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Im Jahr 1984 kam es zu einem politischen Skandal, als Bundeskanzler Helmut Kohl gemeinsam mit dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan eine Kriegsgräberstätte in Bitburg besuchte, auf der auch Soldaten der Waffen-SS begraben liegen. Auch heute noch ist es vielerorts schwierig, im Gedenken an zivile und militärische Opfer des Zweiten Weltkrieges zu einem angemessenen Umgang mit ehemaligen Angehörigen einer bewaffneten Kraft zu finden, die die Vernichtungspolitik des Dritten Reiches mit umsetzte und zu Recht während der Nürnberger Prozesse zur verbrecherischen Organisation erklärt wurde. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ist in vielen Fällen mit der gleichen Problematik konfrontiert: Wie kann man als Angehörigenorganisation, die sowohl Gräber von Verfolgten und Opfern als auch von Tätern des NS-Regimes betreut, auf Friedhöfen mit dieser Vergangenheit umgehen? Die Komplexität des Themas lässt sich an drei Fällen darlegen. Sie zeigen entweder eine Entfernung von Hinweisen auf die Identität Verstorbener oder eine klare Benennung von Tätern und Taten sowie die Einbeziehung von Schicksalen in die Bildungsarbeit vor Ort.
Auf dem Hauptfriedhof von Weimar wurden Soldaten der Wehrmacht und zivile Tote beerdigt, aber auch SS-Wachmannschaften des Konzentrationslagers Buchenwald, die bei einem Luftangriff im Jahr 1944 zu Tode kamen. Zu DDR-Zeiten wurden die Kriegsgräber durch die Angehörigen gepflegt; die Gräber wiesen damals keinerlei Angaben zur Einheitszugehörigkeit der Toten auf. Nach der Wende kam es jedoch zu einem Skandal, als bei einer Restaurierung des Gräberfeldes Dienstgrade auf den Grabsteinen angebracht wurden und somit zwischen Wehrmachts- und SS-Angehörigen unterschieden werden konnte. Die Stadt Weimar befürchtete die Entstehung eines Wallfahrtsortes für Rechtsextreme und ließ SS-Bezeichnungen wieder von den Steinen entfernen.
Bis heute ist durch Erwähnung militärischer Rangangaben einerseits und Aussparungen unter den Namen verstorbener SS-Männer andererseits ein deutlicher Unterschied zu erkennen (zum Teil auf ein und demselben Grabstein). Bei Besuchen des Friedhofes durch Schülergruppen im Rahmen der politischen Bildungsarbeit des Volksbundes bildet dieser Umstand eine interessante Gesprächsgrundlage. Berührt werden dabei beispielsweise die Frage der Notwendigkeit einer Kennzeichnung der Truppenzugehörigkeit als auch die des ewigen Ruherechts, das laut Gräbergesetz allen im Zweiten Weltkrieg „während ihres militärischen oder militärähnlichen Dienstes“ ums Leben Gekommenen zusteht.
Auf der vom Volksbund unterhaltenen Kriegsgräberstätte Costermano in Norditalien wird darauf hingewiesen, dass sich unter den dort bestatteten deutschen Soldaten auch Kriegsverbrecher und Täter des Holocaust befinden. Der Aufarbeitung war jedoch ein jahrzehntelanger Streit um den Umgang mit diesen Toten vorausgegangen. Ausgelöst wurde dieser im Jahr 1988 durch die Weigerung des deutschen Generalkonsuls in Mailand, Manfred Steinkühler, an der jährlich in Costermano durchgeführten Veranstaltung zum Volkstrauertag teilzunehmen. Steinkühler hatte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, an einem Ort der Toten zu gedenken, an dem neben vielen anderen auch der ehemalige SS-Hauptsturmführer Christian Wirth beerdigt wurde. Bei ihm handelte es sich um einen der Organisatoren des Massenmordes an behinderten Menschen im Dritten Reich. Im Zweiten Weltkrieg war Wirth außerdem mitverantwortlich für die Ermordung Hunderttausender Juden, Sinti und Roma.
Neben Informationen zu diesem Täterschicksal konnten in den neunziger Jahren auch neue Erkenntnisse zur Komplexität der Kampfhandlungen in Italien gewonnen werden. Drei zwischen 1943 und 1945 parallel ausgetragene Konflikte spiegeln sich ebenfalls in Costermano wider. Sowohl Kämpfen mit alliierten Truppen als auch Gefechten mit Untergrundkämpfern fielen zahlreiche Angehörige von Wehrmacht und SS zum Opfer. Außerdem führten Auseinandersetzungen zwischen italienischen Faschisten und ihren Gegnern zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Deutsche Soldaten machten in dieser Situation oft keinerlei Unterschied mehr zwischen Zivilisten und Partisanen und führten in einigen Landesteilen einen regelrechten Krieg gegen die italienische Bevölkerung.
Diese Umstände bewogen den Wissenschaftlichen Beirat des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt zwei Informationstafeln zu erstellen. Seit 2006 erläutern sie im Eingangsbereich des Friedhofes den historischen Hintergrund der Kriegsgräberstätte. Zu den Toten heißt es:
„Es ist nicht auszuschließen, das unter den 22.000 hier begrabenen Soldaten auch solche sind, die an Kriegsverbrechen in Italien beteiligt waren. Gegenwärtig weiß man jedoch, daß einige SS-Funktionäre, die hier begraben liegen, aktiv und verantwortlich an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung im besetzten Polen und in Italien mitgewirkt haben - allen voran Christian Wirth als Inspekteur der Vernichtungslager. Diese Männer waren abkommandiert worden, um die Verfolgung von Juden und Partisanen im Nordosten Italiens und in Istrien in die Wege zu leiten.
Die hier liegenden Toten mahnen uns zu Frieden und Versöhnung. Auch die Schuldigen, die hier begraben sind, mögen ihre letzte Ruhe finden, obwohl sie unaussprechliches Leid über viele Menschen und ihre Familien gebracht haben. Ihre Verbrechen sind uns jedoch zugleich Aufforderung, aus der Geschichte zu lernen und auch unter schwierigen Umständen stets für die Achtung der Menschenrechte und -würde einzutreten.“
Vier SS-Männer, die auf der Kriegsgräberstätte im belgischen Lommel beerdigt wurden, stehen für eine gänzlich andere Gruppe von Kriegstoten. Die vier Soldaten waren Rekruten der 1. SS-Panzerdivision „Leibstandarte Adolf Hitler“ im Alter von 17 bis 18 Jahren. Sie wurden an Pfingsten 1944 durch ein Standgericht wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ihre während des Garnisonsdienstes im besetzten Belgien begangenen Vergehen - Entfernung von der Truppe und Lebensmitteldiebstahl - waren geringfügig. Verantwortlich für die unverhältnismäßige Verhängung der Todesstrafe war ihr Vorgesetzter, der hochdekorierte SS-Offizier Joachim Peiper, der durch das drakonische Urteil anderen ein warnendes Beispiel geben wollte. In den vorangegangenen Jahren war Peiper an Kriegsverbrechen und am Holocaust in der Sowjetunion und Italien beteiligt. Nach dem Krieg wurde er für das Ende 1944 an amerikanischen Kriegsgefangenen begangene Malmedy – Massaker zunächst zum Tode, später zu lebenslanger Haft verurteilt, aus der er 1956 entlassen wurde. Im gleichen Jahr wurden gegen ihn Ermittlungen wegen der vier in Belgien verhängten Todesurteile angestrengt, die jedoch ergebnislos blieben.
Diese Biographien zeigen, wie die kompromisslose Härte, die von SS-Offizieren verlangt wurde, sich auch gegen die eigenen Untergebenen richtete und bis hin zu Mord reichte. Zugleich wird an diesen Fällen deutlich, wie Deutsche und SS-Angehörige sowohl Täter als auch Opfer sein konnten. Ein Vergleich zwischen den „politischen Soldaten“ der Waffen-SS und aus rassischen oder anderen Gründen von den Nationalsozialisten verfolgten Menschen verbietet sich dabei jedoch.
In Lommel befindet sich heute neben einem Friedhof für über 39 000 deutsche Gefallene des Ersten und Zweiten Weltkrieges eine Jugendbegegnungsstätte des Volksbundes. Hier betreuen pädagogisch geschulte Mitarbeiter_innen internationale Jugendbegegnungen und bieten Projekte zur Bildungsarbeit und Friedenserziehung an. Dazu gehört auch die Erläuterung von Einzelschicksalen, durch die eine Annäherung an historische Ereignisse vermittelt werden kann.
Der Stand der historischen Forschung ermöglicht heute eine differenziertere Betrachtung als in den 1980er und 1990er Jahren. Zudem werden Kriegsgräberstätten inzwischen noch umfassender in die politische Bildung von Schülern und Jugendlichen eingebunden. Auf diese Weise ist es in vielen Fällen möglich, zwischen echten und vermeintlichen Verbrechern zu unterscheiden und diesen Umstand klar zu benennen. Lebensgeschichtliche Beispiele können uns heute helfen, die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges besser zu verstehen: Aus einzelnen Biographien wird deutlich, daß die pauschale Verurteilung aller Waffen-SS – Angehörigen als Täter ebenso zu kurz greift wie die vermeintlich unpolitische, unterschiedslose Betrachtung aller Kriegstoten als Opfer. Als Hintergrund der Soldatenfriedhöfe muss dabei der Nationalsozialismus erläutert werden: Eine Weltanschauung, die Krieg und Rassismus propagierte, brachte die Opfer in Situationen, in denen sie Tatbeteiligte wurden.
Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft vom 1. Juli 1965 (BGBl I 1965), § 1 Abs. 2
Informationen zu Costermano und Lommel
Westemeier, Jens: Himmlers Krieger: Joachim Peiper und die Waffen-SS in Krieg und Nachkriegszeit. Paderborn u.a.: Schöningh, 2014.