Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
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Charakterisierungen des SED-Systems seit 1989 reichen vom Begriff der „kommoden Diktatur“ über den „Unrechtsstaat“ bis zur „totalitären Diktatur“. Die Begriffsbildung, die häufig nur einen Aspekt hervorhebt (etwa im Begriff „Fürsorgediktatur“), ist schwierig wegen recht widersprüchlicher historischer Befunde und der Dauer der SED-Diktatur, die sich im Laufe ihrer Geschichte durchaus verändert hat.
Der ausgesprochen kritisch gemeinte Begriff „Unrechtsstaat“ hebt darauf ab, dass die SED-Diktatur für vielfältiges Unrecht und damit verbundenes menschliches Leid verantwortlich ist. Unübersehbar ist etwa die große Zahl politischer Häftlinge, die überwiegend nur deshalb verurteilt wurden, weil sie das Land verlassen oder die politischen Verhältnisse in Frage gestellt oder auch nur kritisiert haben. Dass seit den 1960er-Jahren ein Teil der Häftlinge gegen Warenlieferungen an den Westen verkauft (bzw. von diesen freigekauft) wurden, lässt sich als kennzeichnend für den Zynismus der Führungsschicht in humanitären Fragen interpretieren. Die SED-Diktatur war sicherlich kein Rechtsstaat, es gab keine Gewaltenteilung und die Geltung von Menschen- und Bürgerrechten war eingeschränkt. Die „sozialistische Gesetzlichkeit“ legitimierte die politische Instrumentalisierung des Rechtes, die auch durch höchst vage Begriffe wie „Boykotthetze“ oder „staatsfeindliche Hetze“ oder auch die weite Fassung von Spionage und nachrichtendienstlicher Tätigkeit als Strafbestände erleichtert wurde. Obgleich die Rechtssicherheit im Laufe der Zeit - abgesehen vom politischen Bereich - zunahm, rangierte letztlich eben die Macht der Partei vor dem Recht.
Keine Frage, dass der SED-Staat eine Diktatur war, die die Gesellschaft „durchherrschte“ - in welchem Maße, ist für die verschiedenen Phasen jeweils genauer zu bestimmen. Die „Organisationsgesellschaft“ war - sieht man von den Kirchen ab - weitgehend auf Staat und Parteien bezogen. Partei und Staat erhoben gegenüber der Gesellschaft einen ideologisch begründeten totalen Gestaltungsanspruch, ohne diesen jedoch durchsetzen zu können oder auch zu wollen. Seit den 1970er Jahren reichte der Partei eine weitgehende Kontrolle, der neben der die Gesellschaft durchdringenden Staatssicherheit auch die Militarisierung der Gesellschaft diente. Dies schloss nicht aus, dass die Partei innerhalb eines bestimmten Spektrums eine relativ offene Willensbildung zuließ - etwa im Bereich der Wissenschaften oder auch auf der betrieblichen Ebene. Relative Freiräume konnten freilich immer wieder eingeschränkt werden, so dass der Begriff „Konsensdiktatur“ für den SED-Staat nicht wirklich tauglich ist. In jeder Phase der DDR-Geschichte wahrten größere Teile der Bevölkerung eine gewisse Distanz zum Regime bzw. arrangierten sich mit diesem nur äußerlich und pflegten den „Eigensinn“ ihrer Lebenswelt. Ansätze politischer Opposition wurden freilich selbst noch in den 1980er Jahren verfolgt.
Ein Vergleich mit den anderen kommunistischen Diktaturen in Osteuropa lässt gewisse nationale Einfärbungen der verschiedenen Diktaturen erkennen. Die Geschichte der SED-Diktatur zeigt jedoch, dass diese Diktatur - nach vergeblichen Versuchen in der frühen Nachkriegszeit, einen nationalen Auftrag zu reklamieren - auf keine nationale Legitimationsgrundlage zurückgreifen konnte, umgekehrt aber auf den anderen größeren und erfolgreicheren deutschen Staat fixiert blieb und sich deshalb immer besonders forciert vom Westen abzugrenzen versuchte (auch in Phasen der Ost-West-Entspannung). Dazu passte, dass die SED-Führung die meiste Zeit zu den ideologischen Hardlinern im sowjetkommunistischen Bereich gehörte und lange als besonders moskauhörig galt, was sich erst in der Phase der Perestroika änderte. Zweifellos war sie auch in besonderer Weise von Moskau abhängig und hatte auch aus Moskauer Sicht herausragende Bedeutung für die Kontrolle des kommunistischen Lagers.
Vergleiche zwischen SED-Diktatur und NS-Diktatur waren und sind umstritten. Gewisse phänomenologische Ähnlichkeiten sind offensichtlich: eine Ideologie (die freilich beim SED-System mit dem Marxismus-Leninismus ungleich konsistenter war als beim NS), ein Einparteiensystem, das in der DDR durch die Fassade der Nationalen Front kaum verdeckt war, Herrschaft mit Hilfe von Geheimpolitik und Propaganda, totale Kontrolle und gegebenenfalls auch innenpolitischer Einsatz der Streitkräfte usw. Dabei galten diese Merkmale für die frühe DDR stärker als die spätere. Zugleich jedoch sind große Unterschiede zwischen beiden Diktaturen unübersehbar: Die NS-Diktatur beherrschte ganz Deutschland und war eine gleichsam autochthone deutsche Diktatur, während die auf Ostdeutschland (das frühere Mitteldeutschland) begrenzte SED-Diktatur unter wesentlicher Beteiligung einer auswärtigen Macht, der Sowjetunion, entstand, die ihr Modell mit gewissen Modifikationen auf dieses Land übertrug, obgleich dessen Struktur und Entwicklungsstand deutliche Unterschiede aufwies. Insofern verkörperte die SED-Diktatur eine von außen stark beeinflusste, „penetrierte“, gleichsam abgeleiteter Diktatur, die nur schrittweise ein wenig Selbstständigkeit erlangte. Nicht nur die Ideologie war gegensätzlich, sondern auch die Herrschaftstechnik teilweise unterschiedlich. Die NS-Diktatur setzte - trotz der auch hier unübersehbaren Einschüchterung der Bevölkerung - stärker bei den Subjekten an und versuchte, diese permanent zu mobilisieren, während die kommunistische Herrschaft lange Zeit stärker mit äußerem Zwang und bürokratischer Herrschaft arbeitete, was teilweise sogar für die Willensbildung in der Kaderpartei galt. Nicht zuletzt führte NS-Deutschland einen Vernichtungs- und Eroberungskrieg und war für den Juden-Genozid, ein einzigartiges Menschheitsverbrechen, verantwortlich; die von der SED-Diktatur verübten Verbrechen sind in keiner Weise vergleichbar. Wenn man Menschheitsverbrechen vergleichen will, so müsste man NS-Deutschland mit der stalinistischen Sowjetunion vergleichen, was allerdings ebenfalls Unterschiede zeigen würde.
Untersuchen ließen sich Fragen von Kontinuität und Diskontinuität zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Diktaturen, wobei nicht nur nach Strukturen zu fragen wäre, sondern auch nach politisch-kulturellen Einstellungsmustern. Viele Fragen sind bezogen auf die SED-Diktatur noch nicht wirklich beantwortet. In der DDR herrschte eine kommunistische Diktatur, die manche Besonderheiten aufwies.