»Strengt euch doch bitte an, damit ihr es euch vorstellen könnt, was das ist: Emigration […]. Immer in Angst, den Kontakt zu dem Lande zu verlieren, dessen Sprache wir reden und an dessen Kultur wir erzogen sind; leidend an dem, was in der verlorenen Heimat täglich an Unsäglichem geschieht; zitternd vor der Gefahr, die diese entwürdigte und verwirrte Nation für ganz Europa bedeutet […].« (S. 5) Die Lebensgeschichte von Klaus Mann, 1906 vor Golo Mann geborener älterer Sohn von Thomas Mann, ist tief geprägt von den Erfahrungen des Exils: Klaus Mann – Theaterkritiker, Romanautor, seit 1933 Exilant in Amsterdam, später in den USA, entschied sich 1942 mit der US-Army gegen NS-Deutschland zu kämpfen und war daraufhin in Nordafrika und Italien vorwiegend mit der psychologischen Kriegsführung beschäftigt. Am 20. März 1945 schrieb er im befreiten Rom: »Bitter ist die Verbannung. Bitterer noch die Heimkehr.« Manns Leben war seit dem Exil zunehmend geprägt durch Drogensucht, die Furcht, nicht mehr schreiben zu können, Todessehnsucht und Depression. 1949 schließlich starb er an einer Überdosis.
Für Klaus Manns Werk »Flucht in den Norden«, das als erster aus der NS-Verfolgung resultierender Exilroman überhaupt gilt, legt die Berliner Deutsch-Lehrerin Anneliese Reinecke mit dem von ihr konzeptionierten Heft 2/2008 der Reihe »Deutsch betrifft uns« äußerst klar vorstrukturierte Unterrichtsmaterialien vor. Der Roman handelt von der aus bürgerlichem Haus stammenden und mit dem Kommunismus sympathisierenden Johanna, die vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten nach Finnland flieht. Dort angekommen verliebt sie sich in den Gutsbesitzer Ragnar, den Bruder ihrer Freundin Karin. Deren Liebe in der Landschaft Finnlands währt jedoch nur kurz: Ihr Freund Bruno wird in Deutschland auf der Flucht erschossen. Ihre nach Paris geflüchteten Genossen fordern Joanna auf, am dortigen Widerstandskampf gegen den NS teilzunehmen. Johannas Dilemma ist die Entscheidung zwischen Liebe und Politik, zwischen individuellem Glück und höherer Verantwortung. „In allem, was Klaus Mann geschrieben hat, fällt auf, wie stark von früher Jugend an sein Bedürfnis war, Bekenntnisse und Geständnisse abzulegen, wie sehr er sich immer wieder zur Selbstbeobachtung, Selbstanalyse und Selbstdarstellung gedrängt fühlte. […] Fast alle seine Romane und Novellen enthalten deutliche und in der Regel nur flüchtig getarnte Beiträge zu seinen Autoporträts. […] er hatte offenbar nie Hemmungen, seine eigenen Sorgen und Komplexe ganz ohne Umschweife in die Figuren seiner Helden zu projizieren“, urteilte Marcel Reich-Ranicki über Klaus Manns autobiografische Schreibweise. Auch »Flucht in den Norden« ist beispielsweise als stille Hommage an die finnische Landschaft, die er zusammen mit seiner Schwester Erika 1932 besuchte, zu verstehen. So ist es auch das erklärte Ziel des Materials, das Interesse der Schüler/innen auf diese Verquickung von Roman und Leben Klaus Manns lenken.
Das Heft enthält zunächst sich über 16 Seiten erstreckende und aus diversen zitierten Quellen sowie zwei Overhead-Folien bestehende Materialien für den Deutschunterricht für die Jahrgangsstufen der gymnasialen Oberstufe. Leitfragen und Arbeitsaufträge runden die meisten Materialien ab. Bevor es in die konkrete Arbeit mit dem Roman geht, thematisiert das Material Fragen danach, wie der Begriff ›Flucht‹ zu verstehen ist, wie die Lebensbedingungen der Emigrant/innen oder die Einstellungen gegenüber den Exilant/innen aussahen, oder auch wie Manns Selbstverständnis als Schriftsteller aussah. Anschließend werden die Reaktionen auf den Roman zum Gegenstand. Die Schüler/innen sind mehrmalig aufgefordert, notizartig Ergebnisse aus einem bestimmten Romanabschnitt beispielsweise zur Bedeutung des Reisens oder zu den Ansichten über Deutschland zweier Romanprotagonist/innen – Ragnar und Johanna – in vorgefertigten Arbeitsbögen wiederzugeben. Zu diesen klassischen Textanalyse und Interpretationsansätzen gehört auch die Aufforderung zum Vergleich zwischen Tagebucheinträgen Klaus Manns zu den im Roman wiedergegebenen Reiseerlebnissen, -stationen und -zielen. Dazu kommen Motivdeutungen sowie das Destillieren von Klaus Manns Vorstellungen von Liebe und Einsamkeit, seiner Einstellung zu Sterben und Tod. Einen Teil dieser auf den Roman und seine Kontextualisierung bezogenen, jedoch nicht mit Ausschnittvorgaben aus diesem arbeitenden Materialquellen hat die Herausgeberin des Hefts selbst verfasst, andere stammen aus anderen Werken, Reden oder Briefen von Mann selbst, sind Ausschnitte aus der Sekundärliteratur zu Klaus Mann oder auch von einigen seiner Zeitgenossen wie Lion Feuchtwanger.
Ein ausführlicher Unterrichtsverlauf zur Bearbeitung des Romans findet sich auf den letzten 12 Seiten des Hefts. Unter denselben inhaltlichen Schwerpunktsetzungen werden hier konkrete seiten- oder zeilenweise Romanausschnitte zu deren Einordnung benannt und die erwarteten, ›richtigen‹ Antworten der Schüler/innen gleich mitgeliefert. Groß dürfte die Verführung sein, diese von der Autorin sicherlich als detaillierte Orientierung gemeinten Vorgaben eins zu eins umsetzen zu wollen.
Lehrkräfte auf der Suche nach festen Rahmenvorgaben sind mit diesem Produkt für den Deutschunterricht gut beraten. Sie finden mit dem Heft der Reihe »Deutsch betrifft uns« zu »Klaus Mann: Flucht in den Norden« eine Materialsammlung mit eindeutig vorgegebenen und formulierten Erkenntniswegen und -zielen. Die als klassische Textanalysen und -interpretationen gestalteten Materialien vermögen den Zusammenhang von zeitgeschichtlichem sowie biografischem Hintergrund, Romanthemen und -motiven und letztlicher Aussage anschaulich zu beleuchten.
Reinecke, Anneliese: Klaus Mann. Flucht in den Norden, Deutsch betrifft uns, Heft 2/2008, Bergmoser + Höller Verlag AG, Aachen 2008, 33 S.
Das Heft kann für 15,90€ direkt beim Verlag bezogen werden.
Mann, Klaus: Flucht in den Norden, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbk bei Hamburg, Erweiterte Neuausgabe 2003.