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Die deutsche Schwulenbewegung blickt zurück auf zwei Geschichten im geteilten Deutschland, wobei die eine Geschichte nicht ohne die jeweils andere erzählt werden kann. Besonders für die Schwulenbewegung in der DDR war der Blick nach Westen sowie Kontakte zu West-Berliner und bundesdeutschen Schwulenaktivisten von enormer Bedeutung. Denn die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen für schwulenpolitisches Engagement in der DDR unterschieden sich sehr stark von denen im Westen. War es in der Bundesrepublik nach der Entschärfung des Paragraphen 175 StGB 1969 prinzipiell möglich, selbstorganisierte soziale und politische Aktivitäten zu entfalten, so galten Schwulengruppen in der DDR – wenngleich der Paragraph 175 StGB hier bereits 1968 abgeschafft wurde – zu jeder Zeit als „feindliche Kräfte“. Sie standen unter intensiver Beobachtung und „operativer Bearbeitung“ durch die Staatssicherheit, die versuchte, die Arbeit dieser Gruppen zu verhindern. Homosexuelle waren in der ostdeutschen Öffentlichkeit zudem weitgehend unsichtbar. Es existierte keine einzige Schwulenzeitschrift und in anderen Medien erschienen vereinzelte Beiträge zum Thema Homosexualität erst ab Ende der 1980er Jahre. Aus dieser Situation heraus suchte und pflegte die Ost-Berliner Schwulenbewegung Verbindungen nach West-Berlin und in die Bundesrepublik, ihre Geschichte blieb allerdings eine ostdeutsche.
Dieser Artikel beschränkt sich auf die Schwulenbewegung in Ost-Berlin und ihre Verbindungen nach West-Berlin und in die Bundesrepublik.
Anregungen und Impulse zur Gründung der ersten Schwulengruppe der DDR, der Homosexuellen Interessengemeinschaft Berlin (HIB), kamen von West-Berliner und bundesdeutschen Schwulenaktivisten, die ab 1972 mit ihren Ideen auch im Ostteil Berlins auf Interesse stießen. Die Voraussetzung dafür waren die im Viermächteabkommen über Berlin 1971 festgelegten Einreiseerleichterungen für West-Berliner und Bundesbürger nach Ost-Berlin und in die DDR. Ausschlaggebend für die Entstehung der Schwulenbewegungen auf beiden Seite der Mauer war der Film ‚Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt’ (1971) des westdeutschen Regisseurs Rosa von Praunheim, der im Januar 1973 das erste Mal von der ARD ausgestrahlt wurde und somit auch im Osten zu sehen war. Den grundlegenden Forderungen des Films nach Rechten und Freiheiten für Schwule schloss sich die HIB an, ihre konkreten Herausforderungen in der DDR waren jedoch andere: Sie mussten Räume organisieren, Genehmigungen für Veranstaltungen einholen und um ihre offizielle Anerkennung kämpfen. Die West-Berliner Schwulenbewegung begann schon in der ersten Hälfte der 1970er Jahre sich auszudifferenzieren und verschiedene, teilweise konkurrierende Strategien schwuler Emanzipation zu verfolgen.
Bis Mitte der 1970er Jahre pflegten die Mitglieder der HIB enge Kontakte nach West-Berlin und in die Bundesrepublik. Aktivisten westlicher Schwulengruppen nahmen an Veranstaltungen der HIB teil, brachten ihre Grundsatzerklärungen und schwule Magazine mit nach Ost-Berlin. Als die HIB Mitte der 1970er Jahre feststellen musste, dass die Sicherheitsbehörden der DDR versuchten, den Austausch mit West-Berliner Schwulen zu verhindern, brach die HIB im vorauseilenden Gehorsam alle sichtbaren Westkontakte ab. Die damit verbundene Hoffnung, der staatlichen Anerkennung ein Stück näher zu kommen und sich zukünftig ganz offiziell für die Belange von Homosexuellen in der DDR einsetzen zu können, wurde jedoch enttäuscht. 1979 sah sich die HIB schließlich gezwungen, ihre Aktivitäten vollständig einzustellen.
Ab Anfang der 1980er Jahre stellten einzelne evangelische Gemeinden in der DDR Schwulen und Lesben Räume für regelmäßige Treffen zur Verfügung und schützten sie damit bis zu einem gewissen Grad vor dem Zugriff staatlicher Behörden. Die Überwachung durch die Staatssicherheit nahm dennoch zu, denn Initiativen von unten galten generell als „feindliche Aktivitäten“ und insbesondere bei den sich organisierenden Homosexuellen wurde „negativer Einfluss“ aus dem Westen vermutet. Dass sich die Homosexuellen Ost-Berlins für den Westen interessierten, ist nicht von der Hand zu weisen, allerdings lag dies nicht an den vermeintlichen „Versuchen des Klassenfeinds“, Homosexuelle für „seine Zwecke zu missbrauchen“, sondern schlichtweg am Mangel an Informations-, Artikulations- und Begegnungsmöglichkeiten für Schwule und Lesben in der DDR.
Da bis 1989 in der DDR nur zwei Aufklärungsbücher zum Thema Homosexualität gedruckt wurden, demgegenüber in West-Berlin schon seit Ende der 1970er Jahre ein schwuler Verlag und ein schwuler Buchladen existierten, lag es nahe, sich politisch-emanzipatorische, soziologische, psychologische, geschichts- und kulturwissenschaftliche Texte zur Homosexualität von dort zu beschaffen. Die Bücher ‚Der gewöhnliche Homosexuelle. Eine soziologische Untersuchung über männliche Homosexuelle in der Bundesrepublik’ (1974) von Martin Dannecker und Reimut Reiche sowie ‚Coming out. Hilfen zur homosexuellen Emanzipation’ (1980) von Martin Siems sind dafür Beispiele. Überdies wurden in Ost-Berlin kommerzielle und alternative Schwulenzeitschriften, wie ‚Du&Ich’, die ‚Siegessäule’, der schwule Stadtführer ‚Berlin von hinten’ sowie Info-Briefe verschiedener Arbeitsgruppen gelesen. Es waren zumeist Besucher aus dem Westen, die diese und andere Publikationen, über die Grenze schmuggelten, denn für Druckmaterialien, die nicht in der „Postzeitungsliste der DDR“ aufgeführt waren – und das waren die genannten Zeitschriften nicht – galt ein striktes Einfuhrverbot.
West-Berliner und Schwule aus der Bundesrepublik nahmen vereinzelt auch an den Veranstaltungen der Arbeitskreise in Ost-Berlin teil. Gelegentlich traten sie als Referenten auf und berichteten über die Lage von Homosexuellen in westlichen Ländern, über AIDS und andere Themen. Die Schwulen in Ost-Berlin waren demnach nicht nur über die schwule Subkultur West-Berlins und anderer westdeutscher Großstädte informiert. Sie erfuhren auch, welche Unterschiede im Umgang mit Homosexualität in den beiden deutschen Staaten herrschten und welche Möglichkeiten der Selbstorganisation, des Engagement und der Freizeitgestaltung im Westen – anders als in der DDR – bestanden.
Für westliche Journalisten schwuler oder nicht-schwuler Medien war es hingegen sehr mühsam und aufwendig, an Informationen über die Schwulenbewegung in der DDR zu gelangen. Die leitenden Mitglieder schwuler und lesbischer Gruppen in Ost-Berlin versprachen sich von ihrer Bekanntheit im Westen zwar einen gewissen Schutz und hofften damit, Druck auf die Staats- und Parteiführung ausüben zu können. Gleichzeitig gingen sie das Risiko ein, von den Sicherheitsbehörden in der Arbeit eingeschränkt oder gar verboten zu werden. So mussten die Ost-Berliner Schwulengruppen bis zum Fall der Mauer immer zwischen Nutzen und Nachteil ihrer Verbindungen ins andere Deutschland abwägen und nicht selten auf diese verzichten.
Die Schwulenbewegung Ost-Berlins orientierte sich an westlichen Vorbildern und war inspiriert durch die westliche schwule Welt, ihre Aktivitäten richteten sich allerdings an die Gesellschaft und den Staat in der DDR. Nichtsdestoweniger halfen das Wissen und die Vorstellungen von den Freiheiten homosexueller Selbstorganisation im Westen, Wünsche zu entwickeln und konkrete Forderungen gegenüber den staatlichen Behörden in der DDR formulieren zu können.