Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Jeden Tag bringen neue Nachrichtensendungen entsetzliche Bilder in unsere Wohnzimmer. Krieg, Gewalt und Verletzungen der Menschenrechte, wir können unsere Augen nicht davor verschließen, fühlen uns aber oft machtlos. Es sieht so aus, als sei es einfacher, einen Konflikt mit Waffen auszutragen, statt eine friedlichere Lösung zu finden. Und doch wollen die Menschen Frieden.
Wir sollten den folgenden Generationen aber Hoffnung und Verständnis weitergeben. Und es gibt meiner Meinung nach keine bessere Erklärung dazu, als die von Pfarrer E.H. Wolfgang Severin in seiner Rede beim Volkstrauertag 2014 in Lommel:
„Die Krisen von Heute geben sich sozusagen die Klinke in die Hand. Man mag sie gar nicht mehr alle benennen, weil sie in den Medien so gegenwärtig waren und teilweise von verstörendem Ausmaß.
Schnell waren sich viele einig und schrieben über mögliche Parallelen der beiden Krisenjahre 1914 und 2014. Die Geschichte schien ein Rendezvous mit sich selbst zu haben. Viele schienen der Idee anzuhängen, dass sich Geschichte wiederholen könnte.
Anlass genug also, sich darüber Gedanken zu machen: Wiederholt sich Geschichte also? Könnte es sein, dass es Mechanismen gibt, die immer wieder in Gang gesetzt werden und zu nahezu ähnlichen Ereignissen führen?
Nein, die Geschichte wiederholt sich nicht, aber die Menschen, die ja die Gestalter der Geschichte sind, diese hängen an Verhaltensmustern, die sich immer wiederholen.
Wenn wir uns wiederholen, wiederholt sich die Geschichte, wenn wir uns verändern, verändern wir die Geschichte. So einfach- und doch so schwer. Aber eben auch der einzige Weg. (...) Wir haben die Geschichte in der Hand, nicht die Geschichte uns.“
Wenn wir also die Geschichte in der Hand haben, dann können wir auch dafür sorgen, dass wir alle aus der Geschichte lernen. Und das ist eine der vielen Aufgaben des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge.
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ist eine humanitäre Organisation. Er widmet sich im Auftrag der Bundesregierung der Aufgabe, die Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland zu erfassen, zu erhalten und zu pflegen.
Der Volksbund hält zahlreiche Angebote bereit, um adäquat über die Kriegsgräberstätten und die damit verbundenen Themen und Fragestellungen zu informieren.
Seit 1953 führt der Volksbund internationale Jugendbegegnungen und Workcamps unter dem Motto "Versöhnung über den Gräbern - Arbeit für den Frieden" in ganz Europa durch.
Die Bildungsreferent/innen in den Landesverbänden arbeiten mit Schulen und Hochschulen zusammen und führen Projekte auf Kriegsgräberstätten im In- und Ausland durch.
In den vier Jugendbegegnungs- und Bildungsstätten des Volksbundes in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Deutschland finden junge Menschen, aber auch Gruppen der Erwachsenenbildung optimale Rahmenbedingungen für friedenspädagogische Projekte auf den dortigen Kriegsgräberstätten vor. Rund 20 000 Jugendliche und junge Erwachsene nutzen jährlich diese Angebote.
Wenn man an deutsche Kriegsgräber in Belgien denkt, kommen einem sofort die zahlreichen Militärfriedhöfe mit gefallenen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg in Westflandern und Wallonien in den Sinn. Aber auch in der Region Limburg sind neben belgischen, britischen und polnischen auch deutsche Kriegsgräberstätten zu finden. Und zwar im Kattenbos, dem Katzenwald: Genau 39.108 Kriegsgräber vor allem aus dem Zweiten Weltkrieg sind dort zu finden. Das macht den Friedhof in Lommel nicht nur in Bezug auf Fläche, etwa 16 Hektar, sondern auch im Hinblick auf die Zahl der Opfer zum größten seiner Art in Westeuropa.
Der Militärfriedhof Lommel spiegelt einen großen Teil des Krieges in Belgien, aber auch in ganz Westeuropa wieder. Genauso unterschiedlich wie deren militärischer Werdegang ist auch der persönliche und familiäre Hintergrund der Toten. So sind in Lommel auch Schwestern des Roten Kreuzes begraben. Besonders wegen des am Ende des Krieges gestarteten sogenannten Volkssturms, in dem die letzten kampftauglichen Männer rekrutiert wurden, finden wir hier viele gefallene Senioren und Jugendliche sowie Freiwillige aus ganz Europa wieder.
Der Tod kennt keine Unterschiede zwischen Mann und Frau, Kind oder Erwachsenem, einfachem Soldaten oder General. Erhard Weidner, Gefreiter, starb an dem Tag, an dem er 19 wurde. Helmut Zimmermann, Panzer-Jäger, war mit seinen fünfzehn Jahren noch ein Kind als er fiel. Wilhelmine Walther versuchte als Krankenschwester Menschenleben zu retten und fand dabei selbst den Tod. Sie wurde kaum 22. Die langen Reihen von Kreuzen formen ein Meer aus Toten. Von den tausenden Toten auf der deutschen Kriegsgräberstätte in Lommel geht ein eindringlicher Ruf nach Frieden aus.
Das Haus „Über Grenzen Hinweg“ ist eine Gruppenunterkunft und ein Begegnungszentrum für Touristen und Schulklassen. Dieses Haus der Erinnerung wird vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge geleitet und liegt direkt am deutschen Militärfriedhof Lommel. Über die Friedhofspflege hinaus hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge diese Häuser mit dem Ziel eingerichtet, jüngeren Generationen sowohl den zweiten Weltkrieg, als auch die Lehren, die wir aus ihm ziehen können, näher zu bringen.
In diesem Rahmen werden in Lommel sowohl für belgische als auch ausländische Schul- und Jugendgruppen sinnvolle Projekte, Workshops und internationale Begegnungen im Zeichen von Frieden und Erinnerung organisiert und angeboten. Die Gruppen können nur einen Tag, aber auch mehrere Tage mit Überachtung im Haus bleiben.
Grundstein der Bildungsarbeit im Haus „Über Grenzen Hinweg“ ist der historische Hintergrund des Friedhofs und die persönlichen Geschichten der Menschen, die hier begraben sind. Dadurch will das Haus „Über Grenzen Hinweg“ den Gefallenen einen Platz in der Aufklärung kommender Generationen über den zweiten Weltkrieg geben.
Darüber hinaus verwendet das „Haus über Grenzen Hinweg“ das Vergangene als Bildungsobjekt für aktuelle Konflikte. Durch die Erinnerung und die Weiterbildung im Namen des Friedens werden Jung und Alt die Folgen von extremen Ideologien wie des Nationalsozialismus für die Gesellschaft dargestellt. Schließlich ist der deutsche Soldatenfriedhof der perfekte Ort, um die Folgen und Ursachen von Krieg zu zeigen.
Um die Schüler/innen vor dem Besuch ausreichend über den Friedhof zu informieren, können Lehrer/innen eine von uns entwickelte Unterrichtsmappe erhalten.
Diese pädagogische Unterrichtsmappe bietet eine gute Vorbereitung für den Besuch des Friedhofs. Inhalte sind Themen wie die Entstehung und Aufrechterhaltung autoritärer Systeme innerhalb der Gesellschaft sowie das Entwickeln einer kritischen Ansicht, sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Gegenwart. Alles in allem wird der Soldatenfriedhof Lommel zu einem politisch neutralen und bildungsorientierten Standort zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg.
Zudem bietet die Unterrichtsmappe Lehrer/innen Zugang zu Kenntnissen und Quellen, die im Unterricht weiter verwendet werden können. Natürlich kann das Material selbst individuell angepasst werden. So kann auf dieser Basis eine eigene Unterrichtsstunde erstellt werden. Von den Schüler/innen werden jedoch gewisse Vorkenntnisse über den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg erwartet. Ab dem kommendem Schuljahr wird die Unterrichtsmappe auch auf Deutsch verfügbar sein.
Wenn die Student/innen und Jugendlichen nach Lommel fahren, bieten wir verschiedene interessante Programme mit pädagogischen Ansätzen, die entweder im Vorhinein individuelle zusammengestellt werden oder indem man ein vorgegebenes Wochenangebot bucht.
Wir möchten den Jugendlichen die einmalige Chance geben, sich mit einigen Themen näher zu beschäftigen, auch aus besonderen Blickwinkeln, wie zum Beispiel durch die Arbeit mit den Einzelschicksalen einiger deutscher Soldaten. So erhalten die Schüler/innen eine bessere Einsicht in die psychologische Struktur einer Person der damaligen Zeit. Das Arbeiten mit Augenzeugenberichten, Feldpostbriefen und anderen authentischen Materialien schafft häufig eine neue Dimension des Lernens. Der Inhalt dieser Dokumente ist oft subjektiv, und somit auch ein guter Einstieg für Diskussionen.
Einige Module möchte ich ausführlicher vorstellen.
Der Workshop wird für alle Unterrichtsniveaus der Sekundarschule und Gymnasien in den drei Sprachen Deutsch, Niederländisch und Englisch angeboten.
In diesem Workshop stehen sechs Lebensgeschichten von deutschen Soldaten, die in Lommel begraben liegen, im Mittelpunkt. Wer waren diese Menschen und wie erlebten sie den Krieg? Was waren ihre Handlungen und Gedanken während der Kriegszeit? Wie beeinflussen sie unsere Bildformung über den deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs und unsere Sicht bezüglich Soldaten in aktuellen Konflikten?
Die Schüler/innen bekommen in Gruppen von ungefähr sechs Personen eine Lebensgeschichte übergeben, die aus Feldpostbriefen, Fotos und anderen Dokumenten über eine bestimmte Person besteht. Jede Gruppe wird noch einmal in drei Arbeitsgruppen aufgeteilt. Jede Arbeitsgruppe hat eine andere Aufgabe mit Bezug auf die Geschichte ihrer Person. In der einen Arbeitsgruppe werden die Schüler/innen auf Basis von Feldpostbriefen und anderen Dokumenten einen Zeitstrahl von dem Leben einer Person erstellen und versetzen sich in bestimmte Situationen hinein, die ihre Person während des Krieges mitmachte. Einen zweite Arbeitsgruppe wird einen fiktiven Brief an die Familie ihrer Person schreiben, worin sie über den Tod des geliebten Sohnes, Bruders usw. berichten. Wie geht man an so eine Aufgabe heran und was schreibt man (nicht)? Die Schüler/innen schreiben auch über ihre Sicht von der Rolle ihrer Person im Krieg. Waren sie Täter/in, Opfer oder beides?
Und bei der dritten Arbeitsgruppe werden die Schüler/innen den Friedhof mittels einer Atmosphärenreportage auf originelle Weise ins Bild setzen. Sie denken anhand von Bildern des Krieges darüber nach, wie mit deutschen Militärfriedhöfen in Belgien umgegangen und wie den deutschen Soldaten gedacht werden sollte.
Auf diese Weise regt dieser Workshop nicht nur verschiedene Kompetenzen an und verfolgt unterschiedliche Zielstellungen, sondern er ermöglicht den Schüler/innen auch, auf Basis ihres eigenen Interesses einen Arbeitsauftrag auszuwählen, der ihnen liegt. Letztendlich fällt das Resultat einer bestimmten Lebensgeschichte dann auch sehr unterschiedlich aus und die Schüler/innen lernen etwas voneinander.
Die Arbeitsgruppen präsentieren die Aufgaben über ihre Person dann den anderen Gruppen. Dies geschieht auf dem Militärfriedhof bei dem Grab der jeweiligen Person.
Es gibt einen älteren Herren und einen jungen Mann, die den Jugendlichen gerne ihre Lebensgeschichten erzählen. Verschiedene Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und auch die Erfahrung eines Kindes aus dem Krieg im Sudan werden ausführlich erzählt und besprochen.
Samuel Andriesse ist einer unserer Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges. Er wurde am 28. Juni 1942 in Eindhoven (NL) geboren. Seine jüdischen Eltern beschliessen, den kleinen Samuel zu seinem Schutz zu einer Gastfamilie zu geben und selbst unterzutauchen. Nach mehreren Stationen wird er in der Stadt Helmond (NL) von der Familie Verhees aufgenommen. Um seinen jüdischen Vornamen Samuel zu vertuschen wird er von da an Mieltje genannt. Diesen Kosenamen behielt er bis heute bei. Seine Tarnung bleibt unentdeckt und er überlebt den Holocaust . Seine Eltern jedoch haben weniger Glück. Die Adresse ihres Versteckes wurde verraten und sie wurden nach Auschwitz deportiert und dort am 31. Januar 1944 ermordet.
Währenddessen durchlebt Miel eine sorgenlose Zeit und wird liebevoll aufgezogen durch die Familie Verhees, bis seine Großmutter ihn wiederfindet. Diese nimmt ihn gegen seinen Willen mit zu seiner Tante, die der Überzegung ist, dass er streng im jüdischen Glauben erzogen werden muss. 1962 emigriert Miel mit seinen neuen Pflegeeltern nach Israel, wo er bis 1979 wohnt.
Miel durchläuft dort eine Ausbildung in einer Hotelschule. Bis zur Rente arbeitet er in diesem Sektor. Der Kontakt zu der Familie, bei der er damals untergetaucht ist, besteht bis heute.
Dass der Krieg niemanden loslässt, findet Miel noch immer: “Dat oorlog niemand loslaat, ondervindt Miel nog steeds.” “In meinem Leben gab es viele schlimme Zeiten, die nicht hätten da sein müssen und die ich nie wieder vergessen werde”.
Bei all diesen Modulen steht die Kraft der Einzelschicksale im Mittelpunkt. Nicht nur die Einzelschicksale von deutschen Soldaten, oder die Einzelschicksale unserer Zeitzeugen, sondern auch die Einzelschicksale der Teilnehmer/innen.
Das erste Mal wenn man Jemanden sieht, entsteht direkt ein erster Eindruck. Von diesem sollte man sich allerdings nicht täuschen lassen, denn er kann auch falsch sein.
Bei einem Austauschprojekt, bei dem sich Jugendliche aus verschiedenen Ländern hier auf dem Friedhof treffen, geht es vor allem darum, sich gegenseitig kennenzulernen. Nur wenn die Jugendlichen ihre Geschichte und ihre Erfahrungen teilen, können sie andere Kulturen kennenlernen. Es entsteht Verständnis für die anderen. Die eigene persönliche Identität wird deutlicher. Und der Sinn des Lebens eröffnet sich. Mit dem Teilen von Lebensgeschichten werden die einzelnen Geschichten miteinander verknüpft, es entsteht ein Gesamtbild und Verbundenheit. Und das ist genau das, was wir im Haus „Über Grenzen Hinweg“ mit den Menschen erreichen wollen. Jugendliche lernen aus der Geschichte, um gemeinsam an Friedensprojekten zu arbeiten.
Das Verwenden von Lebensgeschichten hat verschiedene Ziele: das Unterstützen der persönlichen Identität, die Suche nach neuen Zielen im Leben, das Finden von Balance im eigenen Leben und die Integration anderer Lebensgeschichten und Erfahrungen in das eigene Leben.
Darum ist es auch so wichtig, dass Jugendliche sich einander in internationalem Umfeld treffen.
Wir hatten schon mehrere internationale Jugendbegegnungen und bieten interessante Module für diese Gruppen, aber am meisten lernen die Jugendlichen voneinander und den anderen Kulturen beim Lagerfeuer, wo auch gerade die eigenen Einzelschicksale besprochen werden.