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Die Jugendherberge auf dem Ettersberg und das pädagogische Angebot der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“
Die Entstehung der „Jugendbegegnungsstätte“ (JBS) datiert auf die frühen 1990er Jahre. Bis zur politischen Wende 1989/90 bot an ihrer Stelle eine Jugendherberge (JH) Übernachtungs- und Verpflegungsdienste für Gruppen, die mehrheitlich im Rahmen der „Jugendstunden“ bzw. auf „Jugendweihereise“ zur Vorbereitung auf die Jugendweihe für zwei, drei Tage Quartier nahmen. Den anderen bedeutenden Teil der JH-Gäste stellten Gruppen bzw. Delegationen aus Mittel- oder Osteuropa, vor allem aus Polen, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei.
Das inhaltliche Angebot der Pädagogischen Abteilung der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“ (NMGB) für die meist unvorbereiteten Achtklässler auf Jugendweihe-Fahrt umfasste einen halbstündigen Film und eine 90minütige Führung, die mittels Fokussierung auf den „antifaschistischen Widerstand“ im KZ Buchenwald und die Gräueltaten der „SS-Schergen“ die Verordnung eines eindeutigen Geschichtsbilds und die Beförderung „sozialistischer Persönlichkeitsentwicklung“ beabsichtigten.
Das auf das Konzentrationslager Buchenwald bezogene Programm während eines zwei- bis dreitägigen Aufenthalts in der JH dauerte also in aller Regel wenig mehr als zwei Stunden, nach der Führung schloss beispielsweise kein Nachgespräch an. In der restlichen Zeit wurden die jugendlichen Gäste mit anderen Programmpunkten beschäftigt, beispielsweise mit Wanderungen über den Ettersberg, mit der Besichtigung von Goethes Gartenhaus, mit dem Besuch einer Aufführung im „Deutschen Nationaltheater“ in Weimar, mit einem Ausflug nach Jena ins Planetarium etc. Trotzdem lag häufig „bleiernde Schwere“ auf dem Aufenthalt in der JH. Sie befand sich in ehemaligen SS-Unterkünften und die jungen Gäste wurden nicht nur bei aufkommender Fröhlichkeit in vielen Fällen dazu ermahnt, nicht zu vergessen, wo sie sich befänden.
Obwohl das Buchenwald-Programm eher kurz ausfiel, hinterließ es bei vielen Jugendlichen tiefe, überwiegend auf das Emotionale beschränkte Spuren. Als Sinnbilder und Repräsentanten des „Schreckens“ lassen sich u.a. nennen der vorgeblich aus Menschenhaut gemachte Lampenschirm, das durchstochene Herz (vom Schwein, Anm. d. Verf.), die sogenannten Schrumpfköpfe – alles Ausstellungsstücke im Museum der NMGB – und, als personifiziertes Böses, Ilse Koch, die „Hexe von Buchenwald“. Als glanzvolle Gegenstücke der Buchenwald-Darstellung zur DDR-Zeit sind beispielhaft aufzuzählen die Rettung des „Buchenwaldkindes“, die Geschehnisse nach der Ermordung Thälmanns sowie die Befreiung Buchenwalds durch die „antifaschistischen Widerstandsgruppen“ ohne Hilfe von außen. Die provozierten emotionalen Erfahrungen werden von Betroffenen oft als extrem beschrieben und wirken zum Teil bis heute in der Form nach, dass diese Personen mit dem Ort und dem Thema „Buchenwald“ vielfach Widerwillen und Ekel verbinden und damit möglichst nicht noch einmal in Berührung kommen mögen.
Diese Form der Arbeit an/ mit dem historischen Ort und der manipulativen Einflussnahme auf (junge) Menschen erwies sich spätestens im Wendeherbst 1989 und Anfang 1990 auf der einen Seite als entlarvt, wirkungslos oder verabscheut, mindestens als völlig delegitimiert. Die JH wurde rasch „abgewickelt“, da nur noch wenige Gruppen kommen konnten oder wollten. Auf der anderen Seite waren die Pädagoginnen und Pädagogen der Gedenkstätte nach wie vor überzeugt, dass man anhand der Geschichte Buchenwalds wichtige Einsichten vermitteln könne und solle. Es bedurfte allerdings der Definition neuer Ziele, der Aufbereitung breit gestellter Inhalte und der Entwicklung von adäquaten Methoden.
Die Vermittlungsinhalte wurden eng an die überkommenen Dokumente, Objekte, die baulichen Reste usw., also an die „unbestechlichen“ Sachbeweise für die Verbrechen angelehnt bzw. diesen entnommen. Der methodische Neubeginn bestand u.a. darin, den Teilnehmenden von länger als 90 Minuten dauernden Veranstaltungsformaten eine Auseinandersetzung mit diesen Sachbeweisen und mit den Biografien und Erinnerungsberichten (einer Vielzahl) von Verfolgten und/ oder Ermordeten zu ermöglichen. Ausgedrückt im damaligen Verständnis ging es den Pädagoginnen und Pädagogen darum, am historischen Ort eine unmittelbare, quasi unverfälschte „Begegnung“ mit Zeugnissen und „Zeugen der Vergangenheit“ zu organisieren. Wenn 1990 der Begriff „Begegnung“ auch und vor allem auf die eben beschriebene Weise mit Bedeutung angereichert wurde, dann spiegelte diese Begriffsdefinition den Anspruch wider, pädagogische Arbeit in der Gedenkstätte Buchenwald an demokratischen Werten und Grundsätzen auszurichten und künftig im Sinne von historisch-politischer Bildung weiterzuführen bei der Namensgebung „Jugendbegegnungsstätte“ und bei deren grundlegender Ausrichtung.
Der „Mehrwert“ von „Begegnungen“ dieser Art liegt in den vielfältigen und oft einzigartigen Möglichkeiten und Bezüge, die ein historischer Ort wie Buchenwald mit seiner Fülle an originalen Sachzeugnissen, an Resten und Spuren sowie an Vermittlungsformen bietet. Nicht zuletzt schreiben viele Teilnehmende an den angebotenen Bildungsformaten dem historischen Ort eine immense Bedeutung zu. So wird regelmäßig beschrieben, dass der ehemalige Schauplatz der Verbrechen eine quasi katalytische Wirkung auf das Vorstellungs-, Empfindungs-, und Reflexionsvermögen entfalte. Ob diese Zuschreibung als stichhaltig gelten kann oder nicht: Das Potential lässt sich nutzen.
Zusätzlich zu dem Zusammentreffen von „Zeitzeugen“ bzw. „Zeitzeugnissen“ und den (jungen) Gästen sollten in der JBS Begegnungen auf der zwischenmenschlichen Ebene stattfinden, so der Plan der Gründer/innen. Gedacht war zuerst an deutsch-deutsche Programme, die zum Beispiel für thüringische und hessische Schüler/innen organisiert und von den jeweiligen Landeszentralen für politische Bildung gefördert wurden. Diese „innerdeutschen“ Programme spielten lediglich für einige Jahre eine Rolle und wurden zunehmend ersetzt durch internationale Begegnungen, unter anderem deutsch-französische, deutsch-polnische oder trilaterale Programme in unterschiedlicher Konstellation.
Seit 1990 etablierten sich an der JBS außerdem international besetzte Sommercamps („Workcamps“) in Kooperation mit „Service Civil International“ (SCI). Die Sommercamp-Programme mit dem gemeinsamen Lernen, Arbeiten und Leben am historischen Ort stellten wie die JBS zwar etwas Neues und ein endlich willkommenes Experimentierfeld dar. Aber ebenso wie die JBS besaßen die Camps Vorläufer. Denn bereits seit den späten 1970er Jahren hatte „Aktion Sühnezeichen“ (ASZ) versucht, in und mit der NMGB Sommerlager durchzuführen. ASZ musste für die Übernachtung und Verpflegung der Camp-Teilnehmer/innen aus der Tschechoslowakei, Polen und der DDR in die Umgebung Buchenwalds ausweichen; zumindest die Arbeitseinsätze konnten teils auf dem Gelände der Gedenkstätte stattfinden. Da mit dem Ende der DDR die Vorbehalte und Restriktionen entfielen, konnte „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.“ (ASF) mit dem Sommercamp des Jahres 1991 auf die Räumlichkeiten und Dienste der JBS und der Gedenkstätte zurückgreifen. Als dritter Projektpartner führt die „Vereinigung Junger Freiwilliger“ (VJF) seit etwa 20 Jahren regelmäßig Sommercamps in der JBS durch.
Die Frage nach dem „Mehrwert“ einer solchermaßen verstandenen Begegnung, also das Zusammentreffen von Menschen z.B. in ähnlichem Alter, aber mit beispielsweise unterschiedlicher nationaler Herkunft kann im Grunde allein dadurch beantwortet werden, dass diese Menschen „aus der ganzen Welt“ an den Sommercamps oder den bi- bzw. trilateralen Programmen teilnehmen wollen. Sie entscheiden bewusst, sich diesem Ort fast eine bzw. zwei Wochen zu widmen. Die Teilnehmenden möchten dort zusammen mit anderen Menschen leben und arbeiten, die Geschichte(n) Buchenwalds erfahren und in gewisser Weise dadurch angeregt auch eigene Geschichte(n) erzählen. Sie richten an die Vergangenheit (des Ortes) Fragen, ebenso an die geteilte Gegenwart und Zukunft, denken gemeinsam über mögliche Antworten nach und diskutieren diese friedlich miteinander.
Die Möglichkeiten indessen, wie man sich als Teilnehmer/in einer Bildungsveranstaltung den Geschichten Buchenwalds annähern, wie man sich dann mit diesen Geschichten auseinandersetzen und wie man schließlich mit anderen darüber in Austausch kommen kann, haben sich seit den 1990er Jahren stark ausdifferenziert. Das beginnt beim angeleiteten oder eigenständigen Sehen/ Entdecken des historischen Geländes, im zweiten Fall mit oder ohne unterstützende Materialien oder Audio-Guide. Man musste bzw. konnte sich, entweder auf sich gestellt oder mit Hilfe thematischer Blätter, in der zwischenzeitlich geschlossenen Dauerausstellung über das Konzentrationslager einen bestimmten historischen Sachzusammenhang anhand der Ausstellungsobjekte selbst erschließen.
Zur intensiven Auseinandersetzung mit Buchenwald-Geschichte(n) kann die Arbeit mit Fotografien oder Fundstücken aus der Lagerzeit dienen oder genau wie die unzähligen biografischen Materialien über nach Buchenwald oder in seine Außenlager verbrachte Frauen und Männern. Eine Art kommentiertes Fotoalbum über Künstler wie Henry Piek folgt ebenfalls dem biografischen Ansatz. Erläuternde Materialien zu einzelnen von seinen im Lager geschaffenen Werken eröffnen einen Weg zur vertiefenden Beschäftigung mit dem Werk selbst (Thema, künstlerische Mittel usw.) und mit weiteren, sehr spannenden Aspekten wie den Entstehungsvoraussetzungen und -bedingungen von Pieks Arbeiten; oder zu Aspekten wie der Übergabe eines der Werke Pieks an die Gedenkstätte durch Familienangehörige eines damaligen SS-Arztes.
Die Aufzählung ließe sich umfangreich fortsetzen; dies auch und gerade, wenn das Erkenntnisinteresse bzw. der Wille zur Auseinandersetzung der Teilnehmenden in Richtung der SS, der (ansässigen) Bevölkerung bzw. der Beziehung zwischen dem Lager und der Stadt Weimar zielt, sich auf die Zeit des Sowjetischen Speziallagers Nr. 2 oder die der „Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“ bezieht.