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Das zweijährige EU-Projekt „European History Crossroads as pathways to intercultural and media education“, abgekürzt EHISTO, wird vom Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte der Universität Augsburg koordiniert und startete im Oktober 2012. Gefördert im Rahmen des Lifelong Learning-Programms der EU, erarbeitet es auf Grundlage des hierfür entwickelten Konzepts der „European History Crossroads“ (EHC) multilinguale und multiperspektivische didaktische Materialien für den Geschichtsunterricht, auf der Basis populärer Geschichtsmagazine aus Deutschland, England, Polen, Spanien und Schweden.
Hintergrund des Projekts bildet die geschichtsdidaktische Frage, wie in einem zunehmend vereinigten Europa der immer noch wesentlich national ausgerichtete Geschichtsunterricht europäische Perspektiven entwickeln kann. Seit Langem vertritt die deutsche Geschichtsdidaktik (z. B. Rüsen, Schönemann, Popp) die Position, dass nicht die Substitution der nationalen ‚Meistererzählungen’ durch eine neue gesamteuropäische ‚Meistererzählung’ die Lösung darstellen kann. Vielmehr sieht die Didaktik der Geschichte den tragfähigsten Zugriff in einem festgesetzten Dialog, der gemeinsame und trennende nationale Geschichtserfahrungen, sowie unterschiedliche Blickweisen auf die gemeinsame europäische Geschichte zum Gegenstand hat, und mit dem Perspektivenwechsel Fremdverstehen und gegenseitiges Verstehen fördert. Der Weg zu einer gemeinsamen historischen Identität liegt dieser Position zufolge nicht in der Festlegung gemeinsamer europäischer Inhalte und Deutungen, sondern in der Bereitschaft, die vertraute nationale Sichtweise zu erweitern. Das Konzept der „European History Crossroads“ entspricht dieser geschichtsdidaktischen Position, die inzwischen auch vom Europarat geteilt wird.
„European History Crossroads“ (EHC) – das sind historische Themen, die in allen europäischen Staaten eine bedeutende Rolle spielen – sowohl im Geschichtsunterricht als auch in populären Geschichtsmagazinen. Diese werden hier als Repräsentanten eines signifikanten Teils der Geschichtskultur einer Gesellschaft verstanden. Solche EHCs sind – im Bezug auf die Geschichtskulturen der Partner, die entsprechende Analysen durchführten, – z.B. „Islam“, „Kolumbus und das Zeitalter der Entdeckungen“, „Napoleon“, „’Ausbruch’ des Ersten Weltkriegs“, „Hitler“, Zweite Weltkrieg“ und „Holocaust“ vertreten.
Aus diesem „Kanon“ wählten die Projektteilnehmer/innen zwei Themen aus: „Kolumbus und die ‚Entdeckung‘ der ‚Neuen Welt‘“ sowie den „’Ausbruch‘ des Ersten Weltkriegs“.
An letzterem Beispiel werden im Folgenden das Verfahren und das geschichtsdidaktische Potenzial der EHCs skizziert.
Generell ist es das geschichtsdidaktische Ziel des EHC-Konzepts, dass die Lernenden im Vergleich von nationalen Geschichtskulturen in Europa zunächst Gemeinsamkeiten und Unterschiede und somit divergierende Sichtweisen erkennen lernen, und sich damit dem Thema einer transnationalen Geschichtskultur in Europa nähern. Auf diese Weise soll eine Sensibilisierung der Lernenden für eine andere als die vertraute nationale Sichtweise auf historische Ereignisse und ein Schritt zur gegenseitigen Wahrnehmung, Anerkennung und zum Verstehen des ‚Anderen’ initiiert werden. Perspektivenwechsel und Fremdverstehen sollen auch als Ausgangspunkt für ein kritisches Hinterfragen zumeist selbstverständlich als gültig betrachtete Sichtweisen und Bewertungen dienen.
Das EHISTO-Projekt wendet sich den – in der geschichtsdidaktischen Forschung bisher kaum beachteten – populären Geschichtsmagazinen zu, weil sie als Teil der nationalen Geschichtskultur in ganz Europa verbreitet sind und nachweislich von Geschichtslehrkräften als auch von Lernenden gleichermaßen gekauft und gelesen werden. Zunächst ermittelten die EHISTO-Partner auf der Basis von Schulbuchanalysen ein Konzept der nationalen Sichtweise auf die jeweiligen EHC, hier den „’Ausbruch‘ des Ersten Weltkriegs“. Sodann wählten sie jeweils zwei populäre Geschichtsmagazine aus, die die jeweilige EHC zum Thema hatten. Für die Analyse der Darstellungstendenzen wurden jeweils Titelblätter, Inhaltsverzeichnisse, Editorials, Fotostrecken sowie ein ausgewählter Artikel herangezogen. Diese Dokumente bilden zugleich die Basis für die Erstellung von Unterrichtsmaterialien, welche mit multiperspektivischen Zugängen einen europäischen Betrachtungshorizont für das gewählte Thema eröffnen, und zugleich interkulturelle und medienkritische Kompetenzen fördern. Die Lernenden können mit den übersetzten Materialien Vergleichsstudien erstellen und sich auf diese Weise mit der Geschichtskultur anderer europäischer Länder auseinandersetzen, um transnationale Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen. Sie sind unmittelbar im Unterricht für bilinguale, trilaterale oder plurilaterale arbeitsteilige Vergleiche einsetzbar. Somit entsteht ein multiperspektivischer Lernraum, in dem sich die Lernenden den Herausforderungen der ‚shared history’ in Europa annähern können. Alle Materialien sind kostenfrei online zugänglich.
Um einen Rahmen für die Einschätzung der Besonderheiten der jeweiligen nationalen Sichtweisen auf das Thema „’Ausbruch‘ des Ersten Weltkriegs“ zu erhalten, wurden zunächst Schulbuchanalysen durchgeführt.
In allen Schulbüchern werden neben den allgemeinen Ursachen- und Wirkzusammenhängen, die Industrialisierung des Kriegs, das Kriegsende mit dem Versailler Vertrag und dessen Folgen sowie der Kolonialismus und Imperialismus aufgeführt.
Als Charakteristika der deutschen Schulbücher, die sich so in den Schulbüchern anderer Länder nicht finden, kann die ‚Heimatfront’ als Ausdruck des ‚totalen Krieges’ gelten. Auch wird die Schuldfrage viel differenzierter behandelt, als in den anderen Unterrichtswerken. Die Rolle der ‚Kriegsschuld’ spielt dort eine weitaus geringere Rolle.
Eine Sonderstellung nehmen Schweden und Polen ein. In Polen ist der Erste Weltkrieg untrennbar mit dem Thema der Gründung eines souveränen Staates verbunden. Das schwedische Curriculum interpretiert den Weltkrieg in erster Linie als Schlüsselereignis, in dem sich vor allem übergeordnete Entwicklungslinien der Moderne spiegeln, wie z. B. Migration, Emanzipation und Kolonialismus.
In allen Schulbüchern gilt jedoch, dass Sarajevo das Schlüsselereignis des Kriegsbeginns ist. Was nicht bedeutet, dass der Weg von Sarajevo zu den Kriegserklärungen als Automatismus dargestellt wird.
Zur nicht geringen Überraschung zeigte sich dagegen bei den ausgewählten Magazinen, dass keine auffälligen Deutungs- und Bewertungsunterschiede bei den nationalen Darstellungen festzustellen waren – mit der Ausnahme von polnischen Magazinen, die die ‚Kriegsschuld’ eindeutig dem Deutschen Reich zuschreiben. Die Projektteilnehmer/innen waren von divergierenden Deutungen und Bewertungen ausgegangen, da die am Projekt beteiligten Länder unterschiedliche Perspektiven vertreten: Deutschland und England waren Hauptgegner im Ersten Weltkrieg, Schweden und Spanien waren neutral. Eine singuläre Position hingegen nimmt Polen ein, weil hier der Erste Weltkrieg mit der Wiederherstellung der polnischen Staatlichkeit verbunden ist, woraus eine positiv konnotierte Perspektive resultiert. Die Analyse der Magazinartikel ergab vielmehr, dass – mit Ausnahme des polnischen Beispiels – kaum nennenswerte Unterschiede in der Deutung und Bewertung der historischen Ereignisse sichtbar werden. Unterschiede gab es fast ausschließlich in der Art der Präsentation, wo sich in allen Ländern differenziert-sachliche und sensationalistische Zugriffe unterscheiden. Diese Differenz spiegelt jedoch eher Magazintypen als nationale Perspektiven.
Projekthomepage: http://www.european-crossroads.de/