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Die Kriege des 19. Jahrhunderts sind durch prächtige Gemälde überliefert, die von den Schlachtenbildern eines Emil Hünten reichen bis zur Kapitulationsunterzeichnung des Deutsch-Französischen-Kriegs in Versailles, gemalt von Anton von Werner. Die Frage einer möglichen Idealisierung der Darstellung spielt bei der großen Detailtreue dieser Werke nur eine untergeordnete Rolle. Kriege sind zu jener Zeit bunt. Fahnen und Uniformen signalisieren den Feldherren die Position ihrer Heere. Prachtvolle Pferde und handwerklich schöne Waffen runden das Bild ab. Die Blutbäder geraten zur Begleiterscheinung wie die Todesfälle in der frühen Formel 1 – no risk no fun. Die Industrialisierung ändert im 1. Weltkrieg weniger das Sterben, als vielmehr seine Ästhetik: „Das Heer kommunizierte fortan nicht mehr über Farben sondern über Draht und vergräbt sich daher“, schrieb der Philosoph Burghart Schmidt. Soldaten liegen getarnt und beschmiert in Schützengräben, die schmucke Pickelhaube weicht dem glatten Helm. Wohnzimmertauglich ist eine künstlerische Abbildung der Front folglich nicht mehr, noch mit einer goldbeknöpften Uniform konnte man den Filius in die Schule schicken, mit dem nun gebräuchlichen Flecktarn nicht mehr.
Die Farben- und Formenpracht des ausgehenden 19. Jahrhunderts war ein Kind der Industrialisierung und seiner neuen Maschinen, die talentiertes Handwerk imitieren konnte, genannt seinen etwa die Hobel- und Guillochiermaschinen aber auch alle heute geläufigen Maschinen wie Fräsen, Drehmaschinen, Kreis- und Bandsägen. War gestalterische Komplexität zuvor noch ein Zeichen handwerklichen Aufwands und Geschicks, so wurde es durch die neuen Möglichkeiten und deren inflationäre Nutzung am Ende zum Ausdruck schlechten Geschmacks. Eine Reformation wurde im Jugendstil probiert, wie er zwischen 1899 und 1915 die Gestaltung reformierte. Traditionalisten und Funktionalisten waren vereint in einer Formensprache, die sich gleichermaßen historistisch, floral oder geometrisch gebärden konnte. 1915 erschien Bruno Schröders Aufsatz „Griechische Kriegsgräber“ in der Zeitschrift Kunst und Künstler, 1917 Peter Jessens Buch „Kriegergräber im Felde und daheim“.
Die Frage der Kriegsgräber hatte von staatlicher Seite Frankreich bereits im Dezember 1915 in einem Gesetz über die Rechte der Gefallenen festgeschrieben, das im Versailler Vertrag durch eine internationale Lösung ergänzt wurde. 1919 wurde auf nationaler Ebene der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gegründet.
Frühere kriegerische Auseinandersetzungen erfuhren mit Reiterdenkmälern, Obelisken oder gar imposanten Triumphbögen noch eine städtebauliche Zweitverwertung, die das Stadtbild verschönerte und durch das Heldengedenken an einer Heilung der Wunden beitrug. Dorthin fanden die Gestalter nach dem Weltkrieg nicht zurück, obwohl einige ihr Heil in einer Rückbesinnung auf längst vergangene Zeiten fanden. Insbesondere der fromme Offenbacher Grafiker Rudolf Koch, der nun liturgisches Kirchengerät und historisierende Schriftarten entwarf, darunter die klobig-archaische „Neuland“, welche bis heute die sakrale Schriftart schlechthin ist. Sein Buch „Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch“ ist eine düstere schmerzliche Autobiografie. Den Sprung nach vorne wagte der bis dahin klassizistische entwerfende Frankfurter Architekt Ernst May. Noch an der West- und Ostfront skizzierte er lokale Architektur und machte sich Gedanken über die Kriegsgräber der Zukunft. Noch von der Front aus, schickte er 1917 unaufgefordert seine Entwürfe nach Berlin und wurde umgehend mit der Umsetzung beauftragt. Diese Gräber und Denkmäler erscheinen auf überlieferten Abbildungen sehr minimalistisch, die Alliierten verwüsteten diese Werke, jedoch und eine weitere Bewertung bleibt offen.
Für May war das Gestalten an der Front Teil eines patriotischen Einsatzes. Was von dem Abenteuer blieb war die Faszination für die Uniformität französischer Städte im Westen und das Terrakottarot des orthodoxen Kirchenbaus im Osten, wie der Kunsthistoriker Eckhard Herrel schreibt. In seiner späteren Aufgabe als Frankfurter Stadtbaurat nach 1925 ließ Ernst May die Friedhöfe und Gräber der Stadt typisieren und setzte seine Erfahrungen somit auch in der zivilen Welt durch. Neben dem innig-frommen Protestanten Koch, dem bürgerlich-aufgeklärten Juden May sei noch als dritte Person der deutschnationale Katholik Wilhelm Kreis genannt. Er entwarf 1917 das Denkmal der deutschen Kriegsgräberstätte Cambrai in Frankreich. Das Denkmal ist ein Kreuz mit sehr langem Schenkel inmitten eines Feldes von kleinen Kreuzen.
Kreis' Schüler Wilhelm von Grolman hatte bereits 1905 die Gründung der Wiesbadener Gesellschaft für Grabmalkunst angeregt; die in der Kunst und Dekoration 1919 veröffentlichten „Krieger-Denkmale“ und „Helden-Denkmale“ blieben jedoch noch im Pathos des 19. Jahrhundert hängen und sollten für die Kriegsgräber des ersten Weltkrieges keine große Rolle spielen.
Allgemein wäre es sehr naheliegend gewesen wäre, industriell gefertigten Zierrat für die Kriegsgräber zu verwenden, wie etwa die edel anmutenden und damals beliebten Galvanoplastiken mit griechischen Musen und römischen Feldherren-Allüren, trotzdem wurde auf eine solche Symbolik verzichtet. Die Formen der Grabsteine wurden nicht durch Guss damals neuartiger Kunststeine oder Beton geschaffen, sondern durch aufwendige Bearbeitung von Natursteinen, die durchaus auch hätten günstiger „spaltrauh“ oder grob behauen hätten sein können. Das „neue Bauen“ kann dabei als Vorbild dieser elementargeometrischen Gestaltung eine Rolle gespielt haben, denn dessen wichtigsten Realisierungen entstanden wesentlich später. Auch wurde das Bauhaus als Fanal des reduktiven Bauens erst 1919 gegründet und war in seiner Frühphase noch dem Stil des Expressionismus verhaftet. 1921 wurde der Reichsausschuss für Friedhof und Denkmal gegründet, dem der Architekt Waldo Wenzel vorstand. Richtlinien wurden in Handbuch „Grab und Friedhof der Gegenwart“ veröffentlicht. Von Weltkriegsgräberstätten angefangen, entwickelte sich im Stillen die Sepulkralkultur mit ihrer strengen funktionalistischen Haltung zur architektonischen Avantgarde der Weimarer Republik. Auch zwei Meisterwerke des Bauhauses, das Denkmal der Märzgefallenen (entworfen von Walter Gropius, 1922) und das Denkmal für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht (entworfen von Mies van der Rohe, 1926) fallen in diese Kategorie.
Eine weitere Neuerung umfasst die Formen des Gedenkens, beispielsweise die Ehrenhaine mit einer Eiche für jeden im Ersten Weltkrieg gefallenen Gutsangehörigen eine Bezirks oder der Ehrenhof an der Frauenfriedenskirche in Frankfurt, welcher die Form eines klösterlichen Kreuzgangs hat, und dessen Pfeiler nur mit den Namen Gefallener beschriftet sind.
Die Soldatenfriedhöfe leiteten in gestalterischer Hinsicht einen Paradigmenwechsel ein, der retrospektiv betrachtet, wie eine Vorwegnahme der funktionalistischen Moderne erscheint.
Die reduktive Formensprache hat sich in der Gestaltung von Denkmälern langfristig auch als gefährlich erwiesen. Den Nationalsozialisten gelang es mühelos, beispielsweise das Tannenberg-Denkmal umzuwidmen und die Trauer durch die Manifestation des heldenhaften Draufgängertums zu ersetzen. Wilhelm Kreis ernannten sie zum „Generalbaurat für die Gestaltung deutscher Kriegsgräber“ und erkauften sich somit den neuen gestalterischen Ansatz durch Auftragsvergaben an dessen Protagonisten. Auch nach der zweiten Weltkriegserfahrung und der Etablierung der Moderne des Funktionalismus hat sich die Situation der Vereinnahmung nicht entschärft, worauf John Cramer bereits 2012 im LaG-Magazin, hinwies: „Es sind stumme Stätten: Selten bis nie finden Besucher vor Ort Informationen, die über die wenigen auf den Grabzeichen vermerkten Angaben – Name, Lebensdaten, Nationalität (soweit überhaupt bekannt) – hinausgehen. Wer die Toten waren, woher sie kamen, wie ihre jeweiligen Lebens- und Leidenswege aussahen, unter welchen Umständen sie ums Leben kamen und an diesen Orten beigesetzt wurden“und dies mit dem Verweis auf die Gefahr einer Umdeutung durch Rechtsextreme verband.
Irgendwann wenn die Trauer erloschen sein wird, und der familiäre Kontext der Nachkommen verwischt, werden die Kriegsgräber aufgrund ihrer architektonischen und gärtnerischen Bedeutung Denkmäler ihrer selbst werden, wie wir es in größerer Dimension in ähnlicher Weise von den Pyramiden und der Mausoleen der Antike kennen. Eine große Herausforderung wird sein, neue Formen des Ermahnens und Gedenkens zu finden, vielleicht auch an eben diesen schönen Anlagen der frühen Moderne.