Dass Leipzig während des Zweiten Weltkrieges eines der Zentren der NS-Zwangsarbeit war, ist heute kaum im kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik verankert. Dabei waren es 1944 etwa 100.000 Menschen – das entsprach zu diesem Zeitpunkt einem Achtel der Leipziger Gesamtbevölkerung – die zur Zwangsarbeit im Stadtgebiet gezwungen wurden. Diese kamen aus allen Teilen des von den Nationalsozialisten besetzten Europas und wurden vor allem in der Rüstungsindustrie, aber auch in Handwerksbetrieben, in der Landwirtschaft, im Braunkohlebergbau oder in kommunalen Betrieben eingesetzt. Dort arbeiteten sie oft mehr als 10 Stunden am Tag, an sechs Tagen in der Woche.
Bei vielen der Arbeiter/innen handelte es sich um sogenannte Zivilarbeiter/innen, die aus den deutsch-besetzten Gebieten in West- und Osteuropa für die Arbeit im Deutschen Reich zwangsrekrutiert worden waren. Daneben zwangen die deutschen Behörden jedoch auch zahlreiche Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge zur Arbeit in Leipziger Betrieben. Zu diesem Zwecke wurden zumeist in unmittelbarer Nähe zu den Einsatzstellen Außenlager der Konzentrationslager Buchenwald und Ravensbrück eingerichtet, in denen die Gefangenen unter katastrophalen Zuständen leben mussten.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zivilarbeiter/innen unterschieden sich in den ersten Kriegsjahren zwar deutlich von jenen der KZ-Gefangenen, wobei auch hier durch rassistisch geprägte Zuschreibungsmuster stark zwischen Arbeiter/innen aus Ost- und Westeuropa unterschieden wurde. Während Arbeiter/innen aus westeuropäischen Ländern zumindest in den ersten Kriegsjahren oft noch die Möglichkeiten hatten, in unbewachten Unterkünften zu leben und sich in ihrer – sehr geringen – Freizeit frei in der Stadt zu bewegen, wurden derartige Privilegien den Zivilarbeiter/innen aus Polen und der Sowjetunion, den Kriegsgefangenen und den KZ-Häftlingen vorenthalten. Viele der Arbeiter/innen starben während ihres Einsatzes aufgrund von Hunger und miserablen Hygiene- und Arbeitsbedingungen.
Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig bemüht sich seit 2001 um die Aufarbeitung der Geschichte der Zwangsarbeit im Leipziger Raum. Im Zentrum steht dabei nicht nur die Erforschung der historischen Abläufe und Umstände, sondern auch die Information der Bevölkerung, die Erarbeitung eines umfangreichen Bildungsangebotes und das Gedenken an die zahlreichen Opfer der NS-Zwangsarbeit in Leipzig und anderen Orten. Die Gedenkstätte befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Rüstungsbetriebes HASAG (Hugo-Schneider-Aktiengesellschaft), die während des Zweiten Weltkriegs in Leipzig mehr als 16.000 Zwangsarbeiter/innen zur Herstellung von Munition und Panzerfäusten beschäftigte. Die HASAG wurde ab 1934 innerhalb weniger Jahre zu einem NS-Musterbetrieb aufgebaut, dessen Geschäftsführung und Vorstand stets in enger Beziehung zur NSDAP stand.
Ziel der Gedenkstätte ist es, sowohl die Rolle der HASAG als auch die Verwicklung anderer Leipziger Betriebe in die NS-Zwangsarbeit zu erforschen und öffentlich zu machen. Dadurch soll nicht nur das Thema selbst im regionalen Geschichtsbewusstsein verankert werden, sondern auch das Gedenken an die Opfer einen Platz im kulturellen Gedächtnis finden. Daneben geben die Mitarbeiter/innen der Gedenkstätte Auskunft über ehemalige Gefangene und helfen Angehörigen und Wissenschaftler/innen dabei, die Geschichte der verschiedenen Orte und Menschen zu erforschen. Die Gedenkstätte versucht so sichtbar zu machen, was lange Zeit verdrängt und vergessen wurde. Sie dient als Anlaufpunkt für ehemalige Zwangsarbeiter/innen und ihre Angehörigen, als Lernort und als Dokumentationszentrum. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Betroffenen sind über die Jahre zahlreiche historische Dokumente und Objekte zusammengekommen, die in der Gedenkstätte in einer kleinen Dauerausstellung gezeigt werden. Die Ausstellung gibt einen Überblick über NS-Zwangsarbeit im Allgemeinen, als auch über die Täterstrukturen vor Ort. Im Zentrum stehen außerdem die lebensgeschichtlichen Erzählungen überlebender Opfer von Zwangsarbeit.
Zusätzlich zu der Dauerausstellung informiert die Gedenkstätte mit Veranstaltungen, Führungen und Stadtteilrundgängen über NS-Zwangsarbeit in Leipzig. Auf Anfrage können verschiedene gedenkstättenpädagogische Angebote gebucht werden. Außerdem beantwortet die Institution gerne individuelle Anfragen nach ehemaligen Zwangsarbeiter/innen.
Weitere Informationen und das aktuelle Veranstaltungsprogramm:
www.zwangsarbeit-in-leipzig.de