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„Wir haben ungeheuer tragische Schicksale hier gehört auf diesem Zeugentisch und man hatte nicht das Gefühl, dass man auch nur irgendwie menschlich diesem Leiden gerecht wurde.“ (Rechtsanwalt Christian Raabe, Vertreter der Nebenklage im Frankfurter Auschwitz-Prozess, in der niederländischen Fernsehsendung „Achter het Nieuws“ am 19. August 1965)
In der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin widmet sich seit diesem Sommer ein eigenes Kapitel den beiden größten NS-Prozessen: dem Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963 – 1965) und dem Düsseldorfer Majdanek-Prozess (1975 – 1981).
Die Ausstellung nähert sich jedem Gerichtsverfahren über ein spezifisches Medium und versucht dabei, einen visuell besonders packenden Zugang zum Thema der strafrechtlichen Verfolgung der NS-Verbrechen zu schaffen. Um den Auschwitz-Prozess darzustellen, haben wir uns auf seine zeitgenössische Berichterstattung im Fernsehen konzentriert. Für den Majdanek-Prozess wählten wir einen Gemäldezyklus. Bei der Konzeption war uns wichtig, gerade diejenigen Besucher anzusprechen, die geringes Vorwissen zum Umgang mit den NS-Verbrechen in der Bundesrepublik mitbringen.
Den Auschwitz-Prozess und seine Wirkung auf die Öffentlichkeit reflektiert eine Videoinstallation mit Fernsehmaterial aus Kanada, den Niederlanden und der Bundesrepublik. Zwischentexte liefern einschlägige Hintergrundinformationen und verorten die Filmclips in ihrem historischen Kontext. Zu sehen ist zum Beispiel die „Hessenschau“ von der Eröffnung des Prozesses am 20. Dezember 1963. Auf dem Bildschirm erscheint der Richter in seiner Robe, der die Angeklagten im Gerichtssaal nacheinander aufruft. Die Kamera schwenkt über die dicht besetzten Zuschauerreihen. Es ist, als öffne sich ein Fenster zur Vergangenheit.
Die Materialauswahl vermittelt ein eindrückliches Bild der Zeit und lässt unterschiedliche Beteiligte des Prozesses zu Wort kommen: den Generalstaatsanwalt und Initiator des Prozesses Fritz Bauer, den angeklagten Lagerarzt Franz Lucas, den Auschwitz-Überlebenden und Juristen Franz Unikower; außerdem Prozessbeobachter wie Hannah Arendt oder Gymnasiasten, die im Rahmen des Unterrichts der Hauptverhandlung beiwohnten. Ihre Statements vermitteln, welchen weitreichenden gesellschaftlichen Prozess das Gerichtsverfahren in Gang brachte: die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust.
Diesem Nachhall der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen spüren auch die 44 „Majdanek-Prozessportraits“ nach, die in einem angrenzenden Bereich an einer Wand hängen. Der Gemäldezyklus zeigt unterschiedliche Prozessbeteiligte, die der Regisseur Eberhard Fechner in seiner Fernsehdokumentation „Der Prozess“ interviewte. Die Künstlerin Minka Hauschild hatte die Interviewpartner von ihrem Fernseher abfotografiert und von den Bildern Ölporträts gemalt.
Die Frage „wer ist hier wohl wer?“ drängt sich auf. An Tabletcomputern werden die Geschichten zu den dargestellten Personen erzählt. Zum Beispiel die von Henryka Ostrowska: Sie kam aus Warschau als Zeugin nach Düsseldorf und gegen die ehemalige KZ-Aufseherin Hildegard Lächert aus. Als Frau Ostrowska beschrieb, wie sie die Behälter mit Zyklon B zur Gaskammer bringen musste, beantragte der Verteidiger von Hildegard Lächert die Verhaftung der Zeugin. Er argumentierte, dass sie sich mit dieser Aussage selbst wegen Beihilfe zum Mord belastet hätte. Das Gericht lehnte den Antrag zwar ab. Der Rechtsanwalt hatte dennoch sein Ziel erreicht, denn Henryka Ostrowska war nicht mehr bereit auszusagen. Sie bezeichnete das Gericht als Theater, in dem sie keinen Platz habe und reiste nach Warschau zurück. Der – ebenfalls porträtierte – Verteidiger Ludwig Bock vertrat in seiner weiteren Karriere etliche Rechtsextremisten und Holocaustleugner und führt seine Kanzlei bis heute.
Mit jedem Porträt und jeder Geschichte, die sich dahinter verbirgt, dringt man tiefer in das Prozessgeschehen vor. Es entsteht nach und nach ein großes Bild von diesem Verfahren, das die Zeitgenossen als „monströs“ bezeichneten. Und diese Monstrosität vermitteln auch die Gemälde. Sie zeigen nicht nur Täter und Opfer, sondern auch solche Beteiligte, deren Rollen in diesen Dualismus nicht passen: den Richter, der die milden Urteile im Nachhinein bedauern wird; der Journalist, der über fast sechs Jahre unermüdlich von dem Prozess berichtete; die Staatsanwälte, die die Zeugen ihre Überlebensgeschichte erzählen ließen, selbst wenn sie für die Beweisaufnahme unerheblich war; oder die Frau, die einen ehemaligen SS-Mann in der Untersuchungshaft betreute und für ihr zweifelhaftes Engagement für Gefangene das Bundesverdienstkreuz entgegen nahm. Die Porträts wirken verstörend. Es scheint, als habe der Prozess keinen seiner Akteure unbeschadet gelassen.
In beiden Gerichtsverfahren galt die Rechtsauffassung, dass jedem Angeklagten direkt nachgewiesen werden musste, dass er an einer Mordtat beteiligt war. Als SS-Mann in einem Vernichtungslager tätig gewesen zu sein, war allein kein Grund für eine Verurteilung wegen Mord oder Beihilfe zum Mord. Und alle anderen Verbrechen aus der NS-Zeit – zum Beispiel Körperverletzung mit Todesfolge – waren schon verjährt. Die Urteile fielen aufgrund dieser Rechtsprechung milde aus. Einige Angeklagte wurden frei gesprochen, gleichwohl ihre Schuld aus Sicht der Opfer zum Himmel schrie. Die Strafen standen in einem unübersehbaren Missverhältnis zu den Verbrechen, die die Opferzeugen vor Gericht geschildert, die Medien publik gemacht und eine internationale Öffentlichkeit erschüttert hatten.
Bedeutsamer als die Urteile, die am Ende der Gerichtsverfahren standen, war ihr Nachhall. Bis heute klingt er in der Kunst, den Medien und vielen Bereichen der Gesellschaft nach. Und in diesem neuen Teil der Dauerausstellung hört man ihn besonders deutlich.