"Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" ist ein deutschlandweites Schulnetzwerk, dem 2015 rund 1.750 Schulen angehören. Es wurde 1995 von Aktion Courage e.V., dem Trägerverein gegründet.
Barbara John, Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer des Neonazi-Terrors des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds, bezeichnet das Courage-Netzwerk als "größte Präventionsagentur gegen Ungleichheitsdenken in Deutschland". Tatsächlich stellen sich in den Courage-Schulen mehr als eine Million Schülerinnen und Schüler in vielen Aktionen und Projekten die Frage: "Wie wollen wir im Land der Vielfalt zusammenleben?" Sie suchen nach solidarischen Antworten, und von diesen hängt es ab, ob Deutschland auch in Zukunft ein liebenswertes Land bleibt.
"Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" ist eine Bottom-up-Initiative. Das heißt: Es gibt kein Curriculum, das die Courage-Schulen umzusetzen haben. Die Schülerinnen und Schüler bestimmen selbst, welche Aktivitäten sie an ihrer Schule durchführen wollen. Es bietet ihnen somit die Möglichkeit, Herausforderungen vor Ort aufzugreifen, das Klima an ihrer Schule aktiv mitzugestalten und selbstbestimmtes bürgerschaftliches Engagement zu entwickeln.
"Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" steht für die Überzeugung von der Gleichwertigkeit aller Menschen. Das oberste Ziel lautet deshalb: Sämtliche Ideologien, die eine Ungleichwertigkeit von Menschen zu legitimieren versuchen, müssen abgebaut werden.
Der Ansatz, alle Ideologien der Ungleichwertigkeit gleichermaßen in den Blick zu nehmen, macht deutlich, dass auf den ersten Blick so unterschiedliche Phänomene wie Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Homophobie, Rechtsextremismus, Sexismus, Islamismus und andere etwas gemeinsam haben: Sie alle unterscheiden Menschen nach Merkmalen, hierarchisieren diese und leiten daraus eine Legitimation für Diskriminierungen ab. Ideologien der Ungleichwertigkeit gehen davon aus, dass Ungleichartiges auch ungleichwertig ist. Die Kernformel lautet: X ist mehr wert als Y. Und: X hat die Legitimation Y zu bekämpfen beziehungsweise Y Rechte vorzuenthalten.
Ideologien der Ungleichwertigkeit insgesamt zu betrachten geht mit einem horizontalen Handlungsansatz einher, der Diskriminierungen nicht nach mehr oder weniger wichtig hierarchisiert. Sexismus oder Antisemitismus stehen nicht über Rassismus, Antiziganismus nicht über Homophobie. In allen Fällen kann Diskriminierung für die Opfer ähnlich schlimme Folgen haben. Dies bedeutet natürlich nicht, dass jede Form der Diskriminierung zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft gleich brisant ist. Auch unterscheiden sich die einzelnen Formen in Entstehungsgeschichte, Erscheinungsform und Struktur.
In unserer 20-jährigen Praxiserfahrung hat sich gezeigt, dass das Lernziel "Gleichwertigkeit" hervorragend geeignet ist, um auf die vielfältigen Formen der Diskriminierung in einer heterogenen Einwanderungsgesellschaft einzugehen. Denn alle Menschen, egal woher sie kommen und wie sie aussehen, sind in der Lage zu diskriminieren. Ideologien der Ungleichwertigkeit kann es in allen sozialen Gruppen geben. In der Regel ist die diskriminierende Gruppe die größere, die diskriminierte die kleinere und schwächere. Und auch wenn die diskriminierende Gruppe nicht immer die größere ist: Immer gibt es ein Machtgefälle.
Ein glaubwürdiger Einsatz für Vielfalt und Toleranz in einer Gesellschaft, in der mehr als ein Drittel der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund hat, ist nur möglich, wenn man allen Vertretern von Ideologien der Ungleichwertigkeit gleich entschlossen entgegentritt – egal von wem sie geäußert werden und welchen familiären Hintergrund die Betreffenden haben. Geschieht dies nicht, verliert der Einsatz für Toleranz, Vielfalt und Menschenrechte bei Jugendlichen, die ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl haben, schnell an Glaubwürdigkeit.
Der horizontale Ansatz der Ideologien der Ungleichwertigkeit ermöglicht, die spannenden Lebenswelten der sozial und kulturell heterogenen Schülerschaften in der Arbeit an den Courage-Schulen aufzugreifen.
Im Winter 2014/2015 engagieren sich Dutzende von Courage-Schulen für eine Willkommenskultur für Flüchtlinge. Sie unterrichten Flüchtlingskinder in Deutsch, laden sie in die Schule ein und verbringen ihre Freizeit mit ihnen. Und in Großröhrsdorf im Landkreis Bautzen stellen sich Courage-Schülerinnen und –Schüler über Wochen den Dorfbewohnern entgegen, die mit Demonstrationen vor dem Rathaus die Unterbringung von Flüchtlingen in der Kommune verhindern wollen.
Jede Schule kann dem Netzwerk beitreten, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllt: Mindestens 70 Prozent aller Menschen, die in einer Schule lernen und arbeiten, verpflichten sich mit ihrer Unterschrift unter den drei Punkten des Selbstverständnisses, aktiv gegen jede Form von Diskriminierung an ihrer Schule einzutreten, bei Konflikten einzugreifen und regelmäßig Projekte und Aktionen zum Thema durchzuführen.
Die Kinder und Jugendliche werden bei ihren Aktivitäten von der Bundeskoordination, den Landeskoordinationen, den Kooperationspartnern und den Lehrerinnen und Lehrern sowie anderen Pädagoginnen und Pädagogen vor Ort unterstützt und begleitet.
Was passiert, wenn die Selbstverpflichtung nicht eingehalten wird? Wird dann der Titel wieder aberkannt? Dies ist eine häufig gestellte Frage. Dazu Folgendes:
Der Titel "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" ist kein Preis und keine Auszeichnung, die eine Schule erhält, weil sie besonders gute Leistungen erbracht hat. Und der Titel ist damit auch kein Preis oder Auszeichnung, die aberkannt werden können, wenn die Leistungen nicht mehr stimmen.
Der Titel bedeutet auch nicht, dass an einer Schule kein Mobbing, Rassismus oder andere Formen der Diskriminierung vorkommen können. Uns ist bewusst, dass das trotzdem sehr häufig der Fall sein kann. Allerdings hat sich eine Courage-Schule dazu verpflichtet, im Sinne der Selbstverpflichtung tätig zu werden, wenn es zu Diskriminierungen kommt. Sollte es an einer Schule zu Diskriminierungen kommen und weder die Schüler und Schülerinnen noch die Lehrkräfte reagieren darauf, empfehlen wir, dass sich die Mitschülerinnen und -schüler, die sich nicht damit abfinden wollen, zusammentun und die Schulgemeinschaft an das Selbstverständnis erinnern.
Erfahrungsgemäß hilft das sehr häufig. Manches Mal empfiehlt es sich auch, Kontakt zu der Landeskoordination aufzunehmen, die für das Bundesland zuständig ist, in dem die Schule liegt, um mit ihr zu besprechen, wie das Bewusstsein in der Schule für das Klima verantwortlich zu sein, gestärkt werden kann.
Bislang haben wir noch keiner Schule den Titel aberkannt, auch wenn uns bewusst ist, dass an manchen Schulen die Aktivitäten im Sinne von "Schule ohne Rassismus" etwas eingeschlafen sind. Wir vertrauen auf positive Sanktionen, also auf Maßnahmen, die die Schulen ermutigen, wieder im Sinne einer Courage-Schule aktiv zu werden. Die Praxis lehrt, Vertrauen in die Selbstorganisation der Schulen funktioniert.