Die Tagungsdokumentation „Schwule und Lesben in der DDR“ bietet sich für die thematische Einarbeitung von Lehrer/innen an und beleuchtet differenziert das Verhältnis lesbischer und schwuler Bewegungen mit dem realsozialistischen Staat.
Die Forschungsbeiträge zum Verhältnis von Homosexualität und Deutscher Demokratischer Republik nehmen in den letzten Jahren stetig zu, doch bleiben sie nach wie vor überschaubar. In der 2008 erschienenen Tagungsdokumentation „Schwule und Lesben in der DDR“, herausgegeben als gemeinsames Projekt des Landesverbandes Sachsen-Anhalt des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland und der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, wird ein hilfreicher Überblick zu den bis dato aktuellen Forschungsergebnissen geliefert. Die zitierten Quellen sind darüber hinaus eine umfangreiche Dokumentation des Forschungsstandes.
Zunächst bietet Kurt Starke eine Bestandsaufnahme vor 1989 durchgeführter empirischer Forschungsergebnisse zur Einstellung von Heterosexuellen gegenüber Lesben und Schwulen in der DDR. Hierbei spielt auch die unterschiedliche Gesetzgebung eine entscheidende Rolle. Gegenüber der Bundesrepublik, in welcher der § 175, nach dem homosexueller Sex zwischen Männern unter Strafe stand, erst 1969 erstmals reformiert (und keineswegs abgeschafft) wurde, stellte die Deutsche Demokratische Republik die strafrechtliche Verfolgung bereits 1950 verschärft und die gesonderte Bestrafung homosexueller Handlungen 1957 abgeschafft. Gleichzeitig blieb eine homosexuellenfeindliche Denktradition selbstverständlich vorhanden und dominierte den Alltag von Lesben und Schwulen, wie Christian Schenk in seinem Artikel betont. Darüber hinaus geht er im Speziellen auf die Situation lesbischer Frauen auf der Ebene der parteipolitischen Ideologie in der DDR ein. So hält er fest, dass hier im Gegensatz zu Westdeutschland eine praxisbezogen bessere Gleichberechtigung von Frauen, insbesondere in der Arbeitswelt, sowie ein freierer Umgang mit Körperlichkeit und Sexualität zu verzeichnen sind. Es war demnach keine Problematik, wenn eine Frau alleine lebte, anstatt in einer heterosexuellen Kernfamilie als Mutter aufzutreten. Doch blieben die gesellschaftlich fest verankerten Ressentiments bestehen. Und die realsozialistische DDR war vor allen Dingen ein patriarchaler Staat. Homosexualität wurde bis in die 1980er Jahre zwar nicht als Krankheit verhandelt, aber als eine eindeutig nicht zu befürwortende sexuelle Orientierung. Darauf aufbauend wird in Samirah Kenawis Beitrag ein Einblick in die lesbischen Bewegungen im Osten gegeben. Die patriarchale Struktur war demnach auch in homosexuellen Bewegungszusammenhängen zu beobachten. Während es sehr viele aktive Lesben gab, die in den aktivistischen Zirkeln einen großen Anteil beitrugen, wurden sie nicht sichtbar gemacht und bis heute in geschichtlichen Aufbereitungen ignoriert. Insbesondere die Kirchen waren Horte sozialer Bewegungen in der DDR indem sie die nötige Infrastruktur boten. Doch waren die „Arbeitskreise Homosexualität“ nicht in jeder der christlichen Institutionen gern gesehen, wie Hans-Jochen Tschiche berichtet. Einen wichtigen Aspekt schwuler und lesbischer Lebenswelten westlicher Industriestaaten in den 1980er Jahren war die Krankheit HIV/AIDS. Bis Mitte der 1990er Jahre starben auch in der Bundesrepublik eine immense Zahl schwuler Männer an AIDS. In der DDR wiederum war dieser Zustand ein gänzlich anderer. Während in Westdeutschland im Jahr 1987 12.785 positive HIV-Antikörper-Tests bestätigt wurden, gab es nur neun im Osten. Entsprechend anders entwickelte sich sowohl der staatliche als auch der bewegungsspezifische Umgang damit: Während sich in Westdeutschland ACT UP formierte und gegen die Diskriminierung von HIV-Positiven und für eine angemessene gesundheitliche Aufklärung engagierte, gab es in der DDR nur zaghafte Schritte in Richtung einer Aids-Hilfe DDR und zielgruppenorientierter Präventionsangebote. Rainer Herrn betont in seinem Artikel die weitreichenden Folgen dieser historischen Entwicklungen: heute gibt es auch im Osten der Bundesrepublik viel höhere Infektionsraten, doch bleibt die fehlende Infrastruktur bestehen. Wohl einer der bekanntesten schwulen Aktivisten der Zeit, Eduard Stapel, berichtet über das Engagement der Homosexuellen im realsozialistischen Staat anhand ihrer Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Er entschärft Vorstellungen eines feindseligen Eingreifens des MfS in die Arbeit von schwulen und Lesben, wobei die Überwachung und der Druck auf die Inoffiziellen Mitarbeiter keineswegs zu unterschätzen ist.
Insgesamt ist die Tagungsdokumentation „Lesben und Schwule in der DDR“ als wissenschaftlicher Sammelband zu empfehlen. Er muss aber als solcher verstanden werden, da er sich nicht als Unterrichtsmaterial eignet. Vielmehr können sich Lehrer/innen und Pädagog/innen auch ohne Vorwissen hier einen vertieften Einblick in das Themengebiet verschaffen. Durch einige lebensweltliche Beschreibungen und Darstellungen in Erzählform können jedoch durchaus Aufgaben aus dem Material heraus entwickelt werden.