Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Gab es Antisemitismus in der antifaschistisch proklamierten DDR? Dieser Frage geht die Ausstellung „’Das hat’s bei uns nicht gegeben!’ – Antisemitismus in der DDR“ der Amadeu Antonio Stiftung nach, die seit April 2007 durch deutsche Städte und Gemeinden wandert. Wissenschaftlich sind das Leben von Jüdinnen und Juden in der DDR, die antiisraelische Haltung des DDR-Regimes und dessen ideologisch bestimmter Umgang mit Antisemitismus und Nationalsozialismus gut erforscht. In der Öffentlichkeit des wiedervereinigten Deutschlands wurde dem Thema „Antisemitismus in der DDR“ jedoch wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ziel der Ausstellungsinitiator/innen war es deshalb, eine gesellschaftliche Debatte anzuregen. Dies ist gelungen: In den ersten Monaten nach der Ausstellungseröffnung im April 2007 wurde das Thema intensiv in überregionalen und sich politisch links verortenden Zeitungen und Zeitschriften diskutiert. Außerdem setzte eine umfangreiche mediale Berichterstattung in regionalen Blättern an den jeweiligen Ausstellungsorten ein, die bis heute anhält. Auch in den Gästebüchern der Ausstellung wurde eine rege Debatte um den Antisemitismus in der DDR geführt. Die zentralen Argumentationen innerhalb dieser Auseinandersetzungen um das Ausstellungsthema sollen nachfolgend dargestellt werden.
Analysiert wurde die gesamte printmediale Presseberichterstattung für den Zeitraum zwischen April 2007 und Mai 2010 sowie die in dieser Zeit durch Ausstellungsbesucher/innen beschriebenen Gästebücher. Augenfällig war dabei, dass die zentralen Argumente in den Debatten wiederkehrend in beiden Medien aufgetaucht sind. Zudem dokumentieren die Analyseergebnisse anschaulich den Umstand, dass die Wanderausstellung im Untersuchungszeitraum fast ausschließlich in den neuen Bundesländern präsentiert wurde.
Insgesamt stehen sowohl Presseberichterstattung als auch Ausstellungsbesucher/innen, die einen Eintrag im Gästebuch hinterließen, den Ausstellungsinhalten und der Diskussion des Themas „Antisemitismus in der DDR“ überwiegend offen gegenüber. In beiden Medien wird die Bedeutung einer kritischen Aufarbeitung des Themas betont, das häufig als tabuisiert charakterisiert wird („17 Jahre nach der Wende wird damit nun erstmals ein Tabu erforscht.“). Insbesondere Ausstellungsbesucher/innen wünschen sich eine breite Resonanz und Diskussion der Ausstellung in der deutschen Öffentlichkeit („Nicht in die Räume, auf Straßen und Plätze gehört diese Ausstellung!“). In den überregionalen und regionalen Printmedien wird die Ausstellung vor allem als potentielles Korrektiv der DDR-Erinnerung gesehen: Endlich werde mit dem antifaschistischen Gründungsmythos der DDR aufgeräumt und damit einer nachträglichen Verklärung ostdeutscher Verhältnisse vor 1989 entgegengewirkt („Schluss mit einem Mythos“). Beide – Presseberichterstattung und Gästebucheinträge – attestieren der Ausstellung eine wichtige Funktion für die gegenwärtige Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Nationalsozialismus. Ausstellungsbesucher/innen betonen dabei Aspekte wie Aufklärung und Erinnerung als grundlegende Voraussetzungen eines Geschichtsbewusstseins, welches von der Ausstellung befördert werde („Aus der Vergangenheit gilt es zu lernen!“). Regionale und überregionale Presseorgane greifen das Argument der Ausstellungsinitiator/innen auf, die meinen, der Antisemitismus in der DDR sei Ursache für den heute verbreiteten Rechtsradikalismus in den neuen Bundesländern („Diese Verdrängung ist einer der Gründe, warum sich der Rechtsextremismus im Osten so stark entwickeln konnte.“). Vereinzelt wird in bürgerlich-konservativen Printmedien (z.B. Welt, B.Z.)der Versuch unternommen, die Debatte zu instrumentalisieren, indem drastische Vergleiche zwischen DDR und NS-Staat hergestellt werden („Nicht wesentlich anders haben es auch die Nazis gehalten…“). Einer aufrichtigen Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsthema wirken solche Strategien entgegen, da sie reflexhafte Abwehr- und Verteidigungsmechanismen bei ehemaligen DDR-Bürger/innen sowie in der politischen Linken befördern.
Die persönliche Betroffenheit und daraus resultierende Ambivalenz in Bezug auf die Ausstellungsinhalte wird insbesondere in Gästebucheinträgen deutlich. Ehemalige DDR-Bürger/innen lehnen eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Antisemitismus in der DDR“ nicht grundsätzlich ab, fürchten allerdings eine pauschale Verurteilung der eigenen Überzeugungen und Lebensverhältnisse durch die Ausstellung. Gern verweisen sie deshalb auf die „andere Seite“ des DDR-Antifaschismus, der u.a. eine Vielzahl kultureller Erzeugnisse zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit hervorgebracht habe („Es gab aber auch die ‚Andere’ DDR, die mit Büchern, Filmen und Fernsehspielen auf das Leid der jüdischen Bevölkerung hingewiesen hat!“). Auch in der Presseberichterstattung findet sich solche Ambivalenz in der Beurteilung der Ausstellung: In der politisch links verorteten Presse (z.B. Freitag, antifa) wird die fehlende Aufarbeitung des nationalsozialistischen Antisemitismus in der DDR einerseits deutlich kritisiert, die antifaschistische Grundhaltung der DDR-Bevölkerung – „die bei vielen Menschen im Lande ehrliche Gesinnung war“ – will man andererseits nicht in Zweifel gezogen sehen. Zur Untermauerung der Redaktionsmeinung lassen Printmedien jüdische ZeitzeugInnen zu Wort kommen, die die jeweiligen Ansichten durch eigene Erlebnisse zu bestätigen wissen („Offenen Antisemitismus habe ich dort nicht erlebt.“). Offensichtlich dominieren in der untersuchten Debatte um die Ausstellung vielfach politische Überzeugungen sowie emotionale Befindlichkeiten ehemaliger DDR-Bürger/innen. Dies zumindest legen auch die ablehnenden Argumentationen nahe.
Ablehnung gegenüber den Ausstellungsinhalten zum Thema „Antisemitismus in der DDR“ findet sich innerhalb der Presseberichterstattung ausschließlich in der linken Presse sowie in ca. 30 Prozent der analysierten Gästebucheinträge. Trotz ihres quantitativ geringeren Anteils nehmen ablehnende Einträge in den Gästebüchern deutlich mehr Raum ein als zustimmende: Kritische Besucher/innen rechtfertigen ihre ablehnende Haltung häufig sehr detailliert und verteidigen leidenschaftlich ihre persönlichen Überzeugungen. In beiden medialen Formaten wird Ablehnung mit Hilfe von drei zentralen Argumenten zum Ausdruck gebracht. Das am stärksten vertretene Argument von Ausstellungsbesucher/innen gegen die präsentierten Fakten ist die Verteidigung des DDR-Antifaschismus. Hierfür wird die eigene erfolgreiche antifaschistische Erziehung beschrieben, die im Widerspruch zu den gezeigten Ausstellungsinhalten steht („Wir wurden gegen den Antisemitismus erzogen.“). Aus der persönlichen Erinnerung wird vielfach Allgemeingültigkeit abgeleitet, die den Vorwurf einer Delegitimationsintention der Ausstellungsmacher/innen generiert: Die Ausstellung zeige Halbwahrheiten, Falschdarstellungen und Lügen, um eine politisch motivierte Verfälschung der DDR-Vergangenheit zu erreichen („… an der DDR darf kein gutes Haar gelassen werden.“). Dieser Delegitimationsvorwurf taucht auch in der linken Presse vielfach auf. Ablehnende Gästebucheinträge und linke Presseorgane fordern deshalb eine vergleichende Darstellung von Antisemitismus in der DDR und der BRD vor 1989. Die einseitige Abbildung ostdeutschen Antisemitismus’ sei ohnehin unwissenschaftlich. Eine Verschiebung des Fokus durch die Einbeziehung der BRD – so wird spekuliert – würde den tatsächlich gewesenen Antisemitismus in der DDR relativieren („Fest steht, dass der Antisemitismus in der ehemaligen DDR nicht so verbreitet war wie in der BRD.“). Auch dieses Argument belegt eine in den Debatten um die Ausstellung identifizierbare Konkurrenz politischer Systeme sowie die persönliche Betroffenheit ostdeutscher Ausstellungsbesucher/innen, die versuchen, den Verdacht eines pauschalen Antisemitismus abzuwenden. Anders als in der linken Presse wird in den Gästebüchern der Antizionismus Ostberlins häufig gerechtfertigt. Die Kritik an Israel müsse möglich sein und habe mit Antisemitismus nichts zu tun, so die Argumentation („Man kann den Staat Israel zu Recht kritisieren…“). Dass die Feindschaft des DDR-Regimes gegenüber dem jüdischen Staat ideologisch fundiert war und weit über sachliche politische Kritik hinausreichte, wird dabei nicht reflektiert. Ein weiteres interessantes Phänomen hinsichtlich der zum Ausdruck kommenden Ablehnung weist die regionale Presseberichterstattung auf: Während dort eine durchgängig offene Haltung gegenüber der Ausstellung gezeigt wird, weisen die abgedruckten Leser/innenbriefe ausschließlich Ablehnung auf. Diese große Dissonanz zwischen der in den Artikeln abgebildeten Redaktionsmeinung und den abgedruckten Leser/innenbriefen ist eher ungewöhnlich, da die Rubrik der Leser/innenpost in der Regel weitgehend das Meinungsbild der Redaktion spiegelt. Die Ursache dafür könnte im Selektionsverhalten der zuständigen Redaktionen liegen oder aber andererseits auch aus den ausschließlich ablehnenden Zuschriften der Leser/innen abzuleiten sein. Zusammenfassend lässt sich aus der Analyse der printmedialen Presseberichterstattung und der Gästebucheinträge zwischen 2007 und 2010 festhalten: Die Zustimmung zur Ausstellung und der Aufarbeitung des Themas „Antisemitismus in der DDR“ überwiegt deutlich gegenüber der Ablehnung. Eine Diskussion und Enttabuisierung des Themas wird von den Ausstellungsbesucher/innen und regionalen Presseorganen in den neuen Bundesländern grundsätzlich begrüßt. Gleichzeitig zeigen die Debatten allerdings auch Verteidigungslinien auf, die überwiegend aus der persönlichen DDR-Vergangenheit vieler Akteur/innen und deren Rechtfertigung resultieren. Schließlich geht es um politische Überzeugungen und Standpunkte, die bis heute aktuell sind und kontrovers diskutiert werden.
Wir danken der Autorin und der Amadeu Antonio Stiftung für die Möglichkeit zur Zweitveröffentlichung dieses Artikels.