Erfolge und Misserfolge prägen die historische Bilanz der Durchsetzung von Menschenrechten durch die Vereinten Nationen. Speziell die Analyse der Misserfolge nimmt bei der Entwicklung von Strategien zur Durchsetzung universeller Menschenrechte eine zentrale Rolle ein. Dies gilt auch für die Frage, in wie weit Menschenrechte militärisch geschützt werden können. So stürzten die Völkermorde in Ruanda und im bosnischen Srebrenica die Vereinten Nationen in eine Glaubwürdigkeitskrise – und waren zugleich Ausgangspunkt für eine Reform und Ausweitung der UN-Friedenseinsätze.
Einen praxisnahen Einblick in das komplexe Gefüge der Einsätze liefert das 2003 auf Englisch herausgegebene und 2008 ins Deutsche übersetzte Buch „Handschlag mit dem Teufel“ des Kanadiers Roméo Dallaire. Dieser war von Oktober 1993 bis August 1994 Kommandeur des Truppenkontingents der „United Nations Assistance Mission for Rwanda“ (UNAMIR). Auf diese Weise war er Augenzeuge des Völkermordes, der in Ruanda von einer radikalen Hutu-Mehrheit an der Tutsi-Minderheit und gemäßigten Hutu begangen wurde. Dallaire‘s insgesamt 651 Seiten langer und im Stil eines Tagebuches verfasster Bericht bietet einen beeindruckend nüchternen und zugleich tief verstörenden Blick auf die Hintergründe des Scheiterns der Vereinten Nationen und nationalen Regierungen in Ruanda.
Die ersten Kapitel des insgesamt 15 Hauptkapitel umfassenden Buches widmen sich der Zeit bis zum Beginn der UN-Mission. Dallaire geht auf seine Jugend, seine Sozialisation und seine Laufbahn im kanadischen Militär ein. Er beschreibt, wie er als Leiter einer UN-Mission in Ruanda ins Auge gefasst wurde – und gesteht, dass er zu diesem Zeitpunkt „nicht wusste, wo Ruanda liegt und in welchen Schwierigkeiten das Land genau steckte“(S. 69). In den folgenden Kapiteln beleuchtet er die komplexe politische Situation des von Bürgerkrieg und sozioökonomischen Problemen geprägten Landes sowie den formellen Beschluss von UNAMIR durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates am 5. Oktober 1994. Die mit einem Mandat zur Friedenserhaltung ausgestattete UN-Mission hatte dabei das Ziel, das von den beiden Bürgerkriegsparteien abgeschlossene Friedensabkommen zu überwachen.
Mit der Beschreibung des Versuches, dieses Ziel umzusetzen, befasst sich Dallaire in den Kapitel Sechs bis Neun. Dabei arbeitet er zentrale Probleme und Defizite heraus, die einen Erfolg seiner Mission aus seiner Sicht entscheidend blockierten. Als wiederkehrendes Problem bemängelt er das fehlende Interesse der Vereinten Nationen, speziell der Mitglieder des Sicherheitsrates, an der Mission in Ruanda. Dies spiegelte sich u.a. in mangelnder Versorgung und Ausrüstung der UN-Mission wieder. So seien beispielsweise von insgesamt 20 angeforderten gepanzerten Fahrzeugen nur acht angekommen – und von diesen acht seien wiederum nur fünf funktionstüchtig gewesen. Weiterhin berichtet er von Disziplinarverstößen der UN-Soldaten, welche die Sympathie der lokalen Eliten und Bevölkerung zerstörte. Hinweise auf einen geplanten Völkermord seien von den Vereinten Nationen ignoriert worden. Die Weigerung von Dallaire‘s UN-Vorgesetzen wie beispielsweise dem späteren UN-Generalsekretär Kofi Annan, ihn von extremistischen Hutus angelegte Waffenlager auszuheben zu lassen, habe ihm schließlich „den Boden unter den Füßen“ (S. 183) weggezogen.
Der Ablauf des Völkermordes von April bis Juli 1994 und die Versuche UNAMIRS, diesen aufzuhalten, bilden die Basis der weiteren Kapitel. Dallaire beschreibt diesen nüchtern, aber ohne Details wegzulassen. Er kritisiert vor allem die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates, nach dem Tod von zehn belgischen UN-Soldaten das militärische Personal von UNAMIR entgegen seiner Forderung nach mehr Unterstützung von ca. 2500 auf lediglich 270 Soldaten zu verringern. Er kommt so zu der Einschätzung, dass die Vereinten Nationen unter keinen Umständen „ihre Hände vom ruandischen Blut reinwaschen“ (S. 372) könnten. Die Ende Juni 1994 beginnende französische „Opération Turquoise“ und die wenig später erfolgende Aufstockung der Truppen UNAMIR’s seien viel zu spät und teils mit den falschen Zielen erfolgt – der Völkermord war bereits geschehen.
Wiederkehrendes Element in Dallaire’s Schilderung ist neben der mangelnden internationalen Unterstützung der UN-Mission vor allem die sprachliche Radikalisierung im Vorfeld des Völkermords. Speziell der Radiosender „Radio Télévision Libre de Milles Collines“ betrieb vor und während des Völkermordes Hasspropaganda gegen die Tutsi-Minderheit, gemäßigte Hutu und auch gegen UNAMIR. Dies sorgte für „Hysterie und Paranoia in der Bevölkerung“ (S. 168) – und so für eine zunehmende Radikalisierung der Hutu-Mehrheit in Ruanda.
Dallaire gelingt es in seinen Ausführungen immer wieder, die komplexen Zusammenhänge des UN-Friedenssicherungssystems für die Leser_innen verständlich darzustellen. Über seinen Bericht hinaus ist besonders das lesenswerte Nachwort des Journalisten Dominic Johnson empfehlenswert. Dieser sorgt für eine historische Einordnung des Völkermordes und analysiert den Prozess der Aufarbeitung in Ruanda. Hervorzuheben sind zudem das umfassende Glossar sowie die informativen Lektüreempfehlungen für jene Leser_innen, die sich mit der Thematik intensiver befassen wollen und auf der Suche nach Fachliteratur sind.
Dallaire’s „Handschlag mit dem Teufel“ ist ein schwer verdaulicher Augenzeugenbericht über einen auf ganzer Linie gescheiterten Versuch der Vereinten Nationen, Teile der Zivilbevölkerung eines Landes militärisch zu beschützen. Die Frage, ob Menschenrechte in Ruanda militärisch hätten geschützt werden können, beantwortet Dallaire mit einem klaren „Ja“ – und nennt eine umfassende Reihe von Gründen, warum die UN-Mission trotzdem fehlschlug. Das Buch vermag es so in drastischer Art und Weise, Chancen und Risiken eines militärischen Vorgehens zum Schutze der Menschenrechte aufzuzeigen.
Dallaire, Roméo: Handschlag mit dem Teufel. Die Mitschuld der Weltgemeinschaft am Völkermord in Ruanda, zu Klampen Verlag, Springe 2008, 29,80 €.