moralisch eine subsidiäre Verantwortung, massenhafte Menschenrechtsverletzungen notfalls auch mit militärischer Gewalt zu verhindern, wenn die Regierung des betreffenden Landes ihrer Schutzverantwortung gegenüber den eigenen Bürgerinnen und Bürgern nicht gerecht wird.[3]
Der UN-Sicherheitsrat stellte in seiner Resolution 1973 (2011) vom 17. März 2011 fest, „dass die Situation in der Libysch-Arabischen Dschamahirija auch weiterhin eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt“ und wurde tätig „nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen“. Er verlangte „eine sofortige Waffenruhe und ein vollständiges Ende der Gewalt und aller Angriffe und Missbrauchshandlungen gegen Zivilpersonen“. [4] Der UN-Sicherheitsrat ermächtigte „die Mitgliedstaaten, die eine Notifizierung an den Generalsekretär gerichtet haben und die einzelstaatlich oder über regionale Organisationen oder Abmachungen und in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretär tätig werden, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, ungeachtet der Ziffer 9 der Resolution 1970 (2011), um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete in der Libysch-Arabischen Dschamahirija, einschließlich Bengasis, zu schützen, unter Ausschluss ausländischer Besatzungstruppen jeder Art in irgendeinem Teil libyschen Hoheitsgebiets (…)“.
Aleppo 2016
„State sovereignity is no longer a license to kill“[5]. Die Entwicklungen in Syrien, Aleppo 2016, widerlegen diese von Gareth Evans, President of the International Crisis Group, Brüssel, vertretene Meinung. Evans gab SEF News (Stiftung Entwicklung und Frieden), am 22.5.2008 ein Interview.
“SEF News: Let me confront you with two points of criticism often brought forward against R2P. Some observers warn against the high expectations raised by the R2P promise, and the disappointment that will follow inevitably if the international community fails. How do the promoters of R2P handle this challenge?
Evans: Because you can’t do everything should never be an excuse for not doing anything. Being constantly disappointed is a fact of life for those of us in the conflict prevention and resolution business. But if you do not pitch for the highest denominator response you are certain to end up with the lowest. How can we possibly do worse flying under the flag of R2P than we did for centuries accepting, in effect, that state sovereignty was a license to kill?”
Es bleibt festzustellen, dass r2p keine neue völkerrechtliche Norm, wohl aber eine wesentliche Referenz ist, an der Staaten ihre Politik ausrichten können. Erforderlich ist ein „Ausgleich zwischen den Großmächten, um den Sicherheitsrat wieder handlungsfähig zu machen“. [6]
Dr. Peter Rudolph, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin, führte im Jahr 2013 in kritischer Anmerkung zum r2p-Konzept aus: „Wer eine Verpflichtung zu menschenrechtlich begründeten militärischen Interventionen postuliert, argumentiert im Rahmen des ‚liberalen‘ Paradigmas internationaler Politik. Denn aus ‚realistischer‘ Sicht besteht Verantwortung zuallererst in der Durchsetzung nationaler Interessen. Eigene Staatsbürger zur Rettung anderer in den Krieg zu schicken, ohne dass grundlegende nationale Interessen auf dem Spiel stehen, ist aus Sicht der realistischen Denkschule moralisch verantwortungslos“[7].
Er folgerte: „In der Summe legen die analysierten Probleme und Dilemmata folgenden Schluss nahe: Menschenrechtlich begründete Militärinterventionen sind nur in Extremsituationen zu rechtfertigen. Wenn die menschlichen Kosten einer solchen Intervention im Vergleich zum Nutzen unverhältnismäßig groß sind oder es unwahrscheinlich ist, dass die angestrebten humanitären Ziele erreicht werden, dann ist im Sinne einer konsequentialistischen Bewertung die Intervention moralisch falsch. Dies gilt auch dann, wenn der Einsatz militärischer Gewalt das Kriterium der Ultima Ratio erfüllt. In beiden Fällen – Proportionalität und Erfolgsaussichten – handelt es sich um eine prospektive Bewertung, die mit etlichen Ungewissheiten behaftet ist.
Das heißt: Es sprechen nicht nur pragmatische, sondern gerade auch moralische Gründe dafür, die Schwellenkriterien für eine mit dem Prinzip der Schutzverantwortung begründete Militärintervention sehr hoch anzusetzen. Eine Intervention wäre nur dann zu rechtfertigen, wenn (1) in massiver koordinierter Form eine große Zahl von Zivilisten in kurzer Zeit getötet werden; (2) militärisch die Rettung einer beträchtlichen Zahl von Menschen unter niedrigen Verlusten für die eingreifenden Staaten möglich ist; (3) die Aussicht besteht, dauerhafte Sicherheit ohne eine langfristige militärische Präsenz und ein kostspieliges, aber selten erfolgreiches nation building schaffen zu können“.
[6] Zitiert nach Prof. Sven Bernhard Gareis, George C. Marshall Center - European Center for Security Studies, Garmisch-Partenkirchen, Vortrag am 15.11.2016 im Bonifatiushaus Fulda: „Die Internationale Schutzverantwortung. Stand und Perspektiven eines schwierigen Projektes“. Unveröffentlichte Präsentation.
[7] http://www.bpb.de/apuz/168165/schutzverantwortung-und-humanitaere-intervention?p=all (Aus Politik und Zeitgeschichte 27/2013)